Mit «Pamfir» legt der ukrainische Regisseur Dmytro Sukholytkyi-Sobchuk ein fulminantes Langspielfilmdebüt vor. Das tragische Drama kleidet sich in vielen Neo-Noir-Elementen und ist so nicht nur in seiner Filmsprache äusserst ästhetisch, sondern vermag sein Publikum auch inhaltlich zu berühren.
Nach mehreren Jahren im Ausland, um Geld zu verdienen, kehrt Leonid (Oleksandr Yatsentiuk) in sein ukrainisches Heimatdorf an der Grenze zu Rumänien zurück. Dort wird er von den meisten bloss Pamfir genannt, was sich sinngemäss in «Stein» übersetzen lässt – und das ist Leonid allemal: Nicht nur erscheint er körperlich wie ein Raufbold, sondern auch seine frühere Tätigkeit als Schmuggler zwischen der Ukraine und Rumänien haben den Familienvater innerlich erhärten lassen.
Aber damit soll jetzt Schluss sein. Mit seiner Rückkehr verspricht er seiner Frau Olena (Solomiia Kyrylova), eine stabile Zukunft ohne illegale Geschäfte aufzubauen und vor allem ein Vorbild für den gemeinsamen Sohn Nazar (Stanislav Potiak) zu sein, damit dieser nicht in Leonids Schmuggler-Fussstapfen tritt. Doch schon bald erfordern die Umstände, dass Pamfir schnell viel Geld braucht. Im abgelegenen Dorf gibt es dafür nicht viele Möglichkeiten, also scheint Leonid keine andere Wahl zu haben, als noch ein allerletztes Mal zu schmuggeln.
Mit seinen vielen ruhigen, ungeschnittenen Plansequenzen, in denen die Kamera Leonid und seinen Schmugglern beim Gang durch die stillen karpatischen Wälder folgt, vermittelt «Pamfir» Spannung und bedrückende Schwere. Und wenn Leonid sich gezwungen sieht, sich mit feindlichen Schmuggelbanden anzulegen, eskalieren diese impliziten Spannungen des Öfteren in rohe Gewalt.
«So erinnern hier nicht nur die Gewalt, die Figuren und die Bandenstrukturen an typische amerikanische Gangsterfilme à la Martin Scorsese, sondern auch die Filmsprache taucht darin ein.»
So erinnern hier nicht nur die Gewalt, die Figuren und die Bandenstrukturen an typische amerikanische Gangsterfilme à la Martin Scorsese, sondern auch die Filmsprache taucht darin ein. Grüne und rote Lichter begleiten das Geschehen rund um die Schmuggler durch die nebligen Nächte und evozieren damit eine durchdringende Neo-Noir-Ästhetik. Erst wenn Pamfir wieder auf dem kleinen Fahrrad, das unter seiner Körperfülle fast zusammenbricht, auf der Landstrasse entlangrattert, wird man daran erinnert, dass man sich gar nicht in den düsteren Seitengassen einer Grossstadt, sondern im ukrainischen Hinterland befindet.
Nebst dieser stilistischen Eigenschaften überzeugt Dmytro Sukholytkyi-Sobchuk auch mit seinen Figurenkonstruktionen und ihren Beziehungen zueinander. Der tragische Held Leonid sieht sich durch den Wunsch nach einer besseren Zukunft auch mit seinem Verhältnis zu seinen Eltern konfrontiert. Je weiter der Film fortschreitet, desto mehr wirken die familiären Beziehungen – vor allem die Vater-Sohn Verhältnisse – als Katalysator für Konflikte. Diese Familienbeziehungen entwirren sich mit jeder Szene etwas mehr und thematisieren auf einer Metaebene die Abnabelung von alten Strukturen und den Versuch, aus einer Abwärtsspirale auszubrechen. Im Kontext des Schauplatzes und der politischen Gegebenheiten spannt Sukholytkyi-Sobchuk so auch einen Bogen zur traurigen Aktualität.
In diesem Sinne knüpft die Inszenierung des Volksfests «Malanka», das von der ersten Minute an den narrativen Rahmen des Films bildet, an die Thematik von Tradition an und agiert überdies als visueller Kontrast zu den Sequenzen rund um die Schmuggelei. Der Film findet denn auch vor der Kulisse der Festivitäten, die jeweils in der Nacht auf den 13. Januar in vielen Bergdörfern der Ukraine stattfinden, seinen Höhepunkt. Wieder in beobachtenden Plansequenzen folgt die Kamera den Feierlichkeiten mit den aufwendig hergestellten Kostümen und unheimlich-monströsen Masken. Befand man sich einige Minuten zuvor noch in einem zwielichtigen, neonbeleuchteten Keller, was an ein modernes Noir-Szenario erinnerte, dann wähnt man sich nun plötzlich in einem zum Leben erweckten Caravaggio-Gemälde.
«Sukholytkyi-Sobchuk ist mit ‹Pamfir› ein virtuoses Debüt gelungen, das visuell und inhaltlich betört und noch lange nachhallt.»
So unglaublich dieser Spagat zwischen unterschiedlichen Filmsprachen und Genres scheinen mag, so beeindruckend wirken sie auf der grossen Leinwand. Da verzeiht man auch die etwas holprigen Längen, die sich hin und wieder einschleichen. Sukholytkyi-Sobchuk ist mit «Pamfir» ein virtuoses Debüt gelungen, das visuell und inhaltlich betört und noch lange nachhallt.
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Kinostart Deutschschweiz: 16.2.2023
Filmfakten: «Pamfir» («Памфір») / Regie: Dmytro Sukholytkyi-Sobchuk / Mit: Oleksandr Yatsentiuk, Stanislav Potiak, Solomiia Kyrylova, Olena Khokhlatkina, Myroslav Makoviichuk, Ivan Sharan/ Chile, Frankreich, Luxemburg, Polen, Ukraine / 102 Minuten
Bild- und Trailerquelle: trigon-film
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Interessensbindung der Autorin: Aline Schlunegger ist Mitarbeiterin bei der Neugass Kino AG im Bereich Marketing und Kommunikation. Bei Maximum Cinema schreibt sie aber unabhängig von ihrer Position beim Kino über Filme und Serien.
«Pamfir» mischt gekonnt unterschiedliche Filmgenres und -sprachen und verpackt darin einen ebenso tragischen wie fesselnden Plot. Ein Film für die grosse Leinwand.
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