Am 17. November kommt mit «Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte» Corinna Belz` zweites Künstler – Bio-Pic heraus, nachdem sie schon den Maler Gerhard Richter für «Gerhard Richter Painting» vor die Linse lockte und stellt uns nun den Schriftsteller Peter Handke vor.
Mit Werken wie «Hornissen» oder «Publikumsbeschimpfung» schaffte er es Anfang der 60. Jahre zu Weltruhm: Doch gefiel ihm die Rolle als gefeierter Popliterat aber nicht und so wandte Handke sich schnell vom grossen Trubel ab. Und ging auf Reisen. Unterwegs verfasste er etliche Berichte, zahllose Gedichte und Übersetzungen – Er war Aktivist, ist Österreicher, Orakel, Poet, stets scharfer Kritiker und ein ausgebuffter Bühnen-Dramatiker. Ausserdem Vater & Drehbuchautor. So verfasste er ganz nebenbei Meisterwerke der Deutschen Literatur wie «Himmel über Berlin» oder «Die Angst des Torwarts beim Elfmeter» – Prosa, die er zusammen mit seinem langjährigen Weggefährten, dem Regisseur Wim Wenders, zu wundervollen Drehbüchern umfunktionierte und mit Schauspielern wie Bruno Ganz, Otto Sanders oder dem Musiker Nick Cave ( Mr. Ober-Cool ) auf die Leinwand brachte.
Nun befinden wir uns auch im Wald.
Irgendwo. Pariser Vorstadt. Wirklich schön hier: Ein von Muscheln gesäumter Trampelpfad führt hinauf in ein kleines Wäldchen. Allerlei Pilze liegen zur Säuberung parat. Hier wohnt nun also Peter Handke, der Dichter und scharfsinnige Wort-Expressionist, Verfasser dutzender Bestseller – zwar räumlich getrennt von Frau und Kindern – aber fern von jeglicher Zerstreuung, zurückgezogen, mitten in seinem Lebenswerk. Es ist bestimmt nicht einfach ein Künstler-Portrait über so einen vielschichtigen, tiefgründigen Charakter zu drehen – schon auf Grund des Mediums, welches den Stoff behandelt. Kann man filmisch einem Literaten überhaupt gerecht werden? Ich finde: Ja. Denn das ist hier durchaus geschehen – zwar nicht mega-tiefgründig und voll-persönlich, trotzdem bietet die Doku einen schönen Einblick in die Gedankenwelt eines wahren Poeten.
Aber was macht der erste Star neuer deutscher Popliteratur denn in diesem Wald, mitten in der Pariser Pampa? Genau: Hauptsächlich Pilze sammeln. Das tut der inzwischen etwas ältere aber immer noch überaus aufgeweckte Dichter für sein Leben gern. Hier draussen bändigt der Meister seine verschlungenen Sätze und findet Ruhe – die Ruhe die er braucht, um nachzudenken, etwas zu schaffen und – um zu sein.
„Zum Glück ist Erfinden die schönste Materie überhaupt: Erfinden ist Materie schaffen. Es muss erfunden werden.“
Sagt der Schriftsteller mit überschlagenen Beinen im Gartenstuhl, seinen Bleistift zum Gefecht spitzend. Mit nichts anderem hat er damals den literarischen Pop-Olymp erklommen. Mit Kopf, Herz, Papier & Schreibzug. Der aus einem kleinen Kaff in Österreich stammende Schriftsteller hatte es nie leicht, macht aber auch nicht den Anschein, dies je besonders angestrebt zu haben. Ein Kind des Konflikts, Lyriker städtischer Randgebiete, der die Erscheinungsformen der Realität stets anzweifelt. Zweifellos, ein grosser feinfühliger Denker, der die Gabe hat, Gefühle und Bilder mit seiner hochpräzisen Sprache in unglaublich treffende Worte zu wandeln. Handkes schriftliche Zeugnisse seiner metaphorischen Seelen-Landschaften und die absolut präzisen Naturbeschreibungen gehen weit über blosse Schilderung hinaus und sind im Gegensatz zu den farblosen Niederschriften seiner an «Beschreibungs-Impotents» leidenden Zeitgenossen, bis heute sprachlich meist unübertroffen. Der sich einlassende, langsam zur Ruhe kommende Zuschauer in seinem weichen Kinosessel, kann den Altmeister dabei beobachten, wie er genüsslich prächtige Steinpilze in zarte Scheiben schneidet und sich an der schönen Farbe und dem wunderbaren Geräusch ergötzt, das die fetten Schwämme beim Zerteilen von sich geben, dabei immer wiedermal innehält, um auf die wahren, die wirklich wahren Werte im Leben, wie z.B. frische Pilze, strahlende Augen, hüpfende Kinder oder ein echtes menschliches Lächeln zu reden kommt.
Aber zurück zu den Pilzchen: Ein bisschen «Dreck» lasse er immer dran, sagt Handke – er mag es, noch etwas die Erde zu schmecken. Der Schriftsteller plädiert für die Rückkehr zum wahren, echten aus-sich-heraus-wirkend-natürlichen und sieht uns als unbewusste Sklaven von Maschinen: Züge, Handys, Navis, Flugzeuge, Fahrzeiten-Tabellen und digitale Posteingänge – geben uns den Rhythmus vor, nicht unsere innere Uhr, unser Bauchgefühl oder unser totgeschwiegene Instinkt.
«Ihre Betroffenheit können sie sich in den Arsch schieben»
Ja – kontrovers war er immer, und ehrlich. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, liess sich der Schreiberling Handke nie schubladisieren oder in irgendwelche vorgefertigten Raster packen. Ein Einsiedler im gefundenen Exil, ein grossherziger Grübler, der zurückgezogen mit seinen abgenutzten Stiften, verschachtelte Sätze in kleine, mit Naturskizzen angereicherte Notizheftchen schreibt.
Wie ein Herman Hesse, stets mit einer treuen, ja fast schon gläubigen Leser-Gemeinde: Damals war Handke der erste Shooting – Star deutscher Populär – Literatur. Aber er ist auch ein Kuriosum, ein Enfant-terrible: oft genug vom Publikum selbst fehlgedeutet und falschverstanden. Ein frecher aber doch schüchterner Lyriker der sich mit seiner immer schon polarisierenden Art beinahe in Abseits schoss. Oder geschossen wurde. Ein rätselhafter Zeitgenosse, der leider viel zu häufig auf seine Parteinahme im Jugoslawien-Krieg reduziert wird.
„Irgendwann hab ich beschlossen, das alles fremd ist und alles neu ist und alles unentdeckt. Es ist noch nix erzählt.“
Trotz der Schwierigkeit einen Film über einen Schriftsteller zu machen, erhalten wir schöne, sinnlich ansprechende Einblicke in seine kleinteilige Welt – wie er sie selber nennt – in das Universum Peter Handke: Einer der grössten Poeten moderner deutscher Sprache.
Die Regisseurin Corinna Belz, welche Teile ihres Studiums in Zürich verbrachte, schuf hier ein melancholisches Werk, fern von aller Hektik und Ablenkung – ein Film der zum Verweilen und Nachdenken einlädt – einfühlsam und un-aufgesetzt: Ein Loblied auf die Schönheit der Natur, die Kraft des Geistes und die Magie des unmittelbaren Moments. Was sind denn die wahren Werte? Was ist schön, was aufrichtig? Was Lebens – und Liebenswert? Alles Fragen über die man gemeinsam mit dem Schriftsteller nachsinnen kann und auch über die Kunst, dass Fühlbare und Echte denn auch Wahrzunehmen. Die Doku zeigt Handke bei sich zuhause, wie er im Garten in Gedanken versunken auf und abgeht, Pilze schnippelt und sogar wie er näht, oder es zumindest anstrebt um dann doch im Fluchen über das viel zu kleine Nadelöhr zu enden. Wie er sinniert und Schreibt – Worte zerteilt und neu zusammenfügt. Aber auch, wie er überall schönes sieht und hört, fühlt & schmeckt und uns dazu aufruft, dies ebenfalls zu tun – denn für das sind wir da: Um zu fühlen, zu lernen, wahrzunehmen, zu geniessen und denken, um zu hinterfragen und alle unsere Sinne wach zu behalten und einfach wenigstens versuchen, wahrhaftig und unverfälscht zu leben – und nicht nur um zu existieren.
Der gebannte Zuschauer beobachtet den Wort-Sezierer, wie er Sätze immer wieder umstellt und neu-arrangiert. Alles von Hand. Zu viel Technik stört den Schaffensprozess, ja zerstört ihn sogar. Der Mensch und seine die Gedanken, sind etwas Organisches und Wundersames und sollen sich nicht von mechanischen zwängen diktieren und verformen lassen. Schon das «erwartungsvolle surren» dass von den frühen elektrischen Schreibmaschinen ausging, von denen Handke natürlich eine besass, konnte der Schriftsteller nicht ausstehen. Kein Zwang. Alles von innen heraus. Ohne hasst und druck – aber doch zielgerichtet und kraftvoll, wie eine Zen-Übung.
Das spannende an diesem Streifen ist, das Sprache werden seiner Gedanken mit zu erleben, das Märchen des geglückten Tages beobachten zu dürfen. Der Soundtrack ist minimal, lässig und passt tiptop. Gestreckt werden die verwackelten Handkamera Aufnahmen mit Privaten Polaroid-Bildern und legendären Tonband-Aufzeichnungen aus Handkes eigenem Fundus. Diese Künstler-Doku lebt von dem was sie nicht hat und kann in Ruhe auf den Zuschauer einwirken. Wie der Protagonist, verwendet dieses kontemplative, fast schon meditativ anmutende Werk möglichst wenig unnötige technische Spielereien und vertraut ganz auf die Kraft der Bilder und Gedanken des grossen Literaten Peter Handke – was dem Film über die ganze Dauer der klapp eineinhalb Stunden sehr gut gelingt. Gewiss könnte alles noch Privater, konfliktgeladener und tiefschürfender sein, doch schafft es das Bio-Pic zwischendurch immer mal wieder, wirklich intime Momente im Leben des Schriftstellers festzuhalten und an seiner reichen Gedankenwelt teilzuhaben. Mit einer stetig wachsenden Abneigung gegen Technik, mahnt uns der Meister, unseren Kopf einzuschalten, wach für alle möglichen Eindrücke zu sein und voll & ganz im Moment zu verweilen, die gegebene Realität stets genau zu beobachten und zu durchschauen, zu spüren wo es wirklich lang geht und natürlich, uns selbst zu vertrauen.
Corinna Balz nimmt uns mit auf eine schöpferische Reise ins Sein und versucht uns – dem tiefen-entspannten Publikum – etwas den privaten Handke näher zu bringen und dem Zuschauer seine Gedanken und Schaffensprozesse zu erläutern. Ein un-opulentes, schönes Werk über die Rückkehr zum Einfachen und Natürlich-Echten.
Kinostart: 17. November 2016 / Regie & Drehbuch: Corinna Balz
Trailer- und Bildquelle: Look Now
No Comments