«Rimini» beginnt nicht in Italien am Strand, sondern in Österreich im Altersheim. Dort ist die Kamera frontal auf eine Reihe altersschwacher Sänger und Sängerinnen gerichtet. «So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der dürfte nie vergeh’n», singen sie. Das klingt leider überhaupt nicht schön; die Ironie geht nicht an einem vorbei. Man weiss ziemlich bald, dass man einen Film von Ulrich Seidl schaut.
Erst nach den Anfangstiteln kommt dann endlich der Protagonist ins Bild: Der abgehalfterte Schlagersänger Richie Bravo (Michael Thomas) steigt nächtens aus einem Zug. Der Bahnhof steht in Parndorf, dem Kaff seiner Kindheit; im verlassenen Elternhaus wartet bereits sein Bruder Ewald (Georg Friedrich) auf ihn. Mit wenigen Worten, dafür umso mehr Schnaps, stossen sie auf die kürzlich verstorbene Mutter an und schiessen im Keller mit dem Luftgewehr auf alte Flaschen – vermutlich Selbstgebrannter. Jedes Bild suggeriert Trostlosigkeit: das braune Holzimitat der Innenarchitektur, die beigen Textilien, die mottenzerfressenen Jagdtrophäen – sie alle machen klar, dass das Leben hier schon lange ausgezogen ist.
«Jedes Bild suggeriert Trostlosigkeit: das braune Holzimitat der Innenarchitektur, die beigen Textilien, die mottenzerfressenen Jagdtrophäen – sie alle machen klar, dass das Leben hier schon lange ausgezogen ist.»
Nach der Beerdigung, bei der Richie noch ein pathetisches Ständchen vor dem scheinbar gleichgültigen Bruder und dem demenzkranken Vater (Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle) zum Besten gibt, kehrt er zurück nach Rimini. Dort scheint es erst so, als würde nichts und niemand auf ihn warten. Seinen exzessiven Alkoholkonsum verdient sich Richie mit Auftritten vor pensionierten Urlaubern und den Liebesdiensten an deren Frauen, was dann und wann zu ziemlich amüsanten Szenen führt. Natürlich haftet dem Ganzen etwas Absurdes an, doch letztendlich scheint die Inszenierung sehr berechnend auf Mitleid für den verlorenen Troubadour abzuzielen. Als dann aber noch Richies entfremdete Tochter (Tessa Göttlicher) auftaucht und Geld von ihm verlangt, wirkt die Geschichte plötzlich sehr durchschaubar.

Michael Thomas als Richie Bravo.
Visuell ist «Rimini» klar als Zusammenarbeit von Ulrich Seidl («Im Keller») und seinem langjährigen Kameramann Wolfgang Thaler zu erkennen. Das ist keineswegs schlecht. Und dennoch beschleicht einen bisweilen das etwas enttäuschende Gefühl, dass man das Geschehen hier schon in ähnlicher Form gesehen hat, dass man weiss, wo der Film hinwill.
Der dokumentarische Stil funktioniert in jenen Momenten gut, in denen die Erzählung auf die Spitze getrieben wird – etwa wenn Richie gleich mit zwei alternden Damen lustige Spiele treiben möchte und dabei niemand mehr auf seine Kosten kommt, oder wenn der Vater sich schamlos in seiner Nazi-Vergangenheit wähnt und Hitler-grüssend durch sein kleines Zimmer im Altersheim schlurft. In anderen Momenten hingegen wirkt «Rimini» pseudopoetisch und gezwungen, was ihm diverse Längen und eine gewissen Zähflüssigkeit verleiht. Das Reisserische, das die Filme Seidls sonst auszeichnet, bleibt diese Mal über weite Strecken aus – und der Unterhaltungswert mit ihm.
«Das Reisserische, das die Filme Seidls sonst auszeichnet, bleibt diese Mal über weite Strecken aus – und der Unterhaltungswert mit ihm.»
Es ist nicht Seidls bester Film. «Rimini» bleibt über weite Strecken ein mittelmässiges, diffuses Erlebnis. Mit der Vater-Tochter-Geschichte bedient sich Seidl ausserdem eines dramaturgisches Klischees, das nicht mit dem Konzept des Films harmoniert und somit genauso schal und abgehalftert wirkt wie sein Protagonist. Es bleibt zu hoffen, dass das Begleitwerk «Sparta» mit Georg Friedrich in der Hauptrolle – auch in Zusammenarbeit mit Veronika Franz («Ich seh Ich seh») verfasst – wieder zum Elan von früheren Filmen Ulrich Seidls zurückfindet. Und wenn man auf dieser Hoffnung aufbauen möchte, lohnt es sich allemal, «Rimini» zu schauen.
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Kinostart Deutschschweiz: 6.10.2022
Filmfakten: «Rimini» / Regie: Ulrich Seidl / Mit: Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Inge Maux, Claudia Martini, Hans-Michael Rehberg, Georg Friedrich / Österreich, Frankreich, Deutschland / 114 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Xenix Filmdistribution GmbH
Ulrich Seidl schafft mit «Rimini» einen mässig originellen Film mit vorhersehbarem Plot und altbekannten absurden Elementen. Man kann nur hoffen, dass das Bruderstück «Sparta» lebendiger wird.
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