Für seine bissige, genreübergreifende Gesellschaftssatire «Parasite» erhielt der koreanische Regisseur Bong Joon-ho beim diesjährigen Filmfestival von Cannes die Goldene Palme. Der Triumph ist hochverdient.
Die Parallelen zwischen «Parasite» und seinem direkten Vorgänger im Cannes-Palmarès, Hirokazu Kore-edas berührendem Drama «Shoplifters» (2018), sind nicht zu übersehen: Beide Filme handeln von mittellosen Familien, die sich mit gewieften Tricksereien eine gewisse finanzielle Sicherheit ergaunern. Doch während das bei Kore-eda auf mehr oder minder herkömmlich-kleinkriminelle Art und Weise geschieht – nämlich hauptsächlich mit Ladendiebstahl –, erinnert Bong Joon-hos unberechenbare Umsetzung dieser Ausgangslage daran, warum er mit schöner Regelmässigkeit als Enfant terrible des südkoreanischen Kinos bezeichnet wird.
Bei ihm stehen die Kims im Zentrum: Vater Kim Ki-taek (grossartig: Song Kang-ho), Mutter Choong Sook (Jang Hye-jin) und ihre beiden erwachsenen Kinder Kim Ki-woo (Choi Woo-shik) und Kim Ki-jung (Park So-dam) leben in einer schäbigen Kellerwohnung und verdienen sich ihr karges Einkommen mit dem Falten von Pizzaschachteln. Doch als Kim Ki-woo die Chance erhält, im Haushalt der superreichen Parks als Englisch-Nachhilfelehrer zu arbeiten, ergreift er die Gelegenheit und überredet die gelangweilte Frau Park (Cho Yeo-jeong) dazu, auch seine Schwester, die er als eine flüchtige Bekanntschaft vorstellt, einzustellen.
Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, denn «Parasite» lebt von seiner erzählerischen, thematischen und atmosphärischen Unvorhersehbarkeit. Wie bei Jia Zhangkes «Ash Is Purest White» (2018) und Jordan Peeles «Us» (2019) – ein spannendes transpazifisches Pendant zu Bongs Film – gibt es auch hier keinen grösseren Trugschluss als der Gedanke, man könne erahnen, worauf das Ganze zusteuert. Doch Bong kokettiert nicht damit, die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen: Die bisweilen bizarren Wendungen verkommen niemals zum Selbstzweck, sondern tragen, wie schon in Bongs postapokalyptischem Actionfilm «Snowpiercer» (2013), entscheidend zur Schärfung der komplexen Motive bei, die hier verhandelt werden.
«Parasite» ist eine rabenschwarze Satire, die mit lakonischem Witz und provokanter Schonungslosigkeit eine Geschichte über Klassenkampf und Klassenidentität erzählt und dabei die oft beschworene Illusion der kapitalistischen Meritokratie aufs Korn nimmt. Die Parks schlafwandeln im Überfluss durch ihr oberflächliches Leben, die Kims verheddern sich in ihrer Jagd nach Geld und Status – sie alle sind Teile eines von Grund auf verdorbenen, unmenschlichen Systems.
«Bong realisiert diese faszinierenden Ansätze mit der für ihn typischen Virtuosität: Er vermischt Satire und Sozialdrama mit herausragend integrierten, höchsteffektiv inszenierten Horror- und Thrillerelementen.»
Bong realisiert diese faszinierenden Ansätze mit der für ihn typischen Virtuosität: Er vermischt Satire und Sozialdrama mit herausragend integrierten, höchst effektiv inszenierten Horror- und Thrillerelementen, dank denen «Parasite» nicht nur ein politisch und gesellschaftlich brisanter Film ist, sondern obendrein auch noch über grossen Unterhaltungswert verfügt.
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Kinostart Deutschschweiz: 1.8.2019 / Streambar auf cinefile.ch
Filmfakten: «Parasite» («기생충», «Gisaengchung») / Regie: Bong Joon-ho / Mit: Song Kang-ho, Choi Woo-shik, Park So-dam, Jang Hye-jin, Cho Yeo-jeong, Lee Sun-kyun, Jung Ji-so, Jung Hyun-joon, Lee Jung-eun, Park Myung-hoon / Südkorea / 132 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
Der Palme-d'or-Gewinner «Parasite» ist Bong Joon-ho in Reinform: unterhaltsam und unberechenbar erzählt, grandios inszeniert und von dringender Relevanz.
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