Im Rahmen des von Ridley Scott mitinitiierten «In a Day»-Projekts reichen Menschen Videos aus ihrem Alltag ein, die daraufhin zu einer Collage zusammengeschnitten werden. Die von «Wolkenbruch»-Regisseur Michael Steiner lancierte Schweizer Ausgabe, genannt «Switzerlanders», entpuppt sich als Werbespot in Spielfilmlänge.
Wer am Flughafen Zürich am Satellitenterminal E ankommt oder von dort abreist, dem bietet sich seit 2006 ein kurioses Schauspiel: Die gut zweiminütige Fahrt mit der sogenannten Skymetro durch einen kilometerlangen Verbindungstunnel führt vorbei an Wänden, an denen eine Reihe von Bildern im Stile eines Zoetrops eine kleine Geschichte der «Swissness» erzählt – Heidi, Matterhorn, Walterli, Fahnenschwingen, dazu muhende Kühe und bimmelnde Glocken über die Lautsprecheranlage des Zuges. Es ist das Erste und Letzte, was Gäste und Einheimische von der Schweiz mitbekommen.
Man kann sich echauffieren über diese romantisierte Beschwörung tourismuswirksamer Helvetia-Mythen, die mit der Lebensrealität der grossen Mehrheit der Landesbevölkerung rein gar nichts zu tun haben. Man kann sie als anheimelnde Überhöhung oder gewitztes Eigenmarketing feiern. Und man kann sie auch schulterzuckend ignorieren, wie es die meisten Leute in der Skymetro tun.
Was diese Architektur gewordene Form der offensiven Schweizer Selbstdarstellung mit «Switzerlanders», dem crowdgesourcten neuen Film von Michael Steiner, zu tun hat? Beide vermitteln ein ähnlich simples Landesporträt, wobei die Skymetro wenigstens nicht den Anspruch zu hegen scheint, irgendetwas Reales zu repräsentieren.
«Jetz simmer endlich mol bi öppis Grossem debi»
«Switzerlanders» knüpft, wie etwa «Britain in a Day» (2011) oder «Italy in a Day» (2014), an Kevin Macdonalds Dokumentarfilmcollage «Life in a Day» (2011) an. Dessen Konzept – erarbeitet von YouTube, LG und Ridley Scott («Blade Runner», «The Martian») – war ebenso einfach wie ambitioniert: Menschen in aller Welt wurden dazu aufgerufen, sich am 24. Juli 2010 zu filmen. So kamen Tausende von Stunden Amateurmaterial zusammen, die Macdonald schliesslich zu einem 95-minütigen Porträt der Menschheit verdichtete. Es sei ein Rohrschach-Test, meinte er – «man sieht darin, was man sehen will».
Und nun ist die Schweiz also mitgezogen, frei nach Manuel Stahlberger: «Jetz simmer endlich mol bi öppis Grossem debi». Es ist im Grunde die logische Konsequenz von Steiners Karriere, der spätestens seit seinem Erfolgsdoppelschlag «Mein Name ist Eugen» (2005) und «Grounding» (2006) als populistischer Hit-Regisseur in der Tradition von Steven Spielberg gefeiert wird: Auf die rekordverdächtigen Publikumslieblinge folgt der Film von und über besagtes Publikum.
«Auf die rekordverdächtigen Publikumslieblinge folgt der Film von und über besagtes Publikum.»
Steiners Stichtag, der im vergangenen Sommer via gross angelegter «20 Minuten»-Kampagne kommuniziert wurde, ist der 21. Juni – Sommeranfang, genau eine Woche nach dem historischen Frauenstreik, der Tag eines internationalen Klimaprotests. Die Pressenotizen versprechen «eine filmische Zeitkapsel» über «einen Tag im politisch und gesellschaftlich turbulenten Sommer 2019».
Das sind grosse Worte für ein Werk, das an genormter, hemdsärmeliger Biederkeit kaum zu überbieten ist. Ein paar zerhackstückelte Aufnahmen des «Fridays for Future»-Umzuges, eine Stammtisch-Tirade über Lithiumbatterien, eine Bestandsaufnahme der schwindenden Alpengletscher und ein Harry-Hasler-Verschnitt, der gegen «das linke und grüne Pack» in Zürich wettert – und das war es dann auch schon in Sachen Aktualitätsbezug.
Der Rest von «Switzerlanders» bedient mehrheitsfähige Gemeinplätze, die zu keinem Zeitpunkt ein spezielles Gefühl von Zeit und Ort evozieren. Hier philosophiert ein Chirurg über Leben und Tod, dort singt ein Ländlerchor ein Ständchen. Ein Mädchen erzählt vom Schwingverein, ein Bündner Zugführer vom Unterschied zwischen Sommer und Winter. Ein Rekrut zeigt uns den militärischen Alltag (mitsamt gutem Mittagessen), Arbeiterinnen und Bauern starten in den Tag; derweil es im Altersheim süsse Therapietiere zu bestaunen gibt. Aufgelockert wird die Struktur durch sporadische Sketche, die wohl besser auf TikTok geblieben wären.
«Aufgelockert wird die Struktur durch sporadische Sketche, die wohl besser auf TikTok geblieben wären.»
Kevin Macdonald würde diesen Vorwurf des fehlenden Profils wohl mit seinem Rohrschach-Test-Vergleich kontern: Die Collage ist, was man daraus macht – und wie lassen sich Darstellungen kritisieren, über deren Inhalt der Regisseur keine Kontrolle hatte? Doch natürlich hält Steiner auch unter diesen Voraussetzungen die Zügel in der Hand: Zusammen mit seinen Schnittmeistern Jason Frisch und Marc Helfers hat er fast 1’500 Stunden Material aus Hunderten von Blickwinkeln in ein für sich sprechendes Bild der Schweiz übersetzt. Und dieses Bild ist nicht nur frustrierend konturlos, sondern auch erschreckend homogen.
«Unterlegt von pathetischer Musik, zelebriert ‹Switzerlanders› in bester PR-Manier die kollektive Begeisterung über ‹s’Schwyzerländli›, das hier überwiegend von weissen Deutschschweizer*innen aus ländlichen und suburbanen Regionen repräsentiert wird.»
Unterlegt von pathetischer Musik, zelebriert «Switzerlanders» in bester PR-Manier die kollektive Begeisterung über «s’Schwyzerländli», das hier überwiegend von weissen Deutschschweizer*innen aus ländlichen und suburbanen Regionen repräsentiert wird. Abgesehen von einem sonderbaren Gedicht über «ein Scheisskaff in einem Scheisskanton in einem Scheissland» und einem Somali, der mit den Auflagen seiner Aufenthaltsbewilligung hadert, herrscht hier im Grossen und Ganzen zuckersüsse Einigkeit über die Grossartigkeit des Lebens zwischen Genfer- und Bodensee. Menschen mit Migrationshintergrund – immerhin mehr als ein Drittel der Bevölkerung – werden indes zu einem Paralleldasein in einem scharf umrissenen Segment reduziert, in dem verschiedene Exponenten Variationen auf die alte «Hier ist alles so sauber und pünktlich»-Leier zum Besten geben.
«Steiner gibt sich stattdessen mit einem faden, oberflächlichen Promovideo zufrieden, das in nicht allzu weit entfernter Zukunft wohl auf dem Regal eines Duty-Free-Souvenirshops auf die frisch bejodelten Skymetro-Passagiere warten wird.»
Es wäre vermessen, von einem «In a Day»-Beitrag eine seriöse Auseinandersetzung mit den Widersprüchen und Facetten eines ganzen Staates zu erwarten. Aber «Switzerlanders» schafft es mit seiner langen Kette von Plattitüden nicht einmal, die für die Schweiz so prägende Vielfalt überhaupt erst abzubilden. Steiner gibt sich stattdessen mit einem faden, oberflächlichen Promovideo zufrieden, das in nicht allzu weit entfernter Zukunft wohl auf dem Regal eines Duty-Free-Souvenirshops auf die frisch bejodelten Skymetro-Passagiere warten wird.
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VOD-Release: 21.5.2020
Filmfakten: «Switzerlanders» / Regie: Michael Steiner / Schweiz / 82 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Praesens Film
«Switzerlanders» will eine Schweizer Zeitkapsel sein. Dafür enthält die Collage aus Amateuraufnahmen aber zu viele nichtssagende Gemeinplätze und zu wenig Perspektivenvielfalt.
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