Eine junge Heldin, ein uralter Drache und die Mission, die Menschheit zu retten: «Raya and the Last Dragon», der neue Disney-Film von Don Hall und Carlos López Estrada, ist ein rasantes Abenteuer, mit dem das Studio einmal mehr beweist, zu welchen technischen Meisterleistungen es fähig ist. Erzählerisch ist der Film hingegen eine ernüchternde Angelegenheit.
Seit Jahren fährt Hollywood eine Grossoffensive, um im immer wichtiger werdenden chinesischen Markt Fuss zu fassen – bisher mit mässigem Erfolg. Vorne mit dabei ist natürlich Disney, das zuletzt mit «Mulan» (2020) versuchte, das chinesische Publikum für sich zu gewinnen. Doch während das Live-Action-Remake für seinen lieblosen Umgang mit der chinesischen Kultur, sowie die fehlende Repräsentation chinesischer Filmschaffender in Schlüsselpositionen (Regie, Drehbuch), in China auf breite Ablehnung stiess, störte sich das westliche Publikum daran, mit welcher Unbekümmertheit sich Disney an das chinesische Regime anbiederte: So wurde «Mulan» unter anderem in direkter Nähe der Konzentrationslager für die uigurische Minderheit in Xinjiang gedreht.
Kurz: «Mulan» deckte schonungslos auf, welche Gratwanderung das Erschliessen des chinesischen Markts für amerikanische Produktionen darstellt. Interessant, dass «Raya and the Last Dragon», Disneys nächster Annäherungsversuch, vieles anders macht – und letztlich doch dieselben Fehler wiederholt.
Doch worum geht’s? Der Film spielt in der fiktiven Welt Kumandra, in der Drachen und Menschen einst in Harmonie lebten. Das änderte sich schlagartig, als die Welt von den Druun – Monster, die alles Lebende zu Stein verwandeln – angegriffen wurde: Die Drachen opferten ihr Leben, um die Druun zu besiegen und so die Menschheit zu retten. Als 500 Jahre später die Druun zurückkehren, macht sich die junge Kriegerin Raya (Stimme: Kelly Marie Tran) auf die Suche nach dem letzten Drachen, um die Gefahr ein für allemal zu bannen und das inzwischen gespaltene Kumandra wieder zu vereinen.
«Visuell kann ‹Raya and the Last Dragon› überzeugen: Der Film bietet eine Vielzahl verschiedener und allesamt atemberaubender Landschaften, überragende Effekte und charmante Figuren und ist ausserdem animationstechnisch einer der besten Disney-Filme der vergangenen Jahre.»
Visuell kann «Raya and the Last Dragon» überzeugen: Der Film bietet eine Vielzahl verschiedener und allesamt atemberaubender Landschaften, überragende Effekte und charmante Figuren und ist ausserdem animationstechnisch einer der besten Disney-Filme der vergangenen Jahre. Die Wucht der kraftvollen Kampfsequenzen ist selbst auf dem heimischen Bildschirm deutlich spürbar. Untermalt wird das Ganze zudem von einem rasanten Score von James Newton Howard. Der altgediente Hollywood-Komponist («The Fugitive», «Atlantis: The Lost Empire») erfindet hier weiss Gott nicht das Rad neu, bietet aber eingängige und verspielte Themen, die noch lange nachhallen.
«Raya and the Last Dragon» bietet zudem haufenweise neuer Figuren ein, dass es bisweilen ein bisschen schwer fällt, den Überblick zu behalten. Getragen wird der Film von der Golden-Globe-Preisträgerin Awkwafina («The Farewell»), welche den schusseligen, liebenswürdigen Drachen Sisu spricht. Sisu ist mit ihrer naiven und optimistischen Art so etwas wie der emotionale und moralische Kompass des Films. Einen solchen hat der Film auch dringend nötig, denn die eigentliche Protagonistin bleibt eher blass. Vielleicht liegt es daran, dass das Drehbuch Raya zu viele Konflikte aufbürden will, die es nie zufriedenstellend zusammenführen und denen es somit auch nicht gerecht werden kann: hier Rayas Trauer über den «Verlust» ihres Vaters (Daniel Dae Kim), dort ihr ewiges Duell mit der Kriegerin Namaari (Gemma Chan), dort ihr generelles Misstrauen. Dass «Raya and the Last Dragon» darüber hinaus noch zahlreiche weitere Nebenfiguren einführt, hilft der Entwicklung der Hauptfigur leider auch nicht. Immerhin: Dank der tollen Awkwafina fällt das zum Glück nicht allzu schwer ins Gewicht.

Sisu (Awkwafina) / © Disney 2021. All Rights reserved.
«Getragen wird der Film von der Golden-Globe-Preisträgerin Awkwafina, welche den schusseligen, liebenswürdigen Drachen Sisu spricht. Sisu ist mit ihrer naiven und optimistischen Art so etwas wie der emotionale und moralische Kompass des Films.»
Dennoch scheint es, als krankte dieser Abenteuerfilm ganz generell daran, dass er zuviel möchte. So gibt es viel, das wir über die Welt Kumandra, in der fünf verfeindete Völker leben, gerne wissen möchten. Doch der Film hetzt so rasch durch seine Exposition, und mit ihr durch die verschiedenen Kulturen, dass nur wenig Zeit bleibt, um in die Tiefe zu gehen, was ziemlich ermüdend wirkt.
Spätestens hier drängt sich der Vergleich mit der erfolgreichen Animationsserie «Avatar: The Last Airbender» (2005–2008) auf, die ebenfalls in einer fiktiven, asiatisch geprägten Welt spielt, in der ein Streit unter vier unterschiedlichen Nationen entbrennt. Die Nickelodeon-Serie wird auch heute noch oft für ihre intensive Auseinandersetzung mit ostasiatischer Kultur, chinesischer Kampfkunst, hinduistischen, buddhistischen und taoistischen Lehren gelobt. Doch während «Avatar» für sein Worldbuilding über 60 halbstündige Episoden lang Zeit hatte, soll in «Raya and the Last Dragon» Vergleichbares in rund zwei Stunden abgehandelt werden. Dass das nicht wirklich aufgeht, überrascht gar nicht – ernüchternd ist es trotzdem.
«Während ‹Avatar: The Last Airbender› für sein Worldbuilding über 60 halbstündige Episoden lang Zeit hatte, soll in ‹Raya and the Last Dragon› Vergleichbares in rund zwei Stunden abgehandelt werden. Dass das nicht wirklich aufgeht, überrascht gar nicht – ernüchternd ist es trotzdem.»

© Disney 2021. All Rights reserved.
Und dann ist da eben das Problem mit der Repräsentation: Gleich vier Personen führten bei «Raya and the Last Dragon» Regie, wenn man die beiden Co-Regisseure Paul Briggs und John Ripa mitrechnet. Weder die beiden noch Hall und López Estrada haben einen asiatischen Hintergrund. Dasselbe gilt für die vier Produzent*innen des Films. Immerhin das Drehbuch stammt aus der Feder der malaysisch-amerikanischen Autorin Adele Lim («Crazy Rich Asians») und des vietnamesisch-amerikanischen Autoren Qui Nguyen («Dispatches from Elsewhere») – doch auch ihnen wurde ein sechsköpfiges, nicht-asiatisches Story-Team zur Seite gestellt. Da kann Disney noch so sehr auf einen fast ausschliesslich asiatischen Cast setzen: In Anbetracht der Dominanz nicht-asiatischer Filmschaffender in Schlüsselpositionen wirkt das wie Augenwischerei.
«Raya and the Last Dragon» bietet entsprechend visuell beeindruckende Welten, für die sich das Drehbuch viel zu wenig interessiert. Das enttäuscht. Der Film von Don Hall und Carlos López Estrada will viel, bleibt uns erzählerisch aber einiges schuldig. Und einmal mehr verpasst Disney die Gelegenheit, bei der Darstellung einer anderen Kultur mit Repräsentation ernst zu machen.
Über «Raya and the Last Dragon» wird auch in Folge 21 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Filmfakten: «Raya and the Last Dragon» / Regie: Don Hall, Carlos López Estrada / Mit: Kelly Marie Tran, Awkwafina, Gemma Chan, Daniel Dae Kim, Sandra Oh, Benedict Wong, Alan Tudyk / USA / 114 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Disney
«Raya and the Last Dragon» ist kein Volltreffer. Der wunderschön animierte Abenteuerfilm stolpert über die eigenen Ansprüche und sein wirres Drehbuch.
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