Der Film, für den Denzel Washington 2018 seine achte Schauspiel-Oscarnomination erhielt, ist dank Netflix nun endlich auch in der Schweiz zu sehen. «Roman J. Israel, Esq.», inszeniert vom «Nightcrawler»-Regisseur Dan Gilroy, hat das Herz auf dem rechten Fleck, schafft es aber nicht, alle seine Ideen unter einen Hut zu bringen.
Profitorientierte Anwälte, korrupte Strafabsprachen, rassistische Urteilssprechungen, dazu eine Kultur des rücksichtslosen Individualismus – das amerikanische Justizwesen bietet mehr als genug Angriffsfläche für einen kritischen Film mit sozialem Gewissen. Das haben in den letzten Jahren diverse Werke dokumentarischer und narrativer Art bewiesen, von Ava DuVernays «13th» (2016) und Yance Fords «Strong Island» (2017) bis zum zuletzt erschienenen «Just Mercy» (2019).
«Roman J. Israel, Esq.» (2017) schlägt in die gleiche Kerbe: Sein Titelheld, gespielt von einem herausragenden Denzel Washington, arbeitet als Anwalt in einer kleinen Kanzlei in Los Angeles, die sich auf Bürgerrechtsfälle spezialisiert hat. Die Arbeitsteilung ist klar geregelt: William Jackson, der begnadete und allseits beliebte Rhetoriker, tritt vor Gericht auf, während Roman, der mit einem fotografischen Gedächtnis und einer einzigartigen Paragrafenfestigkeit gesegnet ist, für den komplexen Papierkram hinter den Kulissen zuständig ist. Doch als William von einem Herzinfarkt ausser Gefecht gesetzt wird, bricht im Leben des schüchternen Idealisten Roman plötzlich das Chaos los, angetrieben von George Pierce (Colin Farrell), einem aufstrebenden Yuppie-Advokaten, den William zum Verwalter seines Erbes erkoren hat.
Dass das aber nur der Anfang einer veritablen Odyssee für Roman ist, ist für den Film Fluch und Segen zugleich. Wer denkt, erahnen zu können, welche Richtung «Roman J. Israel» nach Georges Übernahme einschlägt, hat die Rechnung ohne die Haken gemacht, die Dan Gilroy in seinem Drehbuch schlägt: Hier gehen genretypische Wortgefechte mit abrupten Charakterzugwechseln und Thriller-Elementen, die an Gilroys «Nightcrawler» (2014) erinnern, Hand in Hand. Diese unterhaltsame Vielfalt an erzählerischen Kniffen entschädigt letztlich auch für die etwas gar klischierte Auflösung.
«Hier gehen genretypische Wortgefechte mit abrupten Charakterzugwechseln und Thriller-Elementen, die an Gilroys ‹Nightcrawler› erinnern, Hand in Hand. Diese unterhaltsame Vielfalt an erzählerischen Kniffen entschädigt letztlich auch für die etwas gar klischierte Auflösung.»
Gleichzeitig bekundet Gilroy aber auch Mühe damit, diesem allumfassenden Facettenreichtum gerecht zu werden: Handelt «Roman J. Israel» von der Diskriminierung von Minderheiten in der US-Justiz? Vom kapitalistischen Geist, der aus der Rechtssprechung ein Geschäft macht? Vom Konflikt zwischen persönlichem Erfolg und gesellschaftlicher Gerechtigkeit? Von der schmerzhaften Erkenntnis eines Bürgerrechtlers der ersten Stunde, dass er in den Augen einer neuen Generation von Aktivist*innen ein konservativer alter Knacker ist? Die Antwort auf alle diese Fragen lautet Ja. Natürlich sind das alles wichtige und wertvolle Ansätze, doch ein Film, der schon in Sachen Handlung auf diversen Hochzeiten tanzt, hat es schwer, diese gewichtigen Themen mit der angebrachten Tiefe zu behandeln.
«Eine lohnenswerte Enttäuschung, getragen von einer einnehmenden Darbietung von Denzel Washington.»
Entsprechend ist «Roman J. Israel» – ganz im Sinne seiner faszinierend widersprüchlichen Hauptfigur – eine lohnenswerte Enttäuschung. Getragen von einer einnehmenden Darbietung von Denzel Washington, stösst der Film zahlreiche essenzielle Gedankengänge an, ohne aber sein beträchtliches Potenzial zu erfüllen. Die Bausteine eines grossartigen Werks sind da, doch Gilroy vermag sie nicht zusammenzusetzen.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Filmfakten: «Roman J. Israel, Esq.» / Regie: Dan Gilroy / Mit: Denzel Washington, Colin Farrell, Carmen Ejogo / USA / 122 Minuten
Bild- und Trailerquellen: Sony Pictures Entertainment, Netflix / © 2017 Columbia Pictures Industries, Inc., CCP Inner City Film Holdings, LLC, Bron Creative Corp., Macro Content Fund I, LLC and IN Splitter, L.P. All Rights Reserved.
Vieles in «Roman J. Israel, Esq.» hat Potenzial, aber Regisseur Dan Gilroy schafft es nicht, dieses zu nutzen. Dafür glänzt Denzel Washington in der Hauptrolle.
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