Nach der grossen «Endgame»-Entscheidungsschlacht meldet sich Marvel bereits zurück mit einem neuen Kapitel in der Superhelden-Saga: «Spider-Man: Far From Home» schickt seinen Titelhelden auf eine actiongeladene Schulreise nach Europa – und gibt einen Ausblick darauf, was die Franchise in Zukunft erwarten könnte.
Nach «Avengers: Endgame», dem einzigartig fulminanten Abschluss der ersten Avengers-Ära, der vor wenigen Monaten Millionen von Menschen bereits am Erscheinungstag ins Kino lockte, einige der beliebtesten Superheld*innen aus der Franchise verabschiedete und, ganz nebenbei, die Erwartungen an das Genre neu definierte, sieht Marvel sich mit einigen essenziellen Fragen konfrontiert: Wie kann und wird diese Franchise weiterhin existieren? Welche neuen Richtungen sollen nun eingeschlagen, welche neuen Geschichten erzählt werden? Und wie sieht eine (Superhelden-)Welt ohne den ikonischen Übermann Tony Stark aus?
Statt sich ausschliesslich hinter verschlossenen Türen mit diesen Problemen herumzuschlagen, präsentiert das Studio mit «Spider-Man: Far from Home» nahtlos seinen neusten Streich, der die Trümmer der «Endgame»-Schlacht zusammenfegen, laut über die neu entstehenden Dynamiken nachdenken und einen vorsichtigen Ausblick darauf geben soll, was zukünftig auf die Superheld*innen warten könnte. Dass Marvel diese gewichtigen Aufgaben keinem anderen als Spider-Man übergibt, ist ein ebenso logischer wie geschickter Schachzug: Vom makrokosmischsten und epischsten aller Marvel-Filme zoomt «Far From Home» hinein in die mikrokosmische (fast) alltägliche Welt Peter Parkers, seit jeher Sympathieträger und Aushängeschild der Marvel-Comics.
Handlung und Emotionen setzen dort ein, wo «Endgame» aufgehört hat: Mit Tony Stark hat Peter Parker (Tom Holland) nach dem Sieg über Thanos nicht nur seine Vaterfigur verloren; er sieht sich auch mit unmöglichen Erwartungen konfrontiert. Dass der 16-Jährige lieber nicht über seine Rolle als potenzieller Nachfolger des Tech-Milliardärs nachdenken, sondern stattdessen ein ganz normales Leben führen und mit seinen Freunden auf Schulreise nach Europa gehen will, versteht sich von selbst. Seine grösste Sorge: den richtigen Moment zu finden, um MJ (eine grossartig sarkastische Zendaya) seine Gefühle zu gestehen. Leider funkt auch hier einmal mehr seine unausweichliche Bestimmung dazwischen: Kaum in Venedig angekommen, ist ein zerstörerisches Wassermonster im Begriff, die Stadt für immer versinken zu lassen – und Nick Fury (Samuel L. Jackson) und der interdimensionale Superheld Quentin Beck (Jake Gyllenhaal) zählen auf Peters Hilfe.
«Wie schon sein Vorgänger vereint der Film gekonnt die Welt der Superhelden mit den alltäglichen Teenager-Problemen und existenziellen Ängsten seiner Hauptfigur.»
In Sachen Action, Spezialeffekte und Plot wagt «Far from Home» keine Experimente und setzt als behutsamer Neustart der Franchise auf Altbewährtes: Jede Entwicklung und der obligatorische Plot-Twist sind vorauszusehen. Und auch wenn für einmal statt spiegelndes New Yorker Glas altes Gemäuer in Venedig, Prag und London durch die Luft fliegt, sind die Action-Sequenzen zwar gewohnt bunt und adrenalingeladen, zeigen aber – besonders im direkten Vergleich zu «Endgame» oder etwa dem Animationsmeisterwerk «Spider-Man: Into the Spider-Verse» (2018) – wenig Innovation. Dennoch ist der Film, wie schon sein Vorgänger «Spider-Man: Homecoming» (2017), unterhaltsam, rasant und witzig, und vereint gekonnt die Welt der Superhelden mit den alltäglichen Teenager-Problemen und existenziellen Ängsten seiner Hauptfigur.
«Es liegt an der neuen Generation, die Verantwortung zu übernehmen und gegen das Chaos Widerstand zu leisten.»
Denn in Peter Parker selbst lag schon immer die Stärke der Spider-Man-Filme: Als «die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft» ist Spider-Man nicht nur die perfekte Wahl, um der neu beginnenden Franchise sein sympathisches Gesicht zu leihen – er fungiert auch seit seiner Erfindung als Spiegel und Identifikationsfigur für das Publikum. In einer Welt ohne Tony Stark, in der Bösewichte Chaos verbreiten, um die Öffentlichkeit in Angst unter sich zu scharen, gibt es keine Erwachsenen mehr, die alle Probleme lösen werden: Es liegt an der neuen Generation, die Verantwortung zu übernehmen und gegen das Chaos Widerstand zu leisten.
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Kinostart Deutschschweiz: 3.7.2019
Filmfakten: «Spider-Man: Far from Home» / Regie: Jon Watts / Mit: Tom Holland, Samuel L. Jackson, Zendaya, Jake Gyllenhaal, Cobie Smulders, Jon Favreau, Marisa Tomei / USA / 129 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
«Far from Home» läutet eine neue Marvel-Ära ein. Experimentierfreudig ist der Film nicht, bietet aber beste Unterhaltung und spannende Ausblicke in die Superhelden-Zukunft.
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