Wer Pixar sagt, meint damit nicht selten Pete Docter. Kaum ein Film des Studios, bei dem der schlaksige Filmemacher nicht irgendwie seine Finger im Spiel hatte – sei es als Drehbuchautor, als Produzent oder, wie im Falle von Pixars Neuestem, «Soul», als Regisseur. In dieser Funktion schuf Docter, der seit John Lasseters Rausschmiss die Geschicke des Studios lenkt, zwei der berührendsten Filme des Studios: «Up» und «Inside Out». Auch der neueste Pixar-Film entspringt Docters Fantasie: «Soul» zeigt, was mit Seelen passiert, bevor sie zu den Menschen finden.
Wie schon im gefeierten «Inside Out» (2015), wo verschiedene Gefühle um die Kontrolle im Geist eines kleinen Mädchens rangen, inszeniert Pete Docter hier ein abstraktes Konzept auf spielerische Art und Weise. Der Protagonist von «Soul» ist der Musiklehrer Joe Gardner (gesprochen von Jamie Foxx), der ausgerechnet an dem Tag verunfallt, an dem er seinem Traum vom Jazzpianistendasein endlich einen entscheidenden Schritt näherkommt. Seine Seele wird von seinem Körper getrennt und macht sich auf den Weg ins Jenseits – doch Joe gibt so schnell nicht auf. Mit der Hilfe einer jungen Seele namens 22 (gesprochen von Tina Fey) versucht er, zurück zu seinem Körper zu gelangen und dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.
Die abstrakten und doch so nachempfindbaren Welten, die «Inside Out» so wunderbar wirken liessen, bleibt uns «Soul» leider schuldig. Das ist umso schmerzhafter, als dass sich diese Welten in dem, was vorhanden ist, erahnen liessen: der tonleiterartige Aufstieg ins Jenseits, das farbenfrohe «Great Before», wo die Seelen ihre Persönlichkeiten ergattern, und seine wunderschön stilisierten Wächter*innen (unter anderem gesprochen von Rachel House und Richard Ayoade, den wohl lustigsten Personen unserer Zeit) – das alles macht deutlich, wie viel Potential in «Soul» gesteckt hätte, wenn sich der Film mehr für seine eigenen fabelhaften Welten und Figuren interessieren würde. Doch Docter handelt diesen Ausflug ins Jenseits so rasch und uninspiriert ab, dass man sich gar nicht in diese Welten verlieben könnte – selbst wenn man wollte. Da hilft auch Graham Nortons Auftritt als schrulliger Hippie-Pirat wenig.
«‹Soul› hängt zu sehr an seinem weltlichen Bezug und schickt seine zwei Hauptfiguren viel lieber auf eine Selbstfindungs-Odyssee durch New York.»
«Soul» hängt zu sehr an seinem weltlichen Bezug und schickt seine zwei Hauptfiguren viel lieber auf eine Selbstfindungs-Odyssee durch New York. Das ist – dank eines geschickten erzählerischen Kniffs – zwar auch sehr witzig inszeniert, nutzt sich aber dann doch allzu rasch ab. Hinzu kommt, dass «Soul» sich immer wieder damit schwertut, die Parameter für ein «sinnvoll verbrachtes Leben» zu definieren. Da werden Mythen der Leistungsgesellschaft heruntergebetet, nur um dann im nächsten Moment die Fahne für die kreative Selbstverwirklichung hochzuhalten. So oder so befremdet dieser Blick aus dem Elfenbeinturm, mit dem Docter «erfolgreiche» und «gescheiterte» Lebensentwürfe zu definieren versucht.
«Pete Docters Seelentrip fehlt die Verspieltheit, die man von einem Film, der sich dem Free Jazz verschrieben hat, erwarten dürfte.»
Das alles ist ungemein schade, nicht zuletzt, weil «Soul» einem immer wieder vor Augen führt, was möglich gewesen wäre. Pete Docters Seelentrip fehlt die Verspieltheit, die man von einem Film, der sich dem Free Jazz verschrieben hat, erwarten dürfte. Immerhin – musikalisch gibt es nichts auszusetzen. Das Zusammenspiel von Jon Batistes beschwingten Jazz-Kompositionen mit Trent Reznor und Atticus Ross‘ pumpendem Synth-Score gelingt bestens – und mit beiden Aspekten betritt das bisher gar Randy–Newman–Michael–Giacchino-geprägte Pixar Neuland. Schade, fehlt diese Frische bei, nun, allem anderen.
Über «Soul» wird auch in Folge 16 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
–––
Jetzt auf Disney+
Filmfakten: «Soul» / Regie: Pete Docter / Mit: Jamie Foxx, Tina Fey, Questlove, Phylicia Rashad, Daveed Diggs, Angela Bassett, Graham Norton, Rachel House, Richard Ayoade / USA / 100 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2020 Disney, Pixar
Trotz charmanter Einfälle und guter Musik ist «Soul» weit davon entfernt, der neue «Inside Out» zu sein. Dafür ist der Film über das Wesen von Seelen allzu steif und wirr inszeniert.
1 Comment
[…] 2020 bereitete mir filmisch wirklich keine Freude – auch die gestreamten Sachen wie «Soul» (meine Filmkritik) und «Mulan», denen ich lange entgegengefiebert habe, liessen mich kalt. Hoffen wir, dass 2021 […]