In «Never Rarely Sometimes Always» erzählt Regisseurin und Autorin Eliza Hittman ebenso einfühlsam wie schonungslos vom Kampf, in den USA sicher abtreiben zu können – und vom ganz alltäglichen Frauenhass, der dahintersteht.
Dies ist die bearbeitete Version einer Kritik, die ursprünglich auf Facing the Bitter Truth erschienen ist.
Schon die blosse Existenz von Eliza Hittmans Coming-of-Age-Drama «Never Rarely Sometimes Always» eine Wohltat, hat sich in der Vergangenheit doch gerade das amerikanische Kino schwergetan, angemessen mit dem Tabuthema Abtreibung umzugehen. Denn wenn es überhaupt erst aufs Tapet gebracht wird, dann meistens in Filmen über Teenager-Schwangerschaften wie «Juno» (2007) oder «Petting Zoo» (2015), die sich gezwungen sehen, die sich aufdrängende Option des Schwangerschaftsabbruchs im ersten Akt aus der Welt zu schaffen.
Ganz anders Hittman: Ihre Protagonistin Autumn (Sidney Flanigan) ist 17 Jahre alt und schwanger – und will es nicht sein. Doch ihre Aussichten auf eine sichere Abtreibung sind im kleinstädtischen Pennsylvania begrenzt. Die zuständige Praxis wirkt weniger wie eine medizinische Einrichtung und mehr wie Grossmutters Wohnzimmer. Die Frauen, die Autumn untersuchen, decken sie mit Beteuerungen ein, dass alle ihre Sorgen verflogen sein werden, wenn sie ihr Kind erst einmal in ihren Armen hält. Eine von ihnen fragt Autumn, ob sie «abortion-minded» sei und zeigt ihr daraufhin einen abtreibungskritischen Propagandafilm mit dem Titel «Hard Truth» – auf Videokassette.
Also nimmt sie zusammen mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) die Recherche selber in die Hand, findet heraus, dass Minderjährige in Pennsylvania für Abtreibungen eine elterliche Erlaubnis vorweisen müssen, und kauft sich ein Busticket nach New York, um von den liberaleren Gesetzen dort Gebrauch zu machen.
«Vielmehr illustriert Hittman in ihrer schonungslos direkten Art das Leben in einem Land, in dem Frauen nicht über ihren eigenen Körper verfügen können – eine gesellschaftliche Pathologie, in welcher der erschwerte Zugang zu sicheren Abtreibungen lediglich ein besonders gefährliches Symptom darstellt.»
Doch «Never Rarely Sometimes Always» beschreibt keine ruhmreiche Flucht aus dem konservativen Hinterland ins urbane Paradies. Vielmehr illustriert Hittman in ihrer schonungslos direkten Art das Leben in einem Land, in dem Frauen nicht über ihren eigenen Körper verfügen können – eine gesellschaftliche Pathologie, in welcher der erschwerte Zugang zu sicheren Abtreibungen lediglich ein besonders gefährliches Symptom darstellt.
In der Schule wird Autumn als «Slut» ausgegrenzt, derweil ihre männlichen Klassenkameraden für ihren Playboy-Lebensstil gefeiert werden. An ihrem Supermarkt-Arbeitsplatz werden sie und Skylar von ihrem Chef sexuell belästigt. In New York müssen sich von einem Typen helfen lassen, der Skylars sichtliches Desinteresse an ihm partout ignoriert. Das herzzerreissende Bild von Autumn, die sich den eigenen Bauch grün und blau boxt, um eine Fehlgeburt auszulösen, steht sinnbildlich für eine Kultur, die nicht nur von frauenfeindlichen Mechanismen dominiert ist, sondern Frauen sogar dazu erzieht, die verzweifelte Wut auf diese Machtlosigkeit gegen sich selber zu richten.
Hittman lässt sich in ihrer Darstellung dieses Zustands nicht von den gängigen Ablenkungen des Teenager-Roadmovie-Genres ablenken. Die eine oder andere dramatische Verkürzung in Hittmans Drehbuch – so etwa die etwas schablonenhafte Charakterisierung des Supermarkt-Vorgesetzten – ist zu verkraften, weil die Geschichte als Ganzes auf maximale Effizienz abzielt: Jede Szene ist zielführend, ein notwendiger Schritt auf der Reise von Autumn und Skylar.
So ist denn auch die erschütterndste Szene des Films – eine minutenlange Aufnahme von Autumn im Gespräch mit einer Frauenklinik-Fachfrau – eine beeindruckend simple Angelegenheit. Kamerafrau Hélène Louvart, die Meisterin der körnigen Lo-Fi-Ästhetik hinter Filmen wie Alice Rohrwachers «Lazzaro felice» (2018) und Hittmans eigenem «Beach Rats» (2017), verzichtet trotz unerbittlich langer Einstellung auf jeglichen cinematografischen Bombast: Der Fokus liegt ganz auf der grandiosen Hauptdarstellerin Sidney Flanigan, deren Figur beim Beantworten eines Routine-Fragebogens – Antwortmöglichkeiten: never, rarely, sometimes und always – sichtlich dämmert, welchen Einfluss die Kultur der Misogynie auf ihr Leben und ihre Zukunftsperspektiven hat. Mit ihrer geballten emotionalen Schlagkraft erinnert diese titelgebende Szene an jene von Céline Sciammas Meisterwerk «Portrait de la jeune fille en feu» (2019).
«Hittman gelingt es, die Zusammenhänge zwischen dem Abtreibungsstigma und dem ganz alltäglichen Frauenhass aufzuzeigen – und das, ohne das Trauma ihrer Protagonistinnen zu einem distanzierten Lehrstück abzuwerten.»
Während «Juno» und «Petting Zoo» Teenager-Schwangerschaft letztlich als erweiterte Metapher für das Erwachsenwerden benutzten, verfolgt «Never Rarely Sometimes Always» also ein konkreteres Projekt. Auch hier ist der lange Weg zur gewünschten Abtreibung zwar ein Schlüssel zu einem grösseren Diskurs. Doch Hittman gelingt es, die Zusammenhänge zwischen dem Abtreibungsstigma und dem ganz alltäglichen Frauenhass aufzuzeigen – und das, ohne das Trauma ihrer Protagonistinnen zu einem distanzierten Lehrstück abzuwerten.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 8.10.2020 / Streambar auf Apple TV
Filmfakten: «Never Rarely Sometimes Always» / Regie: Eliza Hittman / Mit: Sidney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin, Ryan Eggold, Sharon Van Etten / USA, Grossbritannien / 101 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Universal Pictures Switzerland
Mit erschütternder Direktheit zeigt Eliza Hittman am Beispiel einer Abtreibungs-Odyssee, welchen sozialen und gesetzlichen Zwängen sich Frauen gerade in den USA tagtäglich ausgesetzt sehen.
1 Comment
A star movie at ZFF and so far as volunteer did not had option to see it.
It’s sounds very passionate and interesting .
I want to see it