In «Seberg» spielt Kristen Stewart die Schauspiel-Ikone Jean Seberg, die sich in den späten Sechzigerjahren mit den Black Panthers affiliierte und daraufhin vom FBI erst überwacht und später Ziel einer Rufmordkampagne wurde. Regisseur Benedict Andrews sprach mit uns am letztjährigen Zurich Film Festival unter anderem über die Zusammenarbeit mit Stewart, Jean Sebergs Affären und warum er sich entschied, einen FBI-Agenten als Sympathieträger in den Film einzubauen.
Nicoletta Steiger: Wie war es, mit Kristen Stewart zusammenzuarbeiten? Sie wirkt weniger distanziert als andere Schauspielerinnen.
Benedict Andrews: Sie kann sehr wohl distanziert sein, wenn es notwendig ist. Was nachvollziehbar ist, wenn man ihre Karriere und ihr bisheriges Leben anschaut. Eine Art Schutzmechanismus. Aber wir entwickelten zum Glück ein tiefes Vertrauen ineinander. Ich glaube, das sieht man auch im Film. Es gibt sehr offensichtliche Parallelen zwischen Jeans und Kristens Karrieren. Beide erlangten sehr jung eine gewisse Berühmtheit, beide sind Stilikonen, und beiden waren sowohl Teil von grossen Hollywood-Filmen als auch von europäischem Arthouse-Kino. Kristen war vielleicht gerade wegen dieser Parallelen, wirklich sehr daran interessiert, in Jeans Charakter einzutauchen. Sie brachte ein gewisses Verständnis für diese Dinge mit.
«Die technischen Mittel für die Überwachung und für das Filmemachen sind dieselben.»
Warum haben Sie sich entschieden, einem Monster, dem FBI-Agenten Jack, ein freundliches Gesicht zu verleihen?
Jack ist umgeben von Monstern: Der ganze männliche Staat, die rassistische männliche Staatsmaschinerie wird im Film als eine monströse Institution dargestellt. Ich wollte einen Soldaten eines geheimen Krieges zeigen, der sich nicht bewusst ist, in was für einem Krieg er eigentlich kämpft. Jack startet als idealistischer Soldat. Er glaubt an eine gewisse Version des amerikanischen Traums. In Jacks erster Szene im Films ist er wütend, weil sein «Captain America»-Comic beschädigt wurde. Aber dadurch, dass er sieht, wie Jean zerstört wird und Empathie für sie entwickelt, merkt er, dass er in ein korruptes System involviert ist.
Deswegen wollte ich die beiden Geschichten des Beobachters und der Beobachteten verbinden, zeigen, wie er sich verändert – dadurch, dass er sie beobachtet. Gewissermassen eine Metapher für das Kino. Die technischen Mittel für die Überwachung und für das Filmemachen sind dieselben: Jack ist zu Beginn in einer ähnlichen Position wie der Zuschauer. Er beginnt mit der Frage «Wer ist Jean Seberg?» und wird dann von ihrer Ausstrahlung fasziniert, entwickelt Empathie und ein tiefes Verständnis für sie. Ich glaube, diese Nähe, dieser Einblick in ein anderes Leben, dafür gehen wir ins Kino.
«Alle Charaktere im Film könnten locker ihre eigene Serie füllen.»
Haben Sie Änderungen an den realen Geschehnissen vorgenommen, um den Film für die heutige Zeit anzupassen?
Ich habe eine Menge ausgelassen. Alle Charaktere im Film könnten locker ihre eigene Serie füllen. Die Liebesgeschichte zwischen Jean und Romain Gary alleine ist eine fantastische Geschichte, die sich über mehrere Jahre hinweg zog. Dasselbe gilt für Hakim Jamals aussergewöhnliches Leben. Wir mussten alles kürzen, aus Gründen der Spannung, um die Geschichte in eineinhalb Stunden zu erzählen.
Nichts in der Geschichte findet ausserhalb der Beziehungen von Hakim, Jack und Jean und dann vor allem Jean und Jack statt. Alles wird von der Überwachungs-Operation zusammengehalten. Deswegen haben wir auch Jeans Beziehung zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und den Black Panthers gekürzt, sowie ihre ganzen sexuellen Affären. Offenbar hatte sie sogar eine Affäre mit Clint Eastwood. Er bestreitet es, aber Gary forderte ihn damals zu einem Duell auf.
Ich dachte, das sei ein Fakt.
Clint Eastwood bestreitet es, aber viele Biographien gehen davon aus, dass es wahr ist und Garry ihn zu einem Duel herausforderte. Dazu hatte Jean in Mexiko noch eine Beziehung mit Carlos Navarra, die im Film kurz angesprochen wird. Carlos Fuentes hat sogar ein Buch über seine Affäre mit Jean geschrieben.
«Der Film schämt sich nicht für Jeans Affären.»
Hatten Sie Befürchtungen, das Publikum könnte Jean als zu unsympathisch wahrnehmen, wenn sie im Film zu viele verschieden Liebschaften hat?
Wir hatten dieses Problem tatsächlich mit einem Teil unseres amerikanischen Testpublikums, bereits mit der jetzigen Version des Films. Die Tatsache, dass sie schon am Anfang des Filmes eine Affäre hat, war für das konservative Testpublikum schwierig. Aber der Film schämt sich nicht für Jeans Affären, ihre Affäre mit Hakim. Wir konnten einfach nicht alle diese Geschichten in einen Film packen.
Der Film beginnt mit der Märtyrer-Szene aus dem Film «Saint Joan», in dem Jean die Hauptrolle spielte. Was wollten Sie damit aussagen?
Der Film will Jean auf keinen Fall als perfekte Märtyrerin zeigen. Sie glaubt vielleicht, sie sei eine Art Jeanne d’Arc in der ersten Hälfte des Films; aber die Realität holt sie erbarmungslos ein. Hakim warnt sie auf der Party, dass sie mit dem Feuer spielt, und Dorothy erklärt ihr, dass sie lediglich eine Touristin in der Black-Panther-Bewegung ist. Jean will dies alles aber nicht wahrhaben. Es geht also genauso um ihr Versagen, eine Märtyrerin oder eine Retterin zu sein. Aber es geht auch um Jeans Trauma, den Moment, als sie sich beim Unfall auf dem Set verbrennt. Dieser Moment taucht später wieder auf, als Jack sich die Aufnahmen des Unfalls ansieht. Jeans negative Erfahrungen mit dem Regisseur Otto Preminger haben sie geprägt und waren etwas, das sie überwinden musste.
«Für viele ist die Periode von Jeans Leben, die im Film gezeigt wird, eine Art Schattenzeit. Das FBI hat einen sehr guten Job gemacht, ihre Reputation zu zerstören.»
Wann haben Sie Jean Seberg zum ersten Mal in einem Film gesehen?
Als ich 16 Jahre alt war, im Französischunterricht. (lacht) Ich sah Jean zum ersten Mal im Film «À bout de souffle» (1960) in diesem Klassenzimmer, und diese Erinnerung ist mir geblieben. Es fühlte sich deswegen seltsam an, genau diese eine ikonische Geste aus «À bout de souffle» mit Kristen nachzudrehen. Dieses flackernde und leuchtende Bild von Jean in «À bout de souffle», diese pure Lebenskraft, war alles, was ich wirklich über sie wusste, bevor ich das Drehbuch zu diesem Film las. Für viele ist die Periode von Jeans Leben, die im Film gezeigt wird, eine Art Schattenzeit. Das FBI hat einen sehr guten Job gemacht, ihre Reputation zu zerstören, weswegen es speziell interessant war, Licht auf diesen verborgenen Teil ihres Lebens zu leuchten.
–––
«Seberg» läuft ab dem 17. September 2020 in den Deutschschweizer Kinos.
No Comments