Vor fast 50 Jahren feierte John Shaft, der coole Privatdetektiv aus dem New Yorker Stadtteil Harlem, sein Leinwanddebüt, woraufhin er innert kürzester Zeit zu einer Ikone des Blaxploitation-Genres avancierte. Nun versucht Tim Storys «Shaft», der Figur neues Leben einzuhauchen.
Geschichte und Erbe von Blaxploitation sind komplex – komplexer jedenfalls als die Filme, die unter diesem Banner gedreht wurden. Erstanden aus der B-Movie-Landschaft der frühen Siebzigerjahre, mauserte sich das Genre mit blutigen, vergleichsweise billig produzierten Actionthrillern wie Melvin Van Peebles‘ «Sweet Sweetback’s Baadasssss Song» (1971) oder eben Gordon Parks‘ «Shaft» (1971) im Anschluss an die Bürgerrechtsbewegung zu einem unerwarteten Kämpfer für die popkulturelle Emanzipation von Afroamerikaner*innen.
Zwar bedienten diese Werke mit ihren hyperaggressiven Männern, überemotionalen Frauen, ihren Drogendealern, Mafiosi und Zuhältern oft negative Klischees schwarzer Menschen; doch gleichzeitig gehörten sie auch zu den ersten kommerziell erfolgreichen Produktionen, bei denen vor und hinter der Kamera schwarze Kreative das Sagen hatten und die sich primär an ein afroamerikanisches Publikum richteten. Vieles an diesen Filmen ist heute nicht mehr zeitgemäss, doch Blaxplotation steht ein Kapitel in der Geschichte des US-Kinos zu – nicht zuletzt auch dank des Einflusses, den das Genre auf schwarze Filmemacher wie Spike Lee («Do the Right Thing», «BlacKkKlansman») oder den kürzlich verstorbenen John Singleton («Boyz n the Hood») ausübte.
John Singleton war es denn auch, der 2000 ein spätes «Shaft»-Sequel vorlegte – sinnigerweise unter demselben Titel. In diesem trat Kult-Schauspieler Samuel L. Jackson in die Fussstapfen von Richard Roundtree, dem originalen John Shaft. Nun sind sind sowohl Jacksons als auch Roundtrees Shaft zurück – in beratender Funktion. Denn in «Shaft» – Produktionsjahr 2019 – will Jackson-Shafts entfremdeter Sohn JJ (Jessie Usher), ein zurückhaltender FBI-Datenanalyst, den mysteriösen Tod eines Freundes aufklären und braucht jemanden, der sich in der kriminellen Unterwelt von Harlem auskennt.
Wenn man die Fernsehserie, für die zwischen 1973 und 1974 sieben abendfüllende Episoden gedreht wurden, nicht mitzählt, ist dies der insgesamt fünfte Eintrag in die John-Shaft-Saga. Der 2019er-«Shaft» hält sich jedoch nur bedingt an den Tonfall seiner Vorgänger: Obwohl auch hier finstere Verbrecher, Schiessereien und kernige Sprüche auf dem Programm stehen, wollen Regisseur Tim Story («Ride Along») und die Drehbuchautoren Kenya Barris («Black-ish») und Alex Barnow das Ganze offenbar mit Sitcom-Humor aufpeppen – eine Entscheidung, die gründlich daneben geht.
«Ohne ersichtliche Selbstironie wird hier verbal auf Transmenschen geschossen, während Jacksons Shaft das homophobe Hohelied von ‹echten Kerlen› singt.»
Hier werden den Darstellern, insbesondere dem sporadisch amüsanten Samuel L. Jackson, Witze und Dialogzeilen untergejubelt, die nicht nur uninspiriert, sondern sehr oft auch verblüffend reaktionär sind. Ohne ersichtliche Selbstironie wird hier verbal auf Transmenschen geschossen, während Jacksons Shaft das homophobe Hohelied von «echten Kerlen» singt, die sich nicht um die Gefühle anderer zu kümmern haben. Anderswo listet er in der Manier eines frustrierten Baby-Boomers mit akuter Fox-News-Sucht unzusammenhängende Begriffe auf, mit denen er JJs sexuelle Orientierung erraten will («Metrosexual? Cisgender? Fluid?»). Man ist angehalten, darüber zu lachen: Sind sie nicht süss, diese Millennials und ihre Weltoffenheit? Irgendwann regt sich Shaft – noch immer ohne Ironie seitens der Autoren – über SMS auf.
Veraltete Geschlechterrollen werden unreflektiert reproduziert: Männer schiessen sich aus ihren Problemen hinaus, Frauen sind schrille Nervensägen, die nur zu Geiseln taugen. Den diesbezüglichen Tiefpunkt stellt wohl die Szene dar, in der JJs Freundin Sasha (Alexandra Shipp) – nachdem sie JJ zuvor über die Wichtigkeit belehrt hatte, eine Schusswaffe zu besitzen – nicht weiss, wie sie ihre Pistole laden soll, JJ sie ihr aus der Hand nimmt und sich selber um die Bösewichte kümmert, während Sasha nur ehrfürchtig zuschauen kann.
«Angesichts der fast täglichen Nachrichten von brutalem Racial Profiling und vor dem Hintergrund des wiedererstarkten rassistischen Terrorismus könnte Shaft hochgradig relevant sein.»
Dabei wäre Shaft durchaus eine Figur, die auch im Jahr 2019 noch ihre Existenzberechtigung hätte. Immerhin war Blaxploitation auch eine Form des schwarzen Eskapismus – ein Genre, in dem sich afroamerikanische Protagonisten gegen «the Man», gegen den Rassismus und die Gewalt des weissen Mainstreams zur Wehr setzten. Angesichts der fast täglichen Nachrichten von brutalem Racial Profiling und vor dem Hintergrund des wiedererstarkten rassistischen Terrorismus könnte Shaft hochgradig relevant sein. Doch nichts deutet darauf hin, dass Story, Barris und Barnow auch nur im Entferntesten an einer solchen Auseinandersetzung interessiert sind. Ihr ohne visuelles Flair inszenierter «Shaft» geht nicht über das müde Zelebrieren politischer Unkorrektheit und einen stumpfen, insensiblen Waffen-Fetischismus hinaus.
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Filmfakten: «Shaft» / Regie: Tim Story / Mit: Samuel L. Jackson, Jessie Usher, Alexandra Shipp, Regina Hall, Richard Roundtree, Isaach de Bankolé / USA / 111 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix, Warner Bros. Pictures, MGM
Es gibt viele Gründe, wieso Detective John Shaft auch 2019 noch ermitteln sollte. Nur leider fällt Tim Storys «Shaft» kein einziger davon ein.
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[…] | Alan Mattli @ Maximum Cinema […]