Kurz nach der Jahrtausendwende sorgte eine Gruppe von Journalisten im Erzbistum von Boston für einen Skandal: Ausgedehnte Recherchen brachten ans Licht, wie die katholische Obrigkeit den grassierenden Kindesmissbrauch unter ihren Pfarrern systematisch unter den Teppich kehrte. «Spotlight» arbeitet die Geschichte virtuos auf.
Wenn sie gut gemacht sind, gehören journalistische Thrillerdramen mit zum Packendsten, was Hollywood zu bieten hat. Das hat 1976 Alan J. Pakulas Watergate-Meisterstück «All the President’s Men» bewiesen, und «Spotlight» setzt die Tradition würdig fort. Das Feuer und die Dringlichkeit, mit denen die «Boston Globe»-Reporter Walter Robinson (Michael Keaton – nach seinem Comeback als «Birdman» erneut herausragend), Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und Matt Carroll (Brian d’Arcy James) dem Skandal hier auf den Grund gehen, überträgt sich mühelos auf die Leinwand. Man würde nicht annehmen, dass ein 130-minütiger Film, der sich hauptsächlich aus der Darstellung von Redaktionssitzungen, Interviews und dem Durchforsten von Aktenbergen und archivierten Zeitungsberichten zusammensetzt, wie im Fluge vergeht. Aber es ist so.
Die Klasse trägt einen Namen: Tom McCarthy, der zuvor kleine, in Europa wenig beachtete Indie-Perlen wie «The Station Agent» (2003, mit einem jungen Peter Dinklage in der Hauptrolle) oder «Win Win» (2011) gedreht hat, zeichnet hier nicht nur als Regisseur, sondern schrieb zusammen mit «West Wing»-Veteran Josh Singer auch das Drehbuch. In beiden Chargen hält er einmal mehr die schwierige Balance zwischen intellektuellem und emotionalem Anspruch. Die Arbeit von Robinson, Rezendes, Pfeiffer und Carroll wird geradlinig, schnörkellos und stringent in Szene gesetzt, ohne aber den menschlichen Kern des Skandals aus den Augen zu verlieren.
Letzteres ist nicht nur dem grossartig aufspielenden Cast geschuldet – neben den Protagonisten brillieren auch die Nebendarsteller Liev Schreiber und Stanley Tucci –, sondern ist mindestens ebenso sehr das Verdienst des Skripts, welches zusammen mit den Drehbüchern zu «Steve Jobs» (Aaron Sorkin) und «Carol» (Phyllis Nagy) zu den besten der diesjährigen Award Season gehört. Die Worte in diesem ungemein dichten Dialogfilm fallen mit maximaler Präzision; Exposition findet mittels elegant ins Geschehen eingebetteter Gespräche statt; der potenziell steifen Thematik wird mit erzählerischer Effizienz und einem gesunden Tempo entgegengewirkt.
Es scheint, als wäre Tom McCarthy mit «Spotlight» auf der grossen Bühne angekommen. Und er nutzt die Chance, sein Faible für klarsichtigen, humanistisch geprägten Kino-Sozialrealismus auf das «Based on True Events»-Genre auszuweiten, um dem «Boston Globe»-Team – und damit dem anhaltenden Wert des Print-Journalismus – ein verdientes filmisches Denkmal zu setzen.
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Kinostart Deutschschweiz: 25.2.2016
Filmfakten: «Spotlight» / Regie: Tom McCarthy / Mit: Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, Brian d’Arcy James, Liev Schreiber, John Slattery, Stanley Tucci, Billy Crudup / USA / 129 Minuten
Bildquelle: Praesens Film
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[…] – 2/25/16] | Alan Mattli @ Maximum Cinema […]