«No Time to Die», der letzte Auftritt von Daniel Craig als Geheimagent 007, ist ein mutiger und ambitionierter Film, dem bei weitem nicht alles gelingt. Doch das wohl emotionalste und reifste James-Bond-Abenteuer hat es in sich.
Sechs Jahre sind vergangen, seit Daniel Craig («Knives Out») in «Spectre» zum letzten Mal als James Bond zu sehen war. Vier hätten es eigentlich sein sollen, doch der geplante Kinostart im November 2019 verzögerte sich, als Danny Boyle («Trainspotting», «Slumdog Millionaire») als Regisseur absprang. Als schliesslich die COVID-Pandemie ausbrach, war «No Time to Die» – mit Kinostart April 2020 – das erste grosse Opfer: Der Film wurde nur Wochen vor seiner Veröffentlichung um ein halbes Jahr in den November verschoben. Die zweite Welle der Pandemie machte auch diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung, weshalb der Film ein weiteres Mal verschoben werden musste. Jetzt hat das Warten ein Ende, und «No Time to Die» erscheint, fast zwei Jahre und unzählige Verschiebungen nach dem geplanten Termin, endlich im Kino.
«Jetzt hat das Warten ein Ende, und ‹No Time to Die› erscheint, fast zwei Jahre und unzählige Verschiebungen nach dem geplanten Termin, endlich im Kino.»
Der Film, inzwischen von «True Detective»-Produzent Cary Joji Fukunaga inszeniert, beendet die fünf Filme umspannende Ära von Daniel Craig. Der Regisseur verschafft seinem Protagonisten, der die Arbeit an dieser Franchise wahlweise – und vermutlich je nach Stand der Lohnverhandlungen – als eine der grössten Ehren seines Lebens beziehungsweise als Grund, sich die Pulsadern aufzuschlitzen, bezeichnete, einen pompösen Abschied. Während mehr als zweieinhalb Stunden gilt es für 007 einmal mehr, die Welt vor einem sinistren Schurken zu retten.
Der Gegenspieler in «No Time to Die» heisst Lyutsifer Safin (Rami Malek), ein rachesüchtiger Killer, der mithilfe einer biochemischen Waffe für Angst und Schrecken sorgen will. Safin ist kein Bösewicht, an den man sich erinnern dürfte, ja selbst Fukunaga scheint ihn immer wieder zu vergessen. Mit bescheidener Screentime und ohne wirklich schlüssig erklärten Plan bleibt Safin leider blass – daran kann auch ein an und für sich solider Rami Malek wenig ändern.
Dass Safin und sein Plan derart in den Hintergrund gerückt werden, liegt daran, dass das Drehbuch von «No Time to Die», noch deutlicher als die Vorgänger, den Fokus auf die emotionale Ausleuchtung der Figur Bond und auf ihre zwischenmenschlichen Beziehungen legt. Bond wird zu einem greifbaren Charakter, dessen Verletztheit und Verletzlichkeit spürbar wird. Daniel Craig liefert in diesem Film seine glaubwürdigste Darbietung als 007. Es ist ein würdiger Abgang.
Auch Léa Seydoux («La vie d’Adèle»), die als Dr. Madeleine Swann den Begriff «Bond-Girl» glücklicherweise endgültig zu Grabe trägt, überzeugt an Craigs Seite. Überhaupt gelingt es «No Time to Die» als erstem Bond-Film, uns eine Vielzahl wirklich interessanter Frauenfiguren zu bieten. Nicht nur die Agentinnen Nomi (Lashana Lynch) und Paloma (Ana de Armas) stehen Bond in nichts nach; auch Naomie Harris als Miss Moneypenny kann ihrer Figur im dritten Durchgang zusätzliche Tiefe verleihen.
«Bond wird zu einem greifbaren Charakter, dessen Verletztheit und Verletzlichkeit spürbar wird. Daniel Craig liefert in diesem Film seine glaubwürdigste Darbietung als 007. Es ist ein würdiger Abgang.»
Zu verdanken ist das nicht zuletzt Phoebe Waller-Bridge («Fleabag»), die das Drehbuch von Fukunaga und den Bond-Autoren Neal Purvis und Robert Wade auf ausdrückliche Bitte von Daniel Craig überarbeitet hat und den weiblichen Figuren so mehr Raum gab. Überhaupt ist «No Time to Die» kein typischer Bond, und genau darin liegt seine Stärke. Der Film bricht mit Konventionen und Traditionen, hinterfragt die Figur Bond – und verrät sie. Nicht alles gelingt, und vieles an diesem Film wird Aufsehen erregen, doch der Mut zu Neuem ist erfrischend.
Fukunaga tut sich indes ein bisschen schwer damit, diese Agenten-Charakterstudie mit seinem Anspruch, einen atemlosen Action-Thriller zu schaffen, in Einklang zu bringen. So ist «No Time to Die» ein filmischer Flickenteppich aus Drama, Action und unzähligen, gehetzt wirkenden Schauplatzwechseln, zu denen ein hörbar überforderter Hans Zimmer ein akustisches Potpourri, äh… zimmert. Sicher, es ist charmant, wie Zimmer bekannte Bond-Melodien in den Film einbettet – wirklich eigenständig oder eingängig ist sein Score aber nicht.
Auch die Laufzeit kann Fukunaga nicht rechtfertigen – «No Time to Die» braucht zu lange, um in Fahrt zu kommen und dümpelt leider auch im Mittelteil immer wieder vor sich hin. Man kann über «Quantum of Solace» (2008), Craigs kritisch verrissenen zweiten Bond-Einsatz, sagen, was man will, aber der Film hatte wenigstens die Grösse, nach 106 Minuten zu enden. «No Time to Die» hat zwar deutlich mehr zu erzählen als Marc Forsters experimenteller Ausflug in die Bond-Franchise, aber 163 Minuten sind dann doch des Guten zuviel.
«‹No Time to Die› ist kein typischer Bond, und genau darin liegt seine Stärke. Der Film bricht mit Konventionen und Traditionen, hinterfragt die Figur Bond – und verrät sie. Nicht alles gelingt, und vieles an diesem Film wird Aufsehen erregen, doch der Mut zu Neuem ist erfrischend.»
Dennoch: «No Time to Die» mag zwar an vielen Stellen schwächeln, doch Cary Joji Fukunagas Abschluss der turbulenten Ära Daniel Craig liefert starke Emotionen und überzeugende Darbietungen.
Über «No Time to Die» wird auch in Folge 35 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 30.9.2021
Filmfakten: «No Time to Die» / Regie: Cary Joji Fukunaga / Mit: Daniel Craig, Rami Malek, Léa Seydoux, Lashana Lynch, Ben Whishaw, Naomie Harris, Jeffrey Wright, Christoph Waltz, Ralph Fiennes / Grossbritannien, USA / 163 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.
Ein mutiger, aber bei weitem kein perfekter Bond-Film. «No Time to Die» ist der wohl emotionalste Film der Reihe und ein würdiger Abschied für Daniel Craig.
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[…] habe für Maximum Cinema auch acht Kritiken geschrieben, unter anderem zu «No Time to Die» von Cary Joji Fukunaga oder «Space Jam: A New Legacy» von Malcolm D. Lee. Zudem habe ich noch […]