Kultregisseur Quentin Tarantino zeigt – im Rahmen seiner Möglichkeiten – Altersmilde: In der locker erzählten Buddy-Tragikomödie «Once Upon a Time in Hollywood» schwelgt er in wehmütiger Nostalgie und frönt seiner Liebe für die Filmgeschichte.
Los Angeles, 1969, das Ende einer Ära: In Hollywood stirbt das goldene Zeitalter der grossen Studios mit ihren überlebensgrossen Stars gerade den Tod durch tausend Schnitte – aufgrund wirtschaftlicher Deregulierung, gesellschaftlicher Liberalisierung und des Siegeszugs des Fernsehens. Gleichzeitig steht die sprichwörtliche Aufbruchsstimmung der Sechzigerjahre gerade in Kalifornien am Abgrund: Im Jahr zuvor wurde hier Robert F. Kennedy, der Hoffnungsträger des liberalen Amerika, erschossen; noch vor Ende des Sommers werden die grausamen Morde von Charles Mansons Kommune – der «Manson Family» – den Hippie-Traum von Frieden und Liebe scheinbar irreversibel in Verruf bringen. Was folgen sollte, war der desillusionierte Zynismus, den Paul Thomas Anderson in «Inherent Vice» (2014) zur Perfektion inszenierte.
Mit diesem kollektiven Endzeitgefühl kommen auch die Helden von «Once Upon a Time in Hollywood» in Berührung: Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), vormals ein grosser Name im boomenden Fernsehwestern-Geschäft, hat acht mässig erfolgreiche Jahre als Leinwanddarsteller hinter sich und ist derzeit vor allem damit beschäftigt, in TV-Pilotepisoden Bösewichte zu spielen, die von aufstrebenden jungen Schauspielhoffnungen vermöbelt werden. Und auch sein Stuntman, Fahrer, persönlicher Assistent und bester Freund Cliff Booth (Brad Pitt) sieht einer ungewissen Zukunft entgegen, denn je mehr die traditionellen männlichen Actionhelden nach dem Rick-Dalton-Schnittmuster aus der Mode kommen, desto weniger Arbeit gibt es für Doubles wie Cliff.
Es ist kein sonderlich eng getakteter Film, in den Quentin Tarantino seine beiden Protagonisten wirft. Wer den sorgfältig ausgearbeiteten Spannungsbogen eines «Pulp Fiction» (1994) oder eines «Inglourious Basterds» (2009) erwartet, wird enttäuscht werden. Die dramatische Spannung, sofern sie denn vorhanden ist, ist an peripheren Figuren aufgehängt: Ricks Nachbarn sind «Rosemary’s Baby»-Regisseur Roman Polanski (Rafał Zawierucha) und seine Ehefrau Sharon Tate (Margot Robbie) – das prominenteste Opfer der Manson-Familie –, während Cliff eines der Kult-Mitglieder (Margaret Qualley) als Anhalterin mitnimmt und durch sie von der seltsamen Hippie-Kommune in einer alten Westernkulissenstadt erfährt.
«In allzu ausladenden zweieinhalb Stunden entwirft Tarantino hier ein märchenhaft überzeichnetes, oft sehr witziges Sittengemälde eines Schauplatzes, der zum amerikanischen Mythos geworden ist.»
Ansonsten stehen in «Once Upon a Time in Hollywood» andere Dinge im Vordergrund: Ricks Agent (Al Pacino) will seinen widerwilligen Schützling dazu überreden, seine Karriere mit einem Spaghettiwestern aufzufrischen; Rick will sich in seiner neuesten Schurkenrolle als seriöser Mime profilieren; Cliff fährt, begleitet von epochengetreuen Autoradiogeräuschen, durch ein liebevoll und detailreich rekonstruiertes Sechzigerjahre-L.A. Immer wieder pausiert die ohnehin schon entspannt vorgetragene Handlung, um Rick in fiktiven Filmen und TV-Episoden zu zeigen.
In allzu ausladenden zweieinhalb Stunden entwirft Tarantino hier ein märchenhaft überzeichnetes, oft sehr witziges Sittengemälde eines Schauplatzes, der zum amerikanischen Mythos geworden ist. Mit unverhohlener Nostalgie – und ohne viel kritische Distanz – trauert er der Kultur nach, die im Zuge von New Hollywood und den Manson-Morden untergegangen ist. Wir befinden uns im Land der von Popkultur beeinflussten Kindheitserinnerungen, wo die Sonne heller strahlt, die Neonfarben satter sind und die Männer – denn damals waren es immer Männer – im Fernsehen und auf der Leinwand die Grössten und die Stärksten aller Zeiten waren.
«Rick und Cliffs innige Freundschaft ist vielleicht das Zarteste, was sich je in einen Tarantino-Film verirrt hat.»
Doch dank der ruhigen, introspektiven und facettenreichen Darbietungen von Leonardo DiCaprio und Brad Pitt sowie einiger subtiler Drehbuch-Kniffe schleicht sich trotzdem so etwas wie Subversion in dieses Denkmal an traditionelle Hypermaskulinität ein. Rick und Cliff sind zwei faszinierende Figuren, deren innige Freundschaft vielleicht das Zarteste ist, was sich je in einen Tarantino-Film verirrt hat. So wird ein scheinbarer Macho-Spruch wie Cliffs «You’re Rick fucking Dalton!» zu einem einfühlsamen Akt seelischer Unterstützung – eine Erinnerung an den psychisch mitgenommenen Rick, dass er seinem Freund wichtig ist.
«Es sind die stilleren, nachdenklicheren Momente, die diesen Film so lohnenswert machen.»
Dass Tarantino zum Schluss in alte Muster zurückfällt und sich in einer pubertär-grotesken Gewaltorgie verliert, mag angesichts der B-Movie-Nostalgie von «Once Upon a Time in Hollywood» folgerichtig sein, untergräbt aber auch ein wenig die Kraft der stilleren, nachdenklicheren Momente, die diesen Film so lohnenswert machen. Aber vielleicht ist das nur konsequent: Immerhin nahmen auch die Sechzigerjahre kein gutes Ende.
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Kinostart Deutschschweiz: 15.8.2019
Filmfakten: «Once Upon a Time in Hollywood» / Regie: Quentin Tarantino / Mit: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Al Pacino, Margaret Qualley, Austin Butler, Timothy Olyphant, Emile Hirsch, Bruce Dern, Dakota Fanning / USA / 161 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Lang, schwelgerisch und irgendwie faszinierend: Mit «Once Upon a Time in Hollywood» ist Quentin Taratino kein Meisterwerk gelungen, wohl aber ein absolut lohnenswertes Stück Nostalgie.
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