«Bourne»-Regisseur Paul Greengrass, der Grossmeister des modernen geopolitischen Thrillers, sattelt buchstäblich um: Die Romanverfilmung «News of the World» ist ein Frontier-Western der ganz alten Schule.
Wer Paul Greengrass für seine kernig-rasanten Werke schätzt – seine drei Einträge in die «Bourne»-Reihe etwa, den Piraterie-Thriller «Captain Phillips» (2013) oder das 9/11-Drama «United 93» (2006) –, wird sich bei der Sichtung seines neuesten Wurfs wohl verwundert die Augen reiben. «News of the World» ist eine ruhig erzählte, geradezu malerisch inszenierte Hommage ans goldene Zeitalter des Hollywood-Westerns, an die Blütezeit von John Ford («The Searchers»), Howard Hawks («Red River») und Anthony Mann («Winchester ’73»).
«‹News of the World› ist eine ruhig erzählte, geradezu malerisch inszenierte Hommage ans goldene Zeitalter des Hollywood-Westerns, an die Blütezeit von John Ford, Howard Hawks und Anthony Mann.»
Anstelle der hektischen Handkamera-Aufnahmen, die man sich von Greengrass gewohnt ist, findet man hier wunderschöne texanische Panoramen in allen möglichen Farb- und Lichtabstufungen, deren ästhetische Bezüge offensichtlicher nicht sein könnten: Regisseur Greengrass und Kameramann Dariusz Wolski («Pirates of the Caribbean», «The Martian») schwelgen in Verweisen auf Ford, Hawks und die amerikanische Landschaftsmalerei. Und auch James Newton Howards herausragender Musikscore ist sich nicht zu schade, um mit Banjos und Fiedeln für richtige Westernstimmung zu sorgen.
Ein rastloser Bürgerkriegsveteran und ein besonderes Waisenmädchen
Entsprechend stehen in «News of the World» denn auch keine Geheimagenten oder Terroristen auf dem Programm, sondern, ganz genrekonform, ein rastloser Bürgerkriegsveteran und ein besonderes Waisenmädchen. Er, Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks), verdingt sich 1870 in seinem heimatlichen Texas als Ur-Nachrichtensprecher: Er zieht von Ort zu Ort, um abends vor Publikum aus den unterschiedlichsten Zeitungen, von Philadelphia bis San Antonio, vorzulesen. Den wirtschaftlich gebeutelten, durch die Nordstaaten-Besetzung in ihrem Stolz verletzten Texaner*innen verhilft er damit zu willkommener Ablenkung und, wie er glaubt, zu so etwas wie einem neuen Nationalgefühl. Eines Tages gabelt Kidd unterwegs die kleine Johanna Leonberger («Systemsprenger»-Entdeckung Helena Zengel) auf, ein deutschstämmiges Mädchen, das von einem Kiowa-Stamm entführt und aufgezogen wurde und nun, «zurück in der Zivilisation», ihren einzigen überlebenden Verwandten übergeben werden soll.
In dieser Affiche steckt einiges vom Ford-Meisterwerk «The Searchers» (1956), in dem sich John Waynes bürgerkriegsversehrter Protagonist seinem eigenen Rassismus stellen muss, während er einem Comanche-Stamm nachstellt, der seine Nichte entführt hat. Doch «News of the World» lässt es klugerweise mit den Parallelen bei der Hauptfigurenkonstellation bewenden und klammert das archaische Motiv der «Indianer-Entführung» weitgehend aus.
«In dieser Affiche steckt einiges vom Ford-Meisterwerk ‹The Searchers›, in dem sich John Waynes bürgerkriegsversehrter Protagonist seinem eigenen Rassismus stellen muss, während er einem Comanche-Stamm nachstellt, der seine Nichte entführt hat.»
Für Greengrass und Co-Autor Luke Davies («Lion»), deren Drehbuch auf Paulette Jiles‘ gleichnamigem Roman von 2016 basiert, ist die Western-Frontier vielmehr ein Ort der zyklischen, aber letztlich asymmetrischen Gewalt. Hier knöpfen die weissen Siedler*innen von Washingtons Gnaden, sei es aus Abenteuerlust, finanzieller Not oder blankem Indianerhass, der indigenen Bevölkerung per Genozid das Land ab. Diese wiederum wehrt sich gewaltsam gegen solche Siedlungskampagnen. Johanna ist das Resultat eines solchen Konflikts: Ihre biologischen Eltern wurden von den Kiowa umgebracht, ihre lieb gewonnenen Adoptiveltern von weissen Soldaten.
In seinem Kern handelt Greengrass‘ Planwagen-Roadmovie jedoch von der Wiedervereinigung der Vereinigten Staaten nach dem Bürgerkrieg, verkörpert durch den ewigen Reisenden Kidd und die kulturell gestrandete Johanna: Die beiden müssen lernen, sich zu verständigen, sich zu verstehen und ihre traumatische Vergangenheit zu überwinden. (Dass die Wiederannäherung von Nord und Süd auf Kosten der befreiten Sklav*innen und der unterworfenen Ureinwohner*innen geschah, ist eine traurige Ironie, an die der Film, auch hier ganz im Sinne seines Genres, kaum einen Gedanken verschwendet.)
«‹News of the World› ist nicht nur ein handwerklich beeindruckendes, emotional ansprechendes Abenteuer auf den Spuren der alten Meister. Es ist nach ‹The Dig› auch ein weiterer bild- und tongewaltiger Netflix-Titel, der die bittersüsse Ehre hat, sein Publikum daran zu erinnern, dass das Heimkino den Kinobesuch niemals wird ersetzen können.»
«News of the World» gelingt es nicht ganz, diese facettenreichen Nachkriegsgeschichten unter einen Hut zu bringen. Gerade Kidds faszinierende, ja brandaktuelle Herausforderung, als wandernder Stadtausrufer eine gesunde Balance zwischen unterhaltsamen, gemeinschaftsstiftenden und populistischen Nachrichten zu finden, wirkt neben der anrührend gespielten Freundschaft zwischen Johanna und dem Captain mitunter wie ein Handlungsstrang aus einem anderen Film.
Trotzdem darf Greengrass‘ Ausflug ins Westerngenre als Erfolg taxiert werden. «News of the World» ist nicht nur ein handwerklich beeindruckendes, emotional ansprechendes Abenteuer auf den Spuren der alten Meister. Es ist nach «The Dig» auch ein weiterer bild- und tongewaltiger Netflix-Titel, der die bittersüsse Ehre hat, sein Publikum daran zu erinnern, dass das Heimkino den Kinobesuch niemals wird ersetzen können.
Über «News of the World» wird auch in Folge 20 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Filmfakten: «News of the World» / Regie: Paul Greengrass / Mit: Tom Hanks, Helena Zengel, Michael Angelo Covino, Fred Hechinger, Thomas Francis Murphy, Elizabeth Marvel, Neil Sandilands, Bill Camp / USA / 118 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Universal Pictures International Switzerland / Bruce W. Talamon / Netflix
Paul Greengrass' «News of the World» ist ein berührender, immer wieder mitreissender Western. Die Handlung mag etwas unstet sein, dafür sind die Bilder umso schöner.
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