Noora Niasari erzählt in ihrem autobiografischen Regiedebüt die Geschichte einer Mutter und ihrer Tochter, die es allen Widrigkeiten zum Trotz schaffen, ihre Hoffnung und Zuversicht nie zu verlieren. «Shayda» ist ein einfühlsames Drama, das zeigt, dass Freude und Leid koexistieren können.
Brisbane, Australien, 1995: Die junge Iranerin Shayda (Zar Amir Ebrahimi) lebt mit ihrer kleinen Tochter Mona (Selina Zahednia) in einem Frauenhaus. In diesen vier Wänden, die sich die beiden mit anderen Frauen und Kindern teilen, fühlt sich Shayda sicher – insbesondere vor ihrem gewalttätigen Mann Hossein (Osamah Sami), von dem sie sich scheiden lassen will. In dieser Umgebung möchte sie vor allem eines: ihrer Tochter Mona einen möglichst sorgenfreien Alltag ermöglichen.
Regisseurin Noora Niasari erzählt mit ihrem Debütfilm nicht irgendeine Geschichte: Es ist ihre eigene. Auch sie lebte mit ihrer Mutter einige Zeit in einem australischen Frauenhaus. Die Geschichte berührt: Als der Film am Sundance Film Festival 2023 seine Premiere feierte, gewann er den World Cinema Dramatic Audience Award. Einige Monate später wurde er am 76. Locarno Film Festival als Abschlussfilm auf der Piazza Grande gezeigt.
Shayda befindet sich mitten in der Vorbereitung auf die Verhandlungen zur Sorgerechtsregelung, die einige traumatische Erinnerungen hochkommen lassen. Als es Hossein gelingt, ein Besuchsrecht für die gemeinsame Tochter zu erwirken, bricht für sie eine Welt zusammen. Einen Nachmittag pro Woche soll Mona nun mit ihrem Vater verbringen – ein Grund zur Sorge für Shayda, die ihrem Mann auch eine Entführung der Tochter in den Iran zutraut. Mit jedem Schritt, den Shayda in Richtung ihrer Befreiung wagt, spitzt sich die Situation zwischen ihr und Hossein weiter zu, was auch an Mona nicht spurlos vorbeigeht.
Doch so viel Traurigkeit das Leben der jungen Mutter auch umgibt, so schafft sie es für sich und ihre Tochter immer wieder, Licht und Zuversicht zurückzuholen. Trost finden die beiden in ihrer Kultur. In der Zeit vor Nouruz – dem persischen Neujahr zum Frühlingsbeginn – bringt Shayda ihrer Tochter die Bräuche und Traditionen dieser Feier näher. Sie singen, tanzen und decken gemeinsam den traditionellen «Haft Sin», einen geschmückten Tisch, auf dem sieben Gegenstände stehen, die mit S beginnen und Glück für das neue Jahr symbolisieren.
«Shayda als Figur wandelt sich mit ihrer Umgebung: Das Spiel von Licht und Schatten spiegelt ihre Ambivalenz, die fallenden Blätter der Herbstbäume in der australischen Landschaft symbolisieren ihr Loslassen, die dennoch blühenden Blumen verkörpern ihre Resilienz.»
Während Shayda ihre Kraft aus der Kultur ihres Herkunftslandes schöpft, ist ein Teil davon dennoch auch Ursprung ihres Leids: So sind es die patriarchalen Strukturen, die sie überhaupt erst in diese Situation gebracht haben. Als Frau darf sie sich im Iran nicht von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden lassen. Hossein droht ihr mehrmals damit, was man mit «einer wie ihr» in der Heimat machen würde. Diese Ambivalenz der eigenen Herkunft darzustellen, mit dem einengenden Teil auf der einen und dem befreienden Teil auf der anderen Seite, ist es, was Niarsaris Debüt so anregend macht: Es geht ihr nicht darum, ihre eigene Herkunft zu werten. Vielmehr geht es darum, Frieden zu schliessen, indem sie Licht und Schatten koexistieren lässt.
Besonders gut gelingt ihr das in ihrer Bildsprache, womit sie dieser Geschichte von Transformation und Neuanfang mehrere Ebenen verleiht. Shayda als Figur wandelt sich mit ihrer Umgebung: Das Spiel von Licht und Schatten spiegelt ihre Ambivalenz, die fallenden Blätter der Herbstbäume in der australischen Landschaft symbolisieren ihr Loslassen, die dennoch blühenden Blumen verkörpern ihre Resilienz. Und dann sind da noch die Vögel, die sowohl als wiederkehrendes visuelles Symbol als auch als Teil der Geräuschkulisse Shaydas Freiheit unterstreichen, die sie sich erkämpft. Manchen mag diese starke Symbolik etwas zu offensichtlich sein. Dass diese aber viel zur poetischen Erzählweise Niasaris beiträgt, ist unbestritten.
«Getragen wird dieses einfühlsame Drama von sehr berührenden schauspielerischen Leistungen. ‹Holy Spider›-Darstellerin Zar Amir Ebrahimi überzeugt mit ihrer emotionalen Tiefe und Glaubwürdigkeit und gewährt dem Licht, das Shayda umgibt, genauso viel Platz wie der Schwere ihrer Traurigkeit.»
Getragen wird dieses einfühlsame Drama von sehr berührenden schauspielerischen Leistungen. «Holy Spider»-Darstellerin Zar Amir Ebrahimi überzeugt mit ihrer emotionalen Tiefe und Glaubwürdigkeit und gewährt dem Licht, das Shayda umgibt, genauso viel Platz wie der Schwere ihrer Traurigkeit. Besonders im Zusammenspiel mit der jungen Selina Zahednia, die zum ersten Mal vor der Kamera stand, entsteht eine ganz besondere Dynamik, die bewegt und entsprechend auch das Herzstück dieses äusserst gelungenen Debüts darstellt.
Zum Interview mit Noora Niasari und Osamah Sami
–––
Kinostart Deutschschweiz: 11.1.2024
Filmfakten: «Shayda» / Regie: Noora Niasari / Mit: Zar Amir Ebrahimi, Selina Zahednia, Mojean Aria, Leah Purcell, Osamah Sami, Jillian Nguyen, Lucinda Armstrong Hall / Australien / 117 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
«Shayda», das berührende Debüt von Noora Niasari, ist eine Versöhnung mit dem eigenen Schicksal und eine Hommage an die eigene Kultur sowie die Stärke aller Frauen im Iran.
No Comments