In Netflix’ Comic-Adaption treffen die «X-Men» auf Wes Andersons «Royal Tenenbaums»: ein Haus voller Superhelden, verkorkst-traurige Familienbeziehungen, akribisch komponierte Aufnahmen und ein grossartiger Soundtrack.
Doch beginnen wir im Jahr 1989: An verschiedenen Orten auf der Welt spüren 43 Frauen gleichzeitig erste Wehen und halten kurz darauf ihre Säuglinge in den Armen. Das Besondere an dieser Situation: Keine dieser Frauen war wenige Minuten vor der Geburt schwanger. Sieben dieser Wunder-Babys werden vom zurückgezogenen Milliardär Sir Reginald Hargreeves (Colm Feore) adoptiert, der sie nach Zahlen benennt und von einer Roboter-Nanny (Jordan Claire Robbins) und einem Affen-Butler (gesprochen von Adam Godley) aufziehen lässt. Hargreeves interessieren allein die übernatürlichen Fähigkeiten seiner Schützlinge, die in der titelgebenden Umbrella Academy geschärft werden und sie zu einem Team von unerschrockenen Superhelden formen sollen.
2019 sind die einstigen Wunderkinder (unter anderem gespielt von Ellen Page, Robert Sheehan und – grossartig – Aidan Gallagher) längst erwachsen – und kämpfen inzwischen weniger gegen das übernatürliche Böse als gegen tiefsitzende Traurigkeit, die Spuren dysfunktionaler Beziehungen und die Erinnerungen an eine alles andere als ideale Kindheit.
Die Vergleiche zu anderen Superhelden-Spektakeln, wie etwa den anfangs erwähnten «X-Men», liegen auf der Hand: In vielerlei Hinsicht reiht die Netflix-Serie, basierend auf der erfolgreichen Comic-Reihe des My-Chemical-Romance-Frontmanns Gerard Way, sich geschickt in die langjährig etablierten Formen und Klischees des boomenden Genres ein – und tappt oftmals in die bekannten Fallen: Nicht immer sind die Charaktere so vielschichtig, wie man es sich wünschen würde; öfters zeugen die einzelnen Entscheidungen mehr von einem actionreichen Skript als tieferer Psychologie; selten sind die Twists gänzlich unvorhersehbar.
«Am meisten überzeugt das Comic-Spektakel in den Momenten, in denen die übermenschlichen Superhelden am eigenen Potenzial und den inneren Dämonen scheitern.»
Dass die Serie dennoch überraschend frisch und durchgehend unterhaltsam ist, liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich ihrer seltsamen Mischung aus Genre-Konvention und Anderson-hafter Skurrilität durchaus bewusst ist und sie zu ihrem Vorteil ausspielt: Am meisten überzeugt das Comic-Spektakel in den Momenten, in denen die übermenschlichen Superhelden am eigenen Potenzial und den inneren Dämonen scheitern; in denen überspitzt dramatische Dialoge fast schon komische Züge annehmen; in denen perfekt getaktete Actionsequenzen auf mitreissende Popsongs treffen. Die verbrecherjagenden Tenenbaums mögen das Genre nicht neu erfinden, beleben es aber mit viel symmetrischer Noir-Ästhetik, schrägem Witz und jeder Menge Drama.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Trailer- und Bildquelle: Netflix
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