Die Filmpreis-Saison 2023/2024 geht mit einer – vielleicht allzu – rasanten Oscar-Show und vielen Favoritensiegen zu Ende. Christopher Nolan bekommt zum ersten Mal persönlich Oscars verliehen; sein «Oppenheimer» ist mit sieben Trophäen – inklusive jener für den besten Film – der grosse Gewinner des Abends. Yorgos Lanthimos‘ «Poor Things» schneidet mit vier Oscars ebenfalls stark ab; bei «Barbie» bleibt es hingegen bei einem einzigen Sieg. Ausserdem: Oscars für Hayao Miyazaki und Wes Anderson.
„Oppenheimer“ wins Best Picture at the #Oscars. https://t.co/UNgGySGz3r pic.twitter.com/DvMjoseSRl
— Variety (@Variety) March 11, 2024
Eine Stunde früher als sonst ging es in Los Angeles los mit dem prestigeträchtigsten Filmpreis der Welt – und das Zeitmanagement sollte eines der grossen Motive des Abends sein. Schon nach fünf Minuten liess Moderator Jimmy Kimmel den ersten abfälligen Witz über lange Filme fallen – inzwischen fast schon eine leidige Tradition bei den Oscars. Kurz darauf wurde das diesjährige Format der Schauspielpreisübergaben offenbart: keine Schauspiel-Clips, sondern frühere Gewinner*innen, die Laudationen für die Nominierten halten. Das mag menschlich sein – und führte schliesslich sogar zu einigen Lachern –, zeigt aber, dass die Show-Verantwortlichen in diesem Jahr eher wenig Interesse daran hatten, die Kunst, die ausgezeichnet wird, ins Rampenlicht zu rücken.
Entsprechend erwies sich die Oscar-Show 2024 als Wechselbad der Gefühle: Witzige Einlagen wie ein nackter John Cena, die Wiedervereinigung der «Zwillinge» Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito oder Ryan Goslings fulminante Performance des oscarnominierten Songs «I’m Just Ken» aus «Barbie» wurden überschattet vom überhasteten Abarbeiten der «kleineren» Kategorien. Immer wieder wurden Gewinner*innen allzu rasch von der Bühne geschubst; in gewissen Kategorien ging das Vorlesen der Nominierten vergessen; manche Disziplinen wurden nicht einmal mit einem Clip geehrt; die «In Memoriam»-Sequenz verkam einmal mehr zu einem unübersichtlichen, überproduzierten Durcheinander.
Ryan Gosling and the cast of „Barbie“ perform „I’m Just Ken“ at the #Oscars. https://t.co/UNgGySGz3r pic.twitter.com/00hd0Jw8cy
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Und mittendrin: Christopher Nolans «Oppenheimer», der nach gut 90 oscarlosen Minuten zum erwarteten Siegeszug aufbrach. Am Ende standen sieben Goldmännchen zu Buche, darunter in den Hauptkategorien Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller (Cillian Murphy) und Bester Nebendarsteller (Robert Downey Jr.). Interessanterweise ist der «Oppenheimer»-Triumph auch ein Debüt für Nolan selbst: Denn obwohl er und seine Filme seit «The Dark Knight» (2008) Oscar-Dauergäste sind, hatte er selber bis anhin noch nie einen gewinnen können.
Die andere Hälfte des «Barbenheimer»-Phänomens, Greta Gerwigs «Barbie», hatte hingegen einen schwereren Stand – wobei auch das nach dem eher schwachen Abschneiden in den anderen einschlägigen Filmpreisen kaum überraschend war. Einzig für den besten Song – «What Was I Made for?» von Billie Eilish und Finneas O’Connell – setzte es einen Oscar. Für die erst 22-jährige Eilish ist es nach ihrem Sieg für «No Time to Die» (2021) schon der zweite.
Billie Eilish and Finneas O’Connell win Best Original Song at the 2024 #Oscars for „What Was I Made For?“ from #Barbie pic.twitter.com/nsNSD2p2lO
— The Hollywood Reporter (@THR) March 11, 2024
Die Kategorien, in denen sich «Barbie» gewisse Chancen ausrechnen konnte – Szenenbild und Kostümdesign –, wurden indes von «Poor Things» dominiert. Die schrille Steampunk-Sexkomödie von «The Favourite»-Regisseur Yorgos Lanthimos genoss bei der Academy sogar so viel Unterstützung, dass sie auch gleich noch zwei Topfavoriten die Butter vom Brot stibitzte: Bradley Coopers «Maestro» verlor den Make-up- und Frisuren-Oscar an «Poor Things», und Lanthimos‘ Hauptdarstellerin Emma Stone besiegte im Rennen um die beste Hauptdarstellerin Lily Gladstone, deren Leistung in Martin Scorseses «Killers of the Flower Moon» im Vorfeld die meisten Preise einheimsen konnte.
Nicht nur fällt Scorsese damit die zweifelhafte Ehre zu, nach «Gangs of New York» (2002) und «The Irishman» (2019) schon zum dritten Mal mit einem zehnfach nominierten Film komplett leer auszugehen: Gladstones Niederlage bedeutet, dass noch immer keine indigene amerikanische Person einen Schauspiel-Oscar gewonnen hat.
Emma was great but my heart breaks for Lily Gladstone. KILLERS OF THE FLOWER MOON going home completely empty handed feels wrong. #Oscars
— Mattie Lucas (@cinemattie) March 11, 2024
Ausser «Oppenheimer» und «Poor Things» kam nur Jonathan Glazers «The Zone of Interest» auf mehr als eine Trophäe: Das beklemmende Drama um die Familie des Leiters des Vernichtungslagers Auschwitz gewann für Grossbritannien den Oscar für den besten internationalen Film und holte sich obendrein – verdientermassen – den Preis für den besten Ton.
Glazer («Under the Skin») sorgte bei seiner Dankesrede überdies für einen der Höhepunkte des Abends. Unter den zahlreichen Gewinner*innen des Abends war er der Einzige, der sich zum anhaltenden Blutvergiessen im Gazastreifen äusserte: «We stand here as men», sagte er über sich und seine Mitgewinner, «who refute their Jewishness and the Holocaust being hijacked by an occupation which has led to conflict for so many innocent people.»
#TheZoneofInterest wins best international feature film at the 2024 #Oscars pic.twitter.com/G3xEejQakT
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Grund zum Feiern hatten überdies die Fans des Kultmonsters Godzilla, des Studio Ghibli sowie jene von Filmemacher Wes Anderson. Der herausragende japanische Katastrophenfilm «Godzilla Minus One» stach beim Spezialeffekt-Oscar «Guardians of the Galaxy Vol. 3» und «Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One» aus – was die ausgezeichneten Effektkünstler*innen, unter ihnen Regisseur Takashi Yamazaki, zum Anlass nahmen, die Bühne mit Godzilla-Actionfiguren zu betreten.
Beim Animationsfilm wiederum triumphierte Anime-Legende Hayao Miyazaki schon zum zweiten Mal: 2003 gewann er hier für «Spirited Away» (2001); dieses Jahr konnte er mit «The Boy and the Heron» den designierten Favoriten «Spider-Man: Across the Spider-Verse» übertrumpfen. Und wie schon 2003 machte sich Miyazaki auch dieses Jahr nicht die Mühe, über den Pazifik zu fliegen – was von einer gesunden Prioritäteneinschätzung zeugt. Übrigens: «Spirited Away» und «The Boy and the Heron» sind bis dato die einzigen Zeichentrick-Gewinner des Animationsfilm-Oscars.
Ebenfalls nicht zugegen war Wes Anderson, dessen «Asteroid City» zwar gar keine Nomination erhalten hatte, aber dessen Netflix-Kurzfilm «The Wonderful Story of Henry Sugar» das Goldmännchen für den besten Kurzfilm in Empfang nehmen durfte. Es war tatsächlich Andersons allererster Sieg bei den Academy Awards – sein Fehlen sollte aber nicht als Protest verstanden werden: Man munkelt, sein neuester Film gehe heute in Deutschland in Produktion.
the godzilla team taking a bunch of godzilla toys onstage….. i love them pic.twitter.com/3ma2Gvf3L0
— zach silberberg (@zachsilberberg) March 11, 2024
Alle Gewinner*innen im Überblick:
Bester Film: «Oppenheimer»
Beste Regie: Christopher Nolan – «Oppenheimer»
Beste Hauptdarstellerin: Emma Stone – «Poor Things»
Bester Hauptdarsteller: Cillian Murphy – «Oppenheimer»
Beste Nebendarstellerin: Da’Vine Joy Randolph – «The Holdovers»
Bester Nebendarsteller: Robert Downey Jr. – «Oppenheimer»
Bestes Originaldrehbuch: «Anatomie d’une chute»
Bestes adaptiertes Drehbuch: «American Fiction»
Bester Animationsfilm: «The Boy and the Heron»
Bester internationaler Film: «The Zone of Interest» (Grossbritannien)
Bester Dokumentarfilm: «20 Days in Mariupol»
Beste Filmmusik: «Oppenheimer»
Bester Filmsong: «What Was I Made for?» aus «Barbie»
Bester Ton: «The Zone of Interest»
Beste Kamera: «Oppenheimer»
Bester Schnitt: «Oppenheimer»
Beste Ausstattung: «Poor Things»
Beste Kostüme: «Poor Things»
Bestes Make-up und Haarstyling: «Poor Things»
Beste Spezialeffekte: «Godzilla Minus One»
Bester animierter Kurzfilm: «War Is Over! Inspired by the Music of John and Yoko»
Bester Kurzfilm: «The Wonderful Story of Henry Sugar»
Beste Kurzdokumentation: «The Last Repair Shop»
it should be illegal for the Oscars to be over before 10:30. plenty of room for a best stunt award, full clips, a lifetime achievement award, a short animated documentary on the size and shape of John Cena’s ass, whatever. otherwise good show.
— david ehrlich (@davidehrlich) March 11, 2024
Die Ruhmeshalle:
- 7 Oscars: «Oppenheimer»
- 4 Oscars: «Poor Things»
- 2 Oscars: «The Zone of Interest»
- 1 Oscar: «American Fiction», «Anatomie d’une chute», «Barbie», «The Boy and the Heron», «Godzilla Minus One», «The Holdovers», «The Last Repair Shop», «20 Days in Mariupol», «War Is Over! Inspired by the Music of John and Yoko», «The Wonderful Story of Henry Sugar»
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Bildquelle: Free stock photo of Oscar Statuette: https://libreshot.com/oscar-statuette/
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