In Japan ist ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt. «Plan 75» zeigt auf dystopische Art, wie in Zukunft mit dem Problem umgegangen werden könnte. Das Ergebnis ist ein bedrückender Film, der leider nicht sein volles Potenzial ausschöpft.
In einem zukünftigen Japan hat sich das Problem der Überalterung weiter zugespitzt. Handlungsbedarf sieht der Staat spätestens nach einem Attentat auf ein Altersheim: Ein junger Japaner bringt mehrere Senioren*innen auf blutrünstige Weise um. Seine Begründung: Der Überschuss an alten Menschen sei eine enorme Belastung für die Wirtschaft; die Jungen würden darunter leiden.
Als Reaktion auf den Amoklauf installiert die Regierung das Programm «Plan 75». Allen Personen ab 75 wird durch das neue Programm ein Recht auf aktive Sterbehilfe eingerichtet. Dieses Recht wird unterstützt durch eine umfassende Kampagne, die darauf abzielt, ältere Menschen mit Belohnungen wie Geld, Resort-Aufenthalten oder einem Gesprächsdienst zum Freitod zu bewegen.
Der Film erzählt die Geschichte von drei verschiedene Personen: einer Seniorin (Chieko Baishō), die sich einsam fühlt und keinen Grund zum Leben mehr sieht, eines abgestumpften «Plan 75»-Verkäufers (Hayato Isomura) und einer jungen philippinischen Pflegerin und Mutter (Stefanie Arianne). Dabei ist nicht jede Geschichte gleich gut erzählt und gelungen.
Am meisten gefällt die Geschichte der Seniorin, was nicht zuletzt an der grossartigen darstellerischen Leistung von Chieko Baishō liegt. In diesem Erzählstrang schafft es Regisseurin und Co-Autorin Chie Hayakawa, aufzuzeigen, wie abgrundtief traurig und einsam das Leben als Seniorin sein kann, und wie empfänglich man in dieser Lage für jegliche Manipulation und Aufmerksamkeit ist. Mit dieser Erzählung wird der Geschichte von «Plan 75» eine reales, verletzliche Dimension verliehen, sodass das Publikum sich mit den Ängsten der Protagonistin gut identifizieren kann.
«Noch nie war das Thema des Älterwerdens und der daraus folgenden potenziellen Verarmung aktueller.»
Bedauerlicherweise gelingt dies nicht mit den beiden anderen Erzählsträngen. Die Darstellungen der Pflegerin und des Verkäufers fallen dort zu stoisch und mechanisch aus. Der Verkäufer unterstützt seinen Onkel (Taka Takao), als dieser den Entschluss gefasst hat, mit Plan 75 aus dem Leben zu scheiden. Die grossen Emotionen und die Auseinandersetzung mit dem, was es heisst, solch ein System zu unterstützen, bleiben leider aus. Sehnlich wünscht man sich mehr von der Geschichte der Seniorin herbei.
Auch die Geschichte der philippinischen Pflegerin ist nur minder gelungen. Chie Hayakawa möchte hier mit dem Aufgreifen einer anderen Kultur darauf hindeuten, wie viel stärker die familiären Bande in philippinischen Familien gegenüber japanischen Familien sein könnten. Doch die Geschichte erblasst im Vergleich zu der mit Chieko Baishō im Zentrum und schafft es nicht, mit ihren eintönigen Dialogen und Handlungen in Erinnerung zu bleiben. Es fehlt an Emotionen und an einer Vertiefung der Konsequenzen, die das von der Pflegerin unterstützte System mit sich bringt.
«Plan 75» ist dennoch ein beeindruckender Film, der es vermag, eine Geschichte zu erzählen, die zum Nachdenken anregt. Trotz seiner Schwächen ist er sehenswert und weckt Lust nach mehr von Chie Hayakawa. Immerhin trifft sie hier genau den Nerv der Zeit: Noch nie war das Thema des Älterwerdens und der daraus folgenden potenziellen Verarmung aktueller.
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Kinostart Deutschschweiz: 4.5.2023
Filmfakten: «Plan 75» / Regie: Chie Hayakawa / Mit: Chieko Baishō, Hayato Isomura, Yuumi Kawai, Taka Takao, Stefanie Arianne / Japan, Philippinen, Frankreich, Katar / 112 Minuten
Bild- und Trailerquelle: First Hand Films
«Plan 75» zeigt, wovor sich alle fürchten: im Alter einsam und ungewollt zu sein. So grandios wie manche Szenen sind, so durchschnittlich sind leider die anderen.
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