Zum ersten Mal seit dem grossen Flop von «Solo: A Star Wars Story» (2018) wagt sich Disney wieder an die Geschichte einer klassischen Hauptfigur heran. Die sechsteilige Miniserie «Obi-Wan Kenobi» ist ein ambitioniertes Stück «Star Wars», das überraschend viel richtig macht, aber einmal mehr die Planlosigkeit von Disney im Umgang mit der Franchise zeigt.
Zehn Jahre sind vergangen, seit die Galaktische Republik gefallen ist – und mit ihr Anakin Skywalker, der impulsive Jedi-Schüler von Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor), der sich als Darth Vader der dunklen Seite angeschlossen hat. Während das Imperium mit seinen Inquisitor*innen Jagd auf die verbliebenen Jedi macht, wacht auf dem Wüstenplaneten Tatooine ein desillusionierter Kenobi über Anakins heimlichen Sohn Luke (Grant Feely), der in der Obhut des Farmers Owen Lars (Joel Edgerton) aufwächst.
Mit «Obi-Wan Kenobi» schuf sich Disney selbst ein grosses Problem: Wie soll man eine Zeitepoche, in der das Nicht-Passieren von Dingen im Zentrum steht, als packende Miniserie erzählen? Bisher wurden uns die 19 Jahre, in denen Obi-Wan im Exil auf Tatooine lebte, als ereignislose Zeit des Meditierens und der Selbstfindung verkauft, in denen es stets darum ging, sich von der Öffentlichkeit – und damit vom Imperium – abzuschotten. Nun soll aber ein spektakulärer, einer solchen Serie würdiger Konflikt her, der jedoch zwangsläufig Aufmerksamkeit auf Kenobi und damit auch auf den jungen Luke ziehen wird.
Es ist Showrunnerin und Regisseurin Deborah Chow zugutezuhalten, dass sie nicht gerade zimperlich an die Aufgabe herangeht und mit «Obi-Wan Kenobi» viele bisher erzählte Gewissheiten über den Haufen wirft. So entstehen zumindest eindrucksvolle Momente, die der Serie gut tun – auch wenn diese im grösseren Kontext des «Star Wars»-Universums wenig Sinn ergeben. Ein solcher ist das überraschende Aufeinandertreffen der jungen Leia Organa (Vivien Lyra Blair) mit Obi-Wan Kenobi, die beide grossartig harmonieren. Blair ist als junge Leia perfekt besetzt und überhaupt eine Entdeckung fürs Kino. Dass Leias ikonische Videobotschaft in «A New Hope» («You served my father during the Clone Wars») dadurch an Bedeutung verliert, scheint man offensichtlich in Kauf zu nehmen.
Doch nicht nur auf Leia trifft Kenobi; auch eine Begegnung mit seinem gefallenen Schüler Anakin steht auf dem Programm – so viel Fanservice muss sein. Und so treten sich Obi-Wan Kenobi und Vader, der – zumindest wenn man sein Gesicht sieht – wieder von Hayden Christensen verkörpert wird, endlich wieder mit gezückten Lichtschwertern gegenüber.
«Wenn die eindrücklichsten Momente die Gastauftritte bekannter Figuren und ihrer jeweiligen Darsteller*innen sind, dann fehlt es eindeutig an Substanz – und an neuen Ideen: Hier wird gestorben, und dann überraschend doch nicht gestorben, was das Zeug hält – ohne, dass es der Story auf irgendeine Weise hilft.»
Dass das packend und eindrucksvoll inszeniert ist, ist unbestritten. Aber es ist auch einer von diesen Momenten, in denen man merkt, wie die Verantwortlichen die Serie mit Effekthascherei über ihre eigene Mittelmässigkeit hinausheben wollen. Wenn die eindrücklichsten Momente die Gastauftritte bekannter Figuren und ihrer jeweiligen Darsteller*innen sind, dann fehlt es eindeutig an Substanz – und an neuen Ideen: Hier wird gestorben, und dann überraschend doch nicht gestorben, was das Zeug hält – ohne, dass es der Story auf irgendeine Weise hilft.
Disney geht es – der Glücksgriff, der die erste Staffel von «The Mandalorian» (2019) war, sei hier ausgenommen – offensichtlich nicht mehr darum, die «Star Wars»-Welt irgendwie weiterzuerzählen und neue Figuren einzuführen. Stattdessen reichert man Serie für Serie Bekanntes neu an – hier ein gealterter Boba Fett, dort ein digital verjüngter Luke oder ein Lichtschwert-Duell zwischen Vader und Kenobi – und hangelt sich so von Fanservice-Moment zu Fanservice-Moment, ohne dass sich diese Franchise weiterentwickeln kann.
Ebenfalls nicht für die Innovationsfreude von Chow und ihren Mitautor*innen spricht, dass sie den neuen Gegenspieler*innen – den drei Inquisitor*innen – kaum eine Chance geben, wirklich bedrohlich zu werden, ehe man mit Darth Vader den Bösewicht-Trumpf aus dem Ärmel zieht. Gerade die ungestüme Reva (Moses Ingram) böte mit ihrem inneren Konflikt durchaus Potenzial für eine interessante Figurenentwicklung. Doch diese wird so platt und vorhersehbar abgehandelt, dass man beinahe froh ist, dass Darth Vader so viel Raum einnimmt. Und auch der aus der Animationsserie «Star Wars: Rebels» (2014–2018) bekannte Grand Inquisitor (optisch sehr unglücklich besetzt: Rupert Friend) wird als vermeintlicher Hauptgegner plump zur Seite gedrängt, dass man sich fragen muss: Wofür?
«Ewan McGregor schlüpft mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit in die Rolle des alternden und desillusionierten Jedi-Meisters, als wäre sie ein Mantel, den er nach 17 Jahren wieder aus dem Kleiderschrank hervornimmt, kurz abklopft, und sich dann überstreift.»
Immerhin hat «Obi-Wan Kenobi» seinen Obi-Wan Kenobi, und das ist schon sehr viel wert. Ewan McGregor («Trainspotting») schlüpft mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit in die Rolle des alternden und desillusionierten Jedi-Meisters, als wäre sie ein Mantel, den er nach 17 Jahren wieder aus dem Kleiderschrank hervornimmt, kurz abklopft, und sich dann überstreift. Noch mehr als in «Revenge of the Sith» (2005) verschmilzt hier seine eher flapsige Interpretation der Figur mit der nachdenklichen, zurückhaltenden Darbietung von Alec Guinness in «A New Hope». Während Temuera Morrison mit seiner hölzernen Darbietung in «The Book of Boba Fett» der missglückten Serie zusätzlich geschadet hat, ist es bei «Obi-Wan Kenobi» der Hauptdarsteller, welcher die Serie vor der eigenen Bedeutungslosigkeit bewahrt. Es wäre vermessen, zu behaupten, dass das reicht, um «Obi-Wan Kenobi» zu einem gelungenen Erlebnis zu machen. Dafür verlässt sich die Serie zu sehr auf Gimmicks und Spektakel – und vergisst darob das Erzählen und Erfinden.
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Serienfakten: «Obi-Wan Kenobi» / Regie: Deborah Chow / Mit: Ewan McGregor, Rupert Friend, Sung Kang, Moses Ingram, Vivien Lyra Blair, Hayden Christensen, Joel Edgerton, Kumail Nanjiani / USA / 6 Episoden à 36–53 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2022 Lucasfilm Ltd. & ™. All Rights Reserved.
Ewan McGregor und gut inszenierter Fanservice retten diese sich im Kreis drehende Serie ein wenig vor ihrer Mittelmässigkeit. Gut ist «Obi-Wan Kenobi» deswegen aber noch lange nicht.
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