Nach seinem Spielfilmdebüt, dem internationalen Arthouse-Erfolg «The Lunchbox», doppelt der indische Regisseur Ritesh Batra mit einer weiteren märchenhaft-nostalgischen Liebesgeschichte nach: «Photograph» ist leise, charmant und vielleicht sogar ein bisschen zu behutsam inszeniert.
Wer «The Lunchbox» (2013) gesehen hat, weiss mindestens zwei Dinge über Ritesh Batra: erstens, dass er seine Heimatstadt Mumbai über alles liebt; zweitens, dass er ein Freund der klassischen Hollywood-Romanze ist. Der Film über einen Buchhalter, der sich aufgrund einer verwechselten Lunchbox auf einen intimen Briefwechsel mit einer unglücklich verheirateten Frau einlässt, ist eine sympathische Hommage sowohl an die Lunchbox-Lieferanten von Mumbai – die berühmten «Dabbawalas» – als auch an das Ernst–Lubitsch-Meisterwerk «The Shop Around the Corner» (1940).
Nach zwei Literaturadaptionen, bei denen er das Drehbuch nicht selber verfasste («The Sense of an Ending», «Our Souls at Night»), kehrt Batra in «Photograph» zu diesen beiden Vorlieben zurück. Wie in David Leans Klassiker «Brief Encounter» (1945) führt hier ein flüchtiges Aufeinandertreffen zweier Menschen aus unterschiedlichen Verhältnissen zu einer komplizierten, hindernisreichen Liebesgeschichte.
Rafi (Nawazuddin Siddiqui) lebt in bescheidenen Verhältnissen und verdient sich seinen kargen Lebensunterhalt, indem er Menschen vor einer Mumbaier Touristenattraktion fotografiert; Miloni (Sanya Malhotra) kommt aus einer gutbürgerlichen Mittelstandsfamilie, lässt sich zur Wirtschaftsprüferin ausbilden und ist im Stillen frustriert darüber, wie sie von ihren Eltern bevormundet wird. Eines Tages schiesst Rafi ein Foto von Miloni und gibt sie, um seine aufdringliche Grossmutter (die herrliche Farrukh Jaffar) zu besänftigen, als seine Verlobte aus. Doch wie es der Teufel will, will Oma die junge Frau natürlich persönlich kennenlernen.
«Photograph» ist ambitionierter als «The Lunchbox» – teils Milieustudie, teils ein schwärmerisches Stück magischer Realismus, teils ein Porträt der Klassenunterschiede im modernen Indien. Batra reichert den Film mit faszinierenden Miniaturen an: Die Diskussionen zwischen Rafi und seinen Freunden, Mitbewohnern und Kollegen gewährt Einblick in die Stimmungslage der urbanen Arbeiterklasse Mumbais. Dass Miloni ein Geheimnis mit der armen Haushälterin ihrer Familie teilt, ist angesichts des Machtgefälles zwischen den beiden von gesellschaftspolitischem Belang. Die Gegenüberstellung von Rafi und Milonis übergriffigem Buchhaltungslehrer spielt auch auf die Debatte über frauenfeindliche Gewalt in Indien an.
«Die allerletzte Szene des Films ist eine wunderschöne selbstreflexive Verneigung vor der Magie der Kino-Romantik.»
Vorgetragen wird das Ganze aber mit einem bisweilen frustrierend übervorsichtigen Minimalismus: Anstatt auf grosse Emotionen verlässt sich Batra auf einen sachlich-schlichten Erzählstil. Da aber Rafi und Miloni – trotz guter Leistungen von Nawazuddin Siddiqiui und Sanya Malhotra – nicht sonderlich scharf umrissene Figuren sind, wirkt diese Zurückhaltung nicht subtil, sondern kühl und distanziert. Die grosse Ausnahme bildet die allerletzte Szene des Films, mit der Batra eine wunderschöne selbstreflexive Verneigung vor der Magie der Kino-Romantik gelungen ist. Schade nur, dass «Photograph» diesem Anspruch nicht vollauf gerecht werden kann.
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Kinostart Deutschschweiz: 11.7.2019
Filmfakten: «Photograph» / Regie: Ritesh Batra / Mit: Nawazuddin Siddiqui, Sanya Malhotra, Farrukh Jaffar / Indien, USA / 108 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
«Photograph» ist kühler und distanzierter als «The Lunchbox», punktet aber mit guten Darstellern und spannenden thematischen Ansätzen.
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