Anlässlich der europäischen Premiere von «Shayda» am 76. Filmfestival von Locarno unterhielt sich unsere Autorin Elena Stern mit Regisseurin Noora Niasari und Schauspieler Osamah Sami. Der Film läuft seit dem 11. Januar in den Schweizer Kinos.
Noora, in «Shayda» geht es nicht um irgendeine Geschichte, es ist deine eigene.
Noora Niasari: Ja, als ich fünf Jahre alt war, lebten meine Mutter und ich in einem Frauenhaus, nachdem wir aus dem Iran nach Australien gekommen waren. Diese Geschichte lebt in mir, seit ich ein Kind bin. Vor fünf Jahren entschied ich mich dazu, sie zu Papier zu bringen. Klar ist das Skript durch unsere Erfahrungen geprägt, mit der Zeit wurde es aber an gewissen Stellen auch bewusst fiktionalisiert, um das cineastische Potenzial der Geschichte zu finden, das über unsere eigenen Erlebnisse hinausgeht.
Trotz der persönlichen Erfahrung, die dahintersteckt, fühlt sich der Film sehr universell an. War das immer dein Ziel?
Noora: Ich glaube, je spezifischer ein Thema ist, desto universeller wird es. «Shayda» ist eine Liebeserklärung an Mütter und Töchter – eine Erfahrung also, mit der sich viele identifizieren können. Aber auch andere Themen im Film sind sehr universell, wie die Suche nach Freiheit in einem neuen Land, der Wunsch nach Unabhängigkeit von einer Gemeinschaft. Gespürt habe ich das schon, als ich am Drehbuch arbeitete.
Hat sich dein Gefühl auch bestätigt?
Noora: Ja, so richtig klar wurde es mir erst, als der Film am Sundance-Festival zum ersten Mal gezeigt wurde. Ich sass im Publikum und ich merkte, wie all die verschiedenen Arten von Menschen um mich herum zusammen weinten und lachten. Da wusste ich mit Sicherheit, diese Geschichte ist grösser als unsere eigene Erfahrung.
Osamah, du spielst den Ehemann von Shayda – einen Mann, vor dem Shayda ihre Tochter Mona und sich selbst um jeden Preis schützen will. Wie hast du dich auf diese Rolle vorbereitet?
Osamah Sami: Als ich Nooras Skript zum ersten Mal las, war ich so begeistert davon, dass ich ihr eine 20-seitige Mail schickte, wieso ich unbedingt Teil dieses Projekts sein will. Ich reiste dann für zwei Wochen nach Teheran. Obwohl ich im Iran aufgewachsen bin, wollte für die Rolle wieder eine stärkere Verbindung zum Land aufbauen, auch um die Sprache fliessend zu sprechen. Im Film lernen wir Shayda und Hossein direkt nach ihrer Ankunft in Australien kennen. Ich wollte mich auch so fühlen, als ob ich gerade aus dem Iran käme. Vieles, was die Rolle ausmacht, ist aber bei der Arbeit am Set entstanden.
In der Zusammenarbeit mit deinen Co-Stars Zar Amir Ebrahimi und Selina Zahednia?
Osamah: Genau. Es war ein Traum, mit den beiden zusammenzuarbeiten. Zar ist eine unglaublich grosszügige Person. Schauspielern bedeutet oft auch, auf das Gegenüber zu reagieren. Zar ist in jeder Szene so präsent und lebendig, da kann man gar nicht anders, als einfach darauf zu reagieren! Und Noora, die hinter der Kamera war, schaffte mit ihren Regieanweisungen immer wieder verschiedene Situationen – so ist die Figur schliesslich entstanden.
Die Rolle ist komplex, Hossein ist kein eindimensionaler Bösewicht. Man merkt, dass er seine Tochter liebt, und doch nutzt er sie aus, um an Shayda heranzukommen. Was war dir dafür am wichtigsten?
Osamah: Für mich war immer klar, dass meine Figur dazu da ist, um Shaydas Geschichte zu dienen. Es war immer mein Ziel, vielseitig genug zu sein, um auch solche komplexen Charaktere darzustellen – auch die riskanten.
«Darum geht es doch im Kino – man will etwas fühlen!»
Noora: Gute Kunst ist riskant!
Osamah: Ja, und wenn die Zuschauer*innen am Ende negative Gefühle dir gegenüber haben, hast du deine Aufgabe richtig gemacht. Du hast Emotionen in ihnen geweckt. Und darum geht es doch im Kino – man will etwas fühlen!
Apropos Emotionen: Es gibt viele Symbole und Bilder im Film, die Shaydas Gefühlswelt spiegeln – Dinge, die wachsen, die sich ablösen, viele Vögel. Wie wichtig waren dir diese Bilder?
Noora: Für den Film war es mir wichtig, eine gute Balance zwischen Licht und Dunkelheit zu finden. Für das Publikum ist es zu anstrengend, in der Dunkelheit des Traumas zu sitzen, das hinter der Geschichte steckt. All diese Bilder und Symbole sollen diese Balance unterstreichen. Mir war es wichtig, die Hoffnung weiterzugeben, dass es Möglichkeiten jenseits dieser schweren Situation gibt.
Dazu gehören auch die Kultur und verschiedene Rituale. Shayda findet viel Hoffnung in Nouruz, dem persischen Neujahr.
Noora: Genau, für Shayda geht es bei diesen Ritualen darum, ihre Identität und ein Gefühl der Zugehörigkeit zurückzuerlangen. Wenn man so weit weg von seinem Heimatland ist, geben uns Kultur und Rituale ein Gefühl von Heimat. Ich glaube, das gilt für alle. Es ist ein Teil vom Menschsein.
Die Beziehung zwischen Shayda und ihrer Tochter Mona bringt auch viel Licht in die Geschichte. Dazu gehört auch der richtige Cast, und Zar und Selina scheinen hier eine ganz besondere Verbindung zu haben. Wie habt ihr Selina gefunden?
Noora: Wir hatten so viel Glück, dass wir Selina gefunden haben. Sie ist ein Engel. Wir haben rund 100 Mädchen aus ganz Australien vorsprechen lassen. Als Selina den Raum betrat, wussten wir direkt, dass wir unsere Mona gefunden hatten. Sie hatte so viel Selbstvertrauen und Charisma – manchmal spürt man das einfach. In der Szene, die wir ihr fürs Vorsprechen gaben, begann sie, zu weinen – nicht, weil ich sie dazu aufgefordert hätte, sondern einfach, weil sie so empfunden hat. Sekunden später schaffte sie es, die Szene hinter sich zu lassen und direkt danach zu tanzen. Es war bewundernswert. Sie hat die Schauspielerei einfach verstanden.
Die Rolle ist sicherlich keine leichte für ein Kind, besonders wenn es um Themen wie häusliche Gewalt geht.
Noora: Das ist so. Ich hatte die Aufgabe, Selina vor den Themen des Films auch zu schützen. Meistens wusste sie nicht genau, worum es geht. Wir haben viele kindergerechte Situationen geschaffen, beispielsweise mit Doubles für Selina, die kein Farsi sprechen, damit sie nicht wussten, was gerade passiert.
Osamah: Ja, aus gewissen Szenen haben wir sie auch komplett herausgenommen.
«Ich hoffe, dass die Zuschauer*innen die Stärke und den Mut iranischer Frauen spüren.»
Noora: Es gab gewisse Szenen mit Gewaltdarstellungen, wo Shayda, Hossein und Mona zusammen zu sehen wären. Wir haben solche Szenen Einstellung für Einstellung gedreht: zuerst diejenigen mit Zar und Osamah, dann Selinas Szenen mit einem anderen Szenario. Bis heute weiss sie nicht so richtig, worum es im Film geht. Sie ist ein glückliches Kind, und ich wollte, dass das so bleibt.
Was würdest du dir für die Zuschauer*innen wünschen? Was sollen sie aus dem Film mitnehmen?
Noora: Ein Gefühl der Zuversicht. Und ich hoffe, dass sie die Stärke und den Mut iranischer Frauen spüren.
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«Shayda» läuft seit dem 11. Januar in den Deutschschweizer Kinos.
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
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