Nur wenige Menschen verdienen eine ehrfürchtige Huldigung in Dokumentarfilmform, wie sie Betsy West und Julie Cohen mit «RBG» vorlegen. US-Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist einer davon.
Einigermassen pünktlich zu ihrem 85. Geburtstag steht Ruth Bader Ginsburg bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr im Fokus eines Deutschschweizer Kinostarts: Nach Mimi Leders Biopic «On the Basis of Sex» mit Felicity Jones in der Hauptrolle wird das bemerkenswerte Leben der New Yorker Juristin in der CNN-Produktion «RBG» dokumentarisch aufgerollt.
Doch wer mit dem Wunsch ins Kino geht, Bader Ginsburgs Wirken journalistisch seziert zu sehen, wird enttäuscht werden. Dies ist nicht das Ziel, das Betsy West und Julie Cohen hier verfolgen. Stattdessen überlassen sie die kritische Auseinandersetzung Jill Lepores «New Yorker»-Porträt und dem Podcast «RBG: Beyond Notorious», der eigens zur Ergänzung des Films produziert wurde, und konzentrieren sich auf Bader Ginsburg als Ikone des progressiven Amerika.
«All I ask of our brethren is that they will take their feet from off our necks» – Sarah Grimké
Ein Blick in ihre Biografie genügt, um zu merken, dass das ein legitimer Ansatz ist. Ihr Leben ist gezeichnet vom Durchbrechen der sprichwörtlichen gläsernen Decke, noch bevor der Begriff weithin bekannt war. Als Jurastudentin brillierte sie in Cornell und Harvard – zu einer Zeit, als ihr Studienplatz als «Verschwendung» betrachtet wurde, weil ihr, so die Meinung ihrer männlichen Kommilitonen und Dozenten, ja ohnehin eine Zukunft als Hausfrau blühen würde.
Mit Hilfe einer Auswahl von faszinierenden Diskriminierungs- und Gleichberechtigungsfällen, auf die sich Bader Ginsburg während der Siebzigerjahre als Anwältin spezialisierte, arbeiten sich West und Cohen in der Folge an Bader Ginsburgs vergleichsweise späte Karriere als Richterin heran. Seit 1993 sitzt sie am Obersten Gerichtshof, wo sie sich über die Jahre zur wohl prominentesten liberalen Stimme entwickelte – und wo sie für ihre feurigen Dissens-Voten gegen die zunehmend rechtskonservative Mehrheit den Übernamen «The Notorious R.B.G.» erhielt und so gerade unter linken Millennials Kultstatus erlangte.
«Ein mitreissendes, oft auch bewegendes Plädoyer für lauten und unbequemen Widerstand und Aktivismus»
Der Effekt dieser Geschichte ist kaum von der Hand zu weisen: «RBG» ist ein mitreissendes, oft auch bewegendes Plädoyer für lauten und unbequemen Widerstand – und Aktivismus – gegen die unterdrückerischen patriarchalen Strukturen, welche nicht nur die amerikanische Gesellschaft bis heute prägen. Vor dem derzeitigen politischen Hintergrund ist so ein Film nicht nur relevant, sondern auch bitter nötig.
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Kinostart Deutschschweiz: 28.3.2019
Filmfakten: «RBG» / Regie: Julie Cohen, Betsy West / Mit: Ruth Bader Ginsburg / USA / 97 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Ascot Elite
«RBG» mag parteiisch und filmisch konventionell sein. Das ändert aber nichts daran, dass seine Botschaft für unsere Zeit essenziell ist.
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