Dem ewigen Sorgenkind Schweizer Film ging es zugegebenermassen auch schon schlechter. Jüngere Werke wie „L’enfant d’en haut“, „Der Goalie bin ig“, „Chrieg“ oder „Heimatland“ haben bewiesen, dass das antiquierte nationale Förderungssystem nicht der Tod aller Kreativität sein muss. Auch „Nichts passiert“ geht in diese Richtung, schafft es aber letztendlich doch nicht, das Optimum aus seiner durchaus potenten Prämisse herauszuholen.
Fast ist man versucht zu sagen, dass dem Plot von Micha Lewinskys kurioser Mischung aus Drama und schwarzer Komödie eines der grössten Probleme der Schweizer Filmproduktion zu Grunde liegt: die Angst vor dem Konflikt. So wie der Bund seine Subventionen von risikoscheuen Komitees festlegen lässt, setzt Lewinskys Protagonist, der Stuttgarter Familienvater Thomas (der gut aufspielende Devid Striesow), alles daran, unangenehmen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. In der Beziehung zu Ehefrau Martina (Maren Eggert) und Tochter Jenny (Lotte Becker) kriselt es? Ab in die Skiferien nach Davos! Sein Chef (Beat Marti) will, dass seine Tochter Sarah (Annina Walt) mitkommen kann? Aber natürlich! Sarah wird im Ausgang von Severin (Max Hubacher), dem Sohn von Thomas‘ Freund Ruedi (Stéphane Maeder), vergewaltigt? Bloss niemandem sagen!
Lewinskys vierte Regiearbeit (nach „Herr Goldstein“, „Der Freund“ und „Die Standesbeamtin“) macht es sich weniger einfach als andere Filme, die es aus irgendeinem Grund zu Neo-Klassikern des Schweizer Kinos gebracht haben, das muss man anerkennen. „Nichts passiert“ ist keine Seifenoper in Spielfilmlänge wie „Grounding“ und keine kalkulierte Bünzli-Subversion wie „Die Herbstzeitlosen“; er setzt auch nicht auf Gratis-Nostalgie à la „Mein Name ist Eugen“. Mit kühler Lakonie eröffnet er seinem Publikum die Abgründe, die sich hinter adretten Familien-Fassaden verbergen. Wie schon in Ursula Meiers „L’enfant d’en haut“ symbolisiert der allgegenwärtige Schnee hier nicht das Alpen-Idyll, sondern das Vertuschen unbequemer Wahrheiten. Insofern folgt auch „Nichts passiert“ dem Schweizer Trend des sich Absetzens vom harmoniesüchtigen Standard.
Leider kann ein Film aber auch zu emotionslos, zu beiläufig sein. Der Titel ist Programm: Die Handlung mag vorangehen, doch selbst die dramatischsten Szenen hinterlassen kaum wesentliche Spuren – zu passieren scheint hier in der Tat nicht viel. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich Lewinsky bis zuletzt nicht auf einen stringenten Tonfall festlegt, sodass weder die komödiantischen noch die tragischen Ansätze wirklich zu greifen vermögen. So plätschert „Nichts passiert“ 90 Minuten lang dahin – thematisch in Aufbruchstimmung, in der Ausführung jedoch nahe am helvetischen Mittelmass.
Kinostart Deutschschweiz: 11.2.2016
Bildquelle: Filmcoopi
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