Der extravagante Film «Peter von Kant» spielt mit unzähligen Verweisen auf Rainer Werner Fassbinders Leben und Werk und zeigt nicht viel eigenen Charakter. Der Regisseur François Ozon legt mehr Wert auf das Referenzieren als auf inhaltliche Substanz.
Der Film beginnt mit einer Detailaufnahme der Augenpartie des 1982 verstorbenen deutschen Kult-Regisseurs Rainer Werner Fassbinder. Somit etabliert François Ozon («Swimming Pool», «Frantz») von Anfang an eine Verbindung zu Fassbinder und seinen zahlreichen Werken, wobei dies auch schon dank Titel und dem Poster überdeutlich ist: Der Titel lehnt sich an Film und Theaterstück «Die bitteren Tränen der Petra von Kant» (1972) und das Filmposter an den Film «Querelle» (1982). Auch durch Ozons Casting von Schauspielerin Hanna Schygulla, die bereits in «Petra von Kant» mitspielte, wird eine Beziehung zu Fassbinders Werk hergestellt.
Die Figur des launischen und herrischen Filmregisseurs Peter von Kant (Denis Ménochet) ist stark von Fassbinders eigenem Leben inspiriert. Die Figur Amir ben Salem (Khalil Gharbia), Peters Liebesäffare, weist wiederum neben dem gleichen Nachnamen noch viele andere Ähnlichkeiten zum Schauspieler El Hedi ben Salem auf, der eine Zeit lang Fassbinders Lebensgefährte war und auch in einigen seiner Filme Rollen übernahm, darunter die Hauptrolle in «Angst essen Seele auf» (1974).
«Die Figur des launischen und herrischen Filmregisseurs Peter von Kant ist stark von Fassbinders eigenem Leben inspiriert.»
In der ersten Szene, nach der Detailaufnahme von Fassbinders Augen, öffnet der persönliche Assistent von Peter von Kant die Vorhänge in Peters Schlafzimmer. Der unterwürfige Assistent ist ausserhalb des Fensters zu sehen und öffnet die Vorhänge für uns Zuschauer*innen wie bei einer Theaterbühne. Diese Eröffnungsszene, begleitet von langsamer und schwermütiger Musik, verspricht ein Drama. Dieses Versprechen wird auch sehr früh eingelöst, als Sidonie (Isabelle Adjani), eine gute Freundin von Peter, nach drei Jahren wieder bei ihm auftaucht, mit Kokain und falscher Empathie im Gepäck. Als dann noch der junge Amir, ein Bekannter von Sidonie, bei Peter vorbeischaut, ist das Drama vorprogrammiert. Peter ist von der ersten Sekunde von Amir angetan und schlägt ihm gleich eine Rolle in seinem neuen Film vor. Er möchte Amir noch beim ersten Date zu einem Filmstar machen, offenbart ihm seine Liebe und schlägt ihm vor, dass er bei ihm einziehen soll – klassische Amour fou.
Ozon inszeniert «Peter von Kant» entsprechend sehr theatralisch. Peters Wohnung dient als Hauptbühne, da sich hier die meisten Szenen abspielen – wobei das Wort «Szenen» hier im doppelten Sinne zu verstehen ist, da sich hier Eifersuchtsszenen abspielen, Tobsuchtsanfälle ausgelebt werden und der sentimentale Wahnsinn von Peter von Kant kultiviert wird. Dabei kippt das Dramatische oft ins Melodramatische, das dem Film eine bittere Oberflächlichkeit verleiht, da er gegenüber den Filmen Fassbinders keine Tiefe annehmen kann. Jedoch ist diese Oberflächlichkeit sehr wahrscheinlich bewusst von Ozon inszeniert, da sich die Filmfiguren und deren Lebensdramen ständig in Wertlosigkeiten suhlen.
«So ist der Film anfangs zwar noch vielversprechend, da er ansprechende Aufnahmen mit viel Symmetrie und aufeinander abgestimmten Farben präsentiert, die Assoziationen mit Fassbinders Werken zunächst anregend wirken und die verspielte Machtdynamik zwischen Peter und seinem Assistenten durchaus unterhaltsam ist.»
So ist der Film anfangs zwar noch vielversprechend, da er ansprechende Aufnahmen mit viel Symmetrie und aufeinander abgestimmten Farben präsentiert, die Assoziationen mit Fassbinders Werken zunächst anregend wirken und die verspielte Machtdynamik zwischen Peter und seinem Assistenten durchaus unterhaltsam ist. Doch es wird schnell klar, dass die Geschichte keine weiteren Dimensionen erforscht, die Figuren Stereotypen bleiben und das Ganze letztlich vor sich hinplätschert. Dem können auch die grossspurigen, aber emotional flachen Gefühlsausbrüche der Figuren nicht entgegenwirken.
«Peter von Kant» bietet also nicht mehr als ein klassisches filmhistorisches Derivat des 21. Jahrhunderts, bei dem der bekannte, mächtige und etwas ältere Regisseur sich in einen Jüngling verliebt, das Objekt der Begierde zum Filmstar katapultiert und sich ein immer grösser werdender Kontrollwahn beim Regisseur ausbreitet, bis die Situation schliesslich explodiert, der Regisseur durchdreht und der Filmstar den eigenen Weg geht. Wer sich das antun möchte, sich zugleich aber ein gehaltvolleres und vielschichtigeres Filmerlebnis einlassen möchte, sollte vor der «Peter von Kant»-Visionierung zuerst «Die bitteren Tränen der Petra von Kant» und weitere Fassbinder-Meisterwerke wie «Angst essen Seele auf» oder «Faustrecht der Freiheit» (1975) schauen.
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Kinostart Deutschschweiz: 22.9.2022 / Streambar auf myfilm.ch, filmingo oder Apple TV
Filmfakten: «Peter von Kant» / Regie: François Ozon / Mit: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Stéfan Crépon, Khalil Gharbia, Hanna Schygulla / Frankreich / 85 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
«Peter von Kant» schmückt sich mit den Filmwerken von Rainer Werner Fassbinder, liefert selbst aber nicht viel. Man ist bei den Filmen Fassbinders definitiv besser aufgehoben.
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