Mit «Pachinko», einer von Soo Hugh konzipierten Serienadaption des gleichnamigen Romans von Min Jin Lee, versucht sich Apple TV+ an einer mehrere Generationen umspannenden Familiensaga über eine koreanische Einwandererfamilie in Japan. Das ist ein spannendes, für das westliche Publikum wenig bekanntes historisches Kapitel, das die beiden Regisseure Kogonada und Justin Chon in acht Folgen aufwendig in Szene setzen.
«Pachinko» ist ein waschechtes Familienepos ganz im klassischen Hollywood-Stil, das die dramatische Geschichte einer koreanischen Familie im 20. Jahrhundert erzählt. Die Serie handelt von Armut und Migration, von wirtschaftlichem Aufstieg und gesellschaftlichem Wandel, und natürlich auch von Liebe und Schmerz – also von den ganz grossen Themen.
Das Publikum verfolgt die Geschichte hauptsächlich entlang zweier Zeitebenen. 1989 wohnt die alte Sunja («Minari»-Star Youn Yuh-jung) mit ihrem Sohn Mozasu (Soji Arai) und seiner Lebensgefährtin in Osaka, wo sie dank Mozasus erfolgreichen Pachinko-Casinos – Pachinko ist ein beliebter japanischer Glücksspielautomat – ein Leben in Wohlstand führen. Das unerwartete Auftauchen von Mozasus Sohn Solomon (Jin Ha), der als aufstrebender Investment-Manager in den USA arbeitet, bringt Unruhe ins Leben der Familie.
«‹Pachinko› ist ein waschechtes Familienepos ganz im klassischen Hollywood-Stil, das die dramatische Geschichte einer koreanischen Familie im 20. Jahrhundert erzählt.»
Solomon ist nach Osaka gekommen, um im Auftrag seines Arbeitgebers eine störrische alte Koreanerin davon zu überzeugen, ihr Anwesen zu verkaufen, das einem lukrativen Bauprojekt im Weg steht. Ebenso wie seine Grossmutter Sunja ist die alte Dame als eine von hunderttausenden koreanischen Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Japan emigriert, wo sie sich in einem Klima von Fremdenfeindlichkeit, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ausgrenzung behaupten musste. Die Konfrontation mit der alten Koreanerin und ihrer Geschichte, welche auch die Geschichte seiner Grossmutter ist, löst in Solomon einen Prozess aus, in dessen Verlauf er sich und seine Überzeugungen immer stärker zu hinterfragen beginnt. Und obendrein erhält er auch noch plötzlich mysteriöse Anrufe seiner alten Liebe Hana, die seit Jahren als vermisst gilt.
Die zweite Zeitebene widmet sich Sunjas Biografie von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Sunja (als Mädchen gespielt von Yu-na) wächst im von den Japanern besetzten koreanischen Fischerstädtchen Yeongdo nahe Busan in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater (Lee Dae-ho), ein körperlich eingeschränkter Aussenseiter, der seine Tochter abgöttisch liebt, stirbt, als Sunja noch ein kleines Mädchen ist. Die nächsten Jahre verbringt sie bei ihrer Mutter (Jeong In-ji) und deren beiden Helferinnen, mit denen sie eine kleine Pension ausserhalb des Städtchens führt.
Mit 16 Jahren verliebt sich Sunja (als junge Erwachsene gespielt von Kim Min-ha) in den wohlhabenden Fischhändler Koh Hansu (Lee Min-ho), der für seine Geschäfte aus Japan gekommen ist. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre; doch als Sunja schwanger wird und ihn bittet, sie zu heiraten, nimmt ihr Schicksal eine folgenschwere Wendung.
«Pachinko» beruht auf dem gleichnamigen Roman der amerikanisch-koreanischen Schriftstellerin Min Jin Lee, wobei die erste Staffel der Serie nur gerade einen Teil des Romaninhalts abdeckt und somit genug Raum für die bereits angekündigte zweite Staffel lässt.
Was bei der Serie sofort ins Auge sticht, ist der inszenatorische Aufwand, mit dem hier zu Werke gegangen wurde. Technik, Inszenierung, Ausstattung und Besetzung – alles auf höchstem Niveau. Das spiegelt auch das Personal hinter der Kamera wider: Für das Serienformat adaptiert wurde die Vorlage von der Drehbuchautorin Soo Hugh («The Terror»), die als Showrunnerin für die Serie verantwortlich ist. Inszeniert wurden die einzelnen Folgen von den beiden Regietalenten Kogonada («Columbus», «After Yang») und Justin Chon («Gook», «Blue Bayou»). Alle drei haben selber koreanische Wurzeln.
«Das Schauspieler*innen-Ensemble vor der Kamera steht ihnen in nichts nach. Insbesondere die drei Darstellerinnen von Sunja leisten fantastische Arbeit.»
Das Schauspieler*innen-Ensemble vor der Kamera steht ihnen in nichts nach. Insbesondere die drei Darstellerinnen von Sunja leisten fantastische Arbeit – sei es die umwerfende Yu-na, Oscarpreisträgerin Youn Yuh-jung oder, allen voran, Kim Min-ha, deren ausdrucksstarkes Gesicht mühelos zwischen trotzigem Kampfeswillen und verletzlicher Ängstlichkeit hin- und herwechselt und bis zum Ende ein faszinierender Blickfang bleibt.
Die Handlung der Serie beginnt gemächlich, ja verströmt in den ersten Folgen fast schon meditative Ruhe. Man nimmt sich Zeit, die verschiedenen Erzählfäden mit Bedacht zu entwickeln. Doch spätestens ab der zweiten Staffelhälfte nimmt die zunehmende Dramatisierung der Ereignisse immer mehr Fahrt auf. Dabei schrammt die Serie in manchen Momenten nur knapp an Pathos und Kitsch vorbei, um im Finale zeitweise ins Rührselige zu kippen. Da wird fast schon krampfhaft versucht, auch noch die letzte Träne aus den Zuschauerinnen und Zuschauern herauszupressen. Doch mag man der Serie nicht wirklich böse sein, hat sie sich diese Momente doch ehrlich erarbeitet, sodass man sich als Zuschauer*in dem finalen sentimentalen Pathos mit gutem Gewissen hingeben und mit Inbrunst in die Taschentücher schniefen darf.
Während die Inszenierung konstant überzeugt, bisweilen sogar begeistert, bietet das Drehbuch und insbesondere seine Figurenzeichnung etwas mehr Angriffsfläche. Die Figur des Fischhändlers Koh Hansu etwa, der im späteren Verlauf immer düsterere Züge annimmt und aus dem Hintergrund heraus Einfluss auf Sunjas Leben nimmt, schadet mit seiner seifenoperartigen Präsenz der Glaubwürdigkeit der Erzählung auf unnötige Weise. Gleichsam bildet gerade Episode 7, die sich einem brutalen Schicksalsschlag widmet, der Koh Hansu in jungen Jahren widerfuhr, ein absolutes Highlight und kann wahrscheinlich als eine der besten Serienepisoden des letzten Jahres bezeichnet werden.
Fast schwerer noch als im Falle von Koh Hansu wiegt das Scheitern einer überzeugenden Figurenzeichnung von Sunjas Enkel Solomon. Obwohl sein zunehmender innerer Konflikt, der ihn immer mehr aus der Bahn zu werfen droht, viel Potenzial birgt, wirkt er nie ganz ausgereift und greifbar. Zu sprunghaft sind Solomons teils widersprüchliche Entscheidungen und Handlungen im Verlauf der Serie, zu wenig nachvollziehbar wirkt seine Motivation. Am Ende hat das Publikum zwar verschiedene Facetten von Solomon kennengelernt, doch scheitert das Drehbuch leider daran, diese auf nachvollziehbare Weise zusammenzubringen.
«Nicht zuletzt stellt ‹Pachinko› auch ein filmisches Denkmal für die tragischen Schicksale der koreanischen Migrant*innen dar, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Japan kamen und versuchten, sich, allen widrigen Umstände zum Trotz, ein neues Leben aufzubauen.»
Doch trotz dieser Schwächen im Drehbuch überzeugt die ersten Staffel der Serie «Pachinko» insgesamt. Nicht zuletzt stellt sie auch ein filmisches Denkmal für die tragischen Schicksale der koreanischen Migrant*innen dar, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Japan kamen und versuchten, sich, allen widrigen Umstände zum Trotz, ein neues Leben aufzubauen.
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Jetzt auf Apple TV+
Serienfakten: «Pachinko» / Creator: Soo Hugh / Mit: Kim Min-ha, Yu-na, Youn Yuh-jung, Jin Ha, Lee Min-ho, Han Jun-woo, Jeong In-ji, Jung Eun-chae, Kaho Minami, Noh Sang-hyun, Anna Sawai, Jimmi Simpson / USA / 8 Episoden à 47-63 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Apple TV+
Das Familienepos «Pachinko» begeistert trotz einiger Schwächen m Drehbuch mit einer frischen Perspektive, einer aufwendigen Inszenierung und drei grossartigen Hauptdarstellerinnen.
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