Actionmeister John Woo inszeniert Joel Kinnaman als stummen Rächer am Weihnachtsabend. Der praktisch dialoglose «Silent Night» ist ein Paradebeispiel dafür, wie man Potenzial ungenutzt lassen kann.
Mit blutverschmiertem Weihnachtspulli und baumelndem Glöckchen um den Hals hechtet Joel Kinnaman («The Suicide Squad») in Zeitlupe auf die Kamera zu. Es ist ein irritierendes Bild, mit dem John Woo («Face/Off») seinen Film eröffnet – und eines, das rasch den Ton des Films setzen soll: Hier prallen Welten aufeinander. «Silent Night» versteht sich als Anti-Weihnachtsfilm von der Sorte «Die Hard» (1988) oder «Violent Night» (2022) – ein Film, der von einem blutigen und actionreichen Weihnachtsfest erzählt und Ruhe und Besinnlichkeit durch rohe Gewalt ersetzt.
Deshalb rennt der von Kinnamann verkörperte Brian Godluck auch nicht zum Spass, sondern weil er eben mal ein paar Gangstern den Garaus machen will. Diese haben zuvor seinen kleinen Jungen mit einem Querschläger ermordet (daher die Blutspritzer auf seinem Pulli). Brians Versuch, die Ganoven dingfest zu machen, geht jedoch gehörig schief: Er wird schwer verletzt und verliert seine Stimme – doch der Wunsch nach Rache bleibt.
«Die erste englischsprachige Produktion von John Woo in 20 Jahren hätte wirklich eine launige Sache sein können.»
So weit, so vielversprechend. Denn seien wir ehrlich: Ein Anti-Weihnachts-Actionvehikel namens «Silent Night» über einen (unfreiwillig) wortkargen Rächer, inszeniert von einem der grossen Action-Meister der Neunzigerjahre – das hätte durchaus seinen Reiz. Ja, die erste englischsprachige Produktion von John Woo in 20 Jahren hätte wirklich eine launige Sache sein können.
Doch derartige Hoffnungen werden wie die Weihnachtswünsche eines unartigen Kindes im Keim erstickt: «Silent Night» ist ein langweiliges, völlig missratenes Etwas, das sich während seiner 104 Minuten Laufzeit von Enttäuschung zu Enttäuschung hangelt: von der viel zu ausführlichen, langfädig erzählten Vorgeschichte bis hin zum komplett abgeschmackt inszenierten Finale.
Die grösste Frechheit von «Silent Night» ist aber, dass sich der Film als Weihnachtsfilm verstanden haben möchte. Doch ausser ein, zwei müden Verweisen darauf, dass das Gezeigte an Heiligabend stattfindet, ist vom weihnachtlichen Geist wenig zu spüren, weder erzählerisch noch visuell.
«Überhaupt nimmt sich Woos Film viel zu ernst; der Spass bleibt hier gänzlich auf der Strecke.»
Überhaupt nimmt sich Woos Film viel zu ernst; der Spass bleibt hier gänzlich auf der Strecke. Der grosse Vorgänger «Die Hard» etwa brachte nicht nur zahlreiche Weihnachtsreferenzen im Film unter, sondern hatte – bei aller Ernsthaftigkeit – auch seine lockeren Momente. Solche fehlen «Silent Night» und seinem dauermürrischen, verbissenen und – sagen wir es, wie es ist: stinklangweiligen – Helden aber komplett.
Da hilft es freilich nicht, dass Joel Kinnaman nur mässig zum Hauptdarsteller taugt – erst recht, wenn man ihn des Dialogs beraubt. Woo gelingt es nicht, die Stummheit seines Protagonisten – und damit nahezu des ganzen Films – auf kreative Art und Weise zu nutzen, oder gar spannend zu inszenieren. So wird die titelwortspielbedingte Dialoglosigkeit von «Silent Night» je länger, desto mehr zur grossen Hypothek des Films.
«Die titelwortspielbedingte Dialoglosigkeit von ‹Silent Night› wird je länger, desto mehr zur grossen Hypothek des Films.»
John Woo kehrt nach 20 Jahren mit einem Film zum Hollywoodkino zurück, der seiner nicht würdig ist. «Silent Night» lässt die Lockerheit und Coolness von Woos frühen Werken vermissen; das Ergebnis ist ein verbissener und träger Film, bei dem eine unglückliche Entscheidung die andere jagt. Was für ein Unfug.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.12.2023
Filmfakten: «Silent Night» / Regie: John Woo / Mit: Joel Kinnaman, Scott Mescudi, Harold Torres, Catalina Sandino Moreno / USA / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2023 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.
Der dialoglose «Silent Night» ist ein sehr schlechter Film, bei dem hinten und vorne nichts zusammenpassen will. John Woos Rückkehr zum Hollywoodkino ist ein Totalausfall.
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