«Spider-Man: Across the Spider-Verse» von Joaquim Dos Santos, Kemp Powers und Justin K. Thompson
Praktisch aus dem Nichts revolutionierte Sony 2018 mit «Spider-Man: Into the Spider-Verse» sowohl die Animationslandschaft als auch das Superheld*innen-Kino. Nun ist die noch wildere und buntere Fortsetzung «Across the Spider-Verse» da und beweist: Die Spinne hat auch fünf Jahre später nichts von ihrem Biss verloren.
Als Regisseur Dean DeBlois 2014 seine Dreamworks-Fortsetzung «How to Train Your Dragon 2» vorstellte, verglich er den Mittelteil seiner Trilogie mit «The Empire Strikes Back» (1980). Damit ist er nicht alleine: Wenn es darum geht, einem zweiten Teil Bedeutung, Wert und vor allem Ernsthaftigkeit zuzuschreiben, dann wird gerne der gefeierte «Star Wars»-Mittelteil herbeigezogen. Zugegeben, DeBlois‘ Drachen-Sequel löste das Versprechen ein und übertraf den Vorgänger tatsächlich in jeder Hinsicht.
Auch «Spider-Man: Across the Spider-Verse», der zweite Teil von Sonys animierter Superhelden-Trilogie, kommt nicht darum herum, von seinen Regisseuren mit «The Empire Strikes Back» verglichen zu werden. Dabei hätte es der Animationsfilm von Joaquim Dos Santos, Kemp Powers und Justin K. Thompson – sie alle feiern ihr Regiedebüt – gar nicht nötig, sich in den Schatten grosser Blockbuster zu stellen: «Across the Spider-Verse» ist nicht weniger als einer der besten Animationsfilme der vergangenen Jahre und der überzeugendste Ausflug ins Superheld*innen-Universum seit «Avengers: Endgame» (2019).
Dass sich verschiedene unterschiedliche Spider-Men – und Spider-Women – aus unterschiedlichen Dimensionen zusammentun, um sich einer existenziellen Bedrohung gegenüberzustellen, gab es unlängst bereits: Auch im Marvel-Blockbuster «Spider-Man: No Way Home» (2021) trafen verschiedene Inkarnationen des netzeschleudernden Teenagers aufeinander. Mit Erfolg: Der Film spielte nahezu zwei Milliarden Dollar ein – ein für post-pandemische Verhältnisse sensationelles Ergebnis, das seither nur «Avatar: The Way of Water» (2022) toppen konnte.
Während sich der Bruch im MCU-Multiversum bei Jon Watts, gerade mit der Rückkehr der früheren Spidey-Darsteller Tobey Maguire («Babylon») und Andrew Garfield («Tick, Tick… Boom!»), in erster Linie wie eine Ausrede für Fanservice anfühlte, der über die allgemeine Ideenlosigkeit einer Franchise hinwegtäuschen sollte, kann «Across the Spider-Verse» das Konzept des Multiversums auch erzählerisch nutzen.
Es hilft dem Film natürlich, dass er auf dem bereits in seinem Vorgänger «Spider-Man: Into the Spider-Verse» (2018) etablierten Multiversum aufbauen kann. Dieses ist nach den Ereignissen im letzten Film nicht nur für Miles Morales alias Spider-Man (Stimme: Shameik Moore) nicht mehr zugänglich, sondern auch für seine gute Freundin Gwen Stacy (Hailee Steinfeld), die in einer eigenen Dimension als Spider-Woman das Böse bekämpft.
Doch lange währt diese Trennung nicht: Eine neue Gefahr für das Multiversum zwingt die verschiedenen Spider-Man-Inkarnationen unter der Führung des verbissenen Miguel O’Hara alias Spider-Man 2099 (Oscar Isaac) dazu, sich zusammenzuraufen. Und so kämpft Spider-Man plötzlich an der Seite von Spider-Man, Spider-Man, Spider-Man und Spider-Man, Spider-Man, Spider-Man sowie Spider-Man.
«‹Across the Spider-Verse› ist nur unmerklich teurer als sein Vorgänger – und trotzdem fühlt sich alles an diesem Film grösser, dringlicher und existenzieller an.
«Across the Spider-Verse» ist nur unmerklich teurer als sein Vorgänger – und trotzdem fühlt sich alles an diesem Film grösser, dringlicher und existenzieller an. Zahlreiche verschiedene Dimensionen werden im Film besucht, die sich alle visuell voneinander abheben – hier die schummrige Neon-Welt, in der Gwen Stacy alias Spider-Woman zu Hause ist, dort das in pulsierenden, leuchtenden Farben gehaltene «Mumbattan», eine Mischung aus Big Apple und Little India, in dem ein indischer Spider-Man für Recht und Ordnung sorgt.
Nicht nur die Settings sind liebevoll und durchdacht inszeniert; auch animationstechnisch macht der Film gegenüber seinem Vorgänger noch einmal einen deutlichen Schritt nach vorne. «Across the Spider-Verse» schöpft die technischen Möglichkeiten vollends aus, spielt mit zahlreichen verschiedenen Animationsstilen und Looks und setzt auf dynamische und witzige Actionsequenzen, die zu keinem Zeitpunkt langweilen.
«Dass die Regisseure in diesem Film unter anderem Gwen Stacy stärker in den Vordergrund rücken, tut nicht nur dem Film unglaublich gut, sondern auch der Figur.»
Viele Welten bedeuten auch viele Figuren. Laut den Produzenten und Drehbuchautoren Phil Lord und Christopher Miller («The Lego Movie») treten im Film über 200 Figuren in Erscheinung. Dass «Across the Spider-Verse» – und das Publikum – dabei den Überblick behält, liegt daran, dass der Film die Fäden stets fest in der Hand hält und sich auf das Beleuchten einiger wesentlicher Charaktere beschränkt.
Dass die Regisseure in diesem Film unter anderem Gwen Stacy stärker in den Vordergrund rücken, tut nicht nur dem Film unglaublich gut, sondern auch der Figur. Stacy, bis dato vor allem als Peter Parkers Freundin und durch ihren späteren tragischen Tod bekannt, kann endlich aus dem Schatten des Helden treten und ihre eigene Geschichte schreiben. Aber auch Miles – und besonders seine schwierige Beziehung zu seinen Eltern – wird im Film noch einmal zusätzlich vertieft.
Das bedingt zwar auch, dass der fast zweieinhalbstündige Film zu Beginn durch die ganze Exposition stark ausgebremst wird. Die für einen Animationsfilm überdurchschnittliche Laufzeit liegt sicher auch an der oberen Grenze des Zumutbaren – doch sobald Dos Santos, Powers und Thompson richtig loslegen, vergehen die 140 Minuten wie im Flug.
«Across the Spider-Verse» zündet ein nie enden wollendes erzählerisches Feuerwerk, das in einem wilden Finale – und einem fiesen Cliffhanger – gipfelt und Lust macht auf den abschliessenden «Spider-Man: Beyond the Spider-Verse». Ob das Trilogien-Finale seinen Vorgänger abermals toppen kann, oder ob er doch eher der «Return of the Jedi» (1983) zu seinem «The Empire Strikes Back» ist, wird sich spätestens 2024 zeigen.
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Kinostart Deutschschweiz: 1.6.2023
Filmfakten: «Spider-Man: Across the Spider-Verse» / Regie: Joaquim Dos Santos, Kemp Powers, Justin K. Thompson / Mit: Shameik Moore, Hailee Steinfeld, Oscar Isaac, Jake Johnson, Luna Lauren Vélez, Jason Schwartzman, Issa Rae, Brian Tyree Henry, Karan Soni, Daniel Kaluuya / USA / 140 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
«Spider-Man: Across the Spider-Verse» setzt dem gefeierten Vorgänger noch einmal einen drauf. Die Fortsetzung ist eine wilde und bunte Angelegenheit, der es auch nicht an Tiefgang mangelt.
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