Elf Jahre nach seinem ersten Solo-Film kehrt der gestiefelte Kater aus den «Shrek»-Filmen auf die grosse Leinwand zurück. «Puss in Boots: The Last Wish» ist ein überraschend tiefsinniges, kleines Abenteuer.
Dass es weiss, dass seine besten Tage in der Vergangenheit liegen, stellt das Animationsstudio DreamWorks bereits in den ersten 30 Sekunden von «Puss in Boots: The Last Wish» klar: Ein neues, aufwendig animiertes Logo ruft uns noch einmal die Held*innen aus den grössten Hits der Animationsschmiede in Erinnerung, fast so, als wollte uns das Studio damit sagen: So wie damals wird es nicht mehr.
Damals, das ist die Zeit, als das Trickfilmstudio mit Filmen wie «Shrek» (2001), «Kung Fu Panda» (2008) und «How to Train Your Dragon» (2010) Kassenschlager um Kassenschlager produzierte. Heute, rund 30 Jahre nach seiner Gründung spielt DreamWorks keine Rolle mehr im Animationsfilmbusiness. Der frühere Konkurrent Disney ist inzwischen zu gross und zu mächtig – und wenn, sind es andere, die ihm noch gefährlich werden können.
Illumination, zum Beispiel: Dem Studio hinter den «Despicable Me»– und «Minions»-Abenteuern (seit 2009) ist DreamWorks seit der Übernahme durch Universal im Jahr 2016 unterstellt – und das mit gutem Grund. Illumination ist eine lupenreine Erfolgsschmiede und in vielerlei Hinsicht gewissermassen die Antithese zum Branchengiganten Disney: Statt immer realistischerer, aufwendigerer und teurerer Animation setzt Illumination auf günstige und ökonomische Arbeit, die dort Ressourcen spart, wo man es bestenfalls gar nicht merkt. Dass die Minions alle gleich aussehen und nicht unbedingt komplex gestaltet sind, ist kein Zufall.
Und der Erfolg gibt Illumination recht. Zum Vergleich: Der unlängst veröffentlichte «Minions: The Rise of Gru» (2022) spielte dem Studio bis dato beinahe eine Milliarde Dollar in die Taschen – bei einem Budget von gerade einmal 80 Millionen. Das ist deutlich weniger als Disney für seinen eben gerade erschienenen Familienfilm «Strange World» (2022) ausgab, dessen Budget zwischen 135 und 180 Millionen geschätzt wird und der zum jetztigen Zeitpunkt mit Einnahmen von lediglich 60 Millionen ein gigantischer Flop ist.
Worin sich Disney und Illumination – respektive Universal – auf alle Fälle einig sind, ist in ihrer Begeisterung für Fortsetzungen und Franchisen. Und so wird seit der Übernahme auch bei DreamWorks alles neu aufgerollt: Ein fünfter «Shrek»-Film befindet sich in der Entwicklungsphase, «Kung Fu Panda» erhält ebenfalls einen vierten Teil – und auch «Puss in Boots» (2011) geht nun weiter. Die Planung für die nun produzierte Fortsetzung begann zwar schon kurz nach Erscheinen des ersten Teils, wurde jedoch nie realisiert.
Elf Jahre später leiht Antonio Banderas («Dolor y gloria») dem gestiefelten Animations-Kater nun also wieder seine Stimme für sein neues Abenteuer. Darin bekommt es dieser mit der Angst zu tun: Nachdem er – meist auf höchst unvorsichtige Art und Weise – bereits acht seiner Büsi-Leben verwirkt hat, bleibt dem gestiefelten Kater nur noch eines übrig. Ein Problem, das ein magischer Wunschstern lösen könnte – doch nicht nur der gestiefelte Kater hat es darauf abgesehen; auch ein herzloser Tortenmagnat und eine Gaunerbande sind auf der Suche nach diesem Stern.
«Der Film bewegt sich auf altbekannten erzählerischen Pfaden – inklusive der abgedroschenen Erkenntnis, dass der wahre Schatz doch die Freundschaft ist. Über so viel Klischee hätten sich die ‹Shrek›-Filme früher lustig gemacht.»
«Puss in Boots: The Last Wish» ist ein klassisches Roadmovie, das gar nicht vorhat, diesem Genre allzu viel Neues abzugewinnen. Und so bewegen wir uns, irgendwo zwischen «Mad Max: Fury Road» (2015), «Reckless Journey» (2017) und dem Pixar-Abenteuer «Onward» (2020), auf altbekannten erzählerischen Pfaden – inklusive der abgedroschenen Erkenntnis, dass der wahre Schatz doch die Freundschaft ist. Über so viel Klischee hätten sich die «Shrek»-Filme früher lustig gemacht.
Was den Animationsfilm von Joel Crawford («The Croods: A New Age») aber auszeichnet, ist, wie konsequent und dicht er seine Geschichte erzählt. Hier hat jede Figur ihre Aufgabe und jede Dialogzeile ihren Platz – alle mit dem Ziel, das zentrale Thema des Films herauszuarbeiten: die Todesangst seines grossen Helden, der damit eine glaubhafte Schwäche – und mit ihr überraschend viel Tiefe – erhält.
Und «Puss in Boots: The Last Wish» macht wirklich Angst. Gerade der wiederkehrende Kopfgeldjäger-Wolf, gesprochen von Wagner Moura («Narcos»), sorgt für einige sehr gruselige Momente, bei denen man besorgt auf die hiesige Altersfreigabe ab vier Jahren blickt. Nun denn, früh verstört sich.
Trotz Düsterkeit und Tiefsinn ist «Puss in Boots: The Last Wish» eine spassige Angelegenheit, nicht zuletzt, weil der Film den frechen Humor aus den «Shrek»-Filmen mit viel dödeligen Pointen kombiniert. Hin und wieder zielt eine Pointe daneben, doch das machen die charmanten Synchronsprecher*innen locker wett: John Mulaney («Spider-Man: Into the Spider-Verse») ist eine Freude als sadistischer «Big» Jack Horner, während Florence Pugh («Little Women»), Olivia Colman («The Favourite»), Ray Winstone («The Departed») und Samson Kayo («Our Flag Means Death») als Goldlöckchen, respektive ihre schräge Bärenfamilie, überzeugen. Der heimliche Star des Films ist jedoch ein anderer: Der hausinterne Story-Supervisor Kevin McCann, der das wohl charmanteste Grillen-Gewissen des aktuellen Kinojahres (und von denen gab es dieses Jahr ja einige) spricht.
«Regisseur Joel Crawford macht aus der Not eine Tugend und nutzt die Reduktion, um mit einem skizzenhaften, eher gröberen Stil zu experimentieren, den man im Computeranimationsfilm so kaum kennt.»
Was die Optik betrifft, lässt sich hier – wie auch schon bei der DreamWorks-Heist-Komödie «The Bad Guys» (2022) – eindeutig die Illumination-Handschrift erkennen. Heisst konkret: ein reduzierter Look und simple Bildwelten, die sich von allem unterscheiden, was man bisher von DreamWorks kannte. Doch billig sieht das keinesfalls aus – im Gegenteil: Regisseur Joel Crawford macht aus der Not eine Tugend und nutzt die Reduktion, um mit einem skizzenhaften, eher gröberen Stil zu experimentieren, den man im Computeranimationsfilm so kaum kennt. Das Experiment gelingt nicht immer, denn manchmal sieht «Puss in Boots: The Last Wish» deswegen sogar ziemlich hässlich aus – aber insgesamt lohnt sich diese Stilisierung, weil sie dem Film einen frischen Look verleiht, der sich deutlich von den glatten «Shrek»-Bildern abhebt.
Wer bei so viel stilisierter Computeranimation an «Spider-Man: Into the Spider-Verse» (2018) denkt, liegt nicht falsch. Auch «Puss in Boots: The Last Wish» – bei dem bis im März 2021 noch «Spider-Verse»-Co-Regisseur Bob Persichetti auf dem Regiestuhl sass – setzt auf dynamische, rasante Actionsequenzen und einen Mix aus verschiedenen Techniken. Das sieht zwar nicht immer ganz so gut aus wie beim Vorbild, aber der mutige, experimentierfreudige Kurs, den DreamWorks mit seinen neuen Filmen einschlägt, macht Spass – und Hoffnung.
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Kinostart Deutschschweiz: 22.12.2022
Filmfakten: «Puss in Boots: The Last Wish» / Regie: Joel Crawford / Mit: Antonio Banderas, Salma Hayek, Harvey Guillén, Florence Pugh, Olivia Colma, Ray Winstone, Ray Winstone, Samson Kayo, John Mulaney, Wagner Moura, Da’Vine Joy Randolph / USA / 102 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Universal Pictures Switzerland
Der neue Kurs von DreamWorks macht Hoffnung: «Puss in Boots: The Last Wish» ist ein launiges, manchmal etwas düsteres Abenteuer, das visuell Neues wagt und mit Tiefsinn punktet.
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