Martin McDonaghs Langspielfilm-Karriere begann mit der schwarzen Komödie «In Bruges» (2008), in der Colin Farrell und Brendan Gleeson in den Hauptrollen glänzten. Jetzt ist das Trio wieder vereint – und zu Recht auf Oscar-Kurs: «The Banshees of Inisherin» ist eine ebenso triste wie urkomische Abrechnung mit dem Schauplatz Irland und der Rolle, die das Land in McDonaghs eigenem Schaffen einnimmt.
Martin McDonagh ist ein faszinierender Filmemacher, allein schon auf dem Papier: Er wurde 1970 in London als Sohn zweier irischer Auswanderer*innen geboren, die, als er 22 Jahre alt war, ohne ihn und seinen älteren Bruder John Michael McDonagh («The Guard», «Calvary») nach Irland zurückkehrten.
In der Folge etablierte er sich als erfolgreicher Dramatiker, schrieb ein Theaterstück nach dem anderen und liess sich dabei vom Heimatland seiner Eltern inspirieren: «The Beauty Queen of Leenane» (1996), «The Cripple of Inishmaan» (1996), «A Skull in Connemara» (1997), «The Lonesome West» (1997), «The Lieutenant of Inishmore» (2001) – immer und immer wieder zog es ihn in seiner Arbeit nach Irland, um auf schwarzhumorige Weise mit dem Land und seiner absurd-tragischen Geschichte abzurechnen.
2004 feierte er schliesslich sein Debüt als Filmregisseur: Der Kurzfilm «Six Shooter» wurde prompt mit einem Oscar ausgezeichnet; darauf folgten die immer noch zutiefst irisch geprägte Auftragskiller-Tragikomödie «In Bruges» (2008), der selbstreflexive Hollywood-Gangsterfilm «Seven Psychopaths» (2012) und der unverhoffte Mainstream-Crowdpleaser «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» (2017). Und nun, weitere fünf Jahre später, kehrt McDonagh in «The Banshees of Inisherin» zu seinen Bühnen-Ursprüngen zurück – doch seither hat sich einiges geändert.
Das kündigt schon der Titel des Films an, der ein seit über 20 Jahren offenes Versprechen einlöst – oder zumindest fast: «The Cripple of Inishmaan» und «The Lieutenant of Inishmore» wurden nach zwei der drei Aran-Inseln vor der Westküste Irlands benannt; ein Abschluss der sogenannten «Aran Islands Trilogy» war unter dem Arbeitstitel «The Banshees of Inisheer» vorgesehen, wurde aber wegen angeblich mangelnder Qualität nie realisiert. Also springt nun «Inisherin» in die Bresche – wenn auch mit dem nicht insignifikanten Schönheitsfehler, dass es die Insel Inisherin, anders als Inishmaan, Inishmore und Inisheer, gar nicht gibt.
«Inhaltlich stellt ‹The Banshees of Inisherin› einen Bruch in McDonaghs filmischem Schaffen dar: Es ist sein erster Langspielfilm, der in Irland spielt; es ist das erste Mal, dass eine seiner Leinwandgeschichten in der Vergangenheit angesiedelt ist.»
Doch auch inhaltlich stellt «The Banshees of Inisherin» einen Bruch in McDonaghs filmischem Schaffen dar: Es ist sein erster Langspielfilm, der in Irland spielt; es ist das erste Mal, dass eine seiner Leinwandgeschichten in der Vergangenheit angesiedelt ist; es ist sein bislang wohl theaterhaftester Film – und sein Inhalt wirkt wie das Werk eines desillusionierten Heimkehrers.
Wir schreiben das Jahr 1923: Während auf dem Festland der Irische Bürgerkrieg zwischen den englandnäheren Freistaatler*innen und den radikaleren Republikaner*innen in den letzten Zügen liegt, geht auf der verschlafenen Insel Inisherin alles seinen gewohnten Gang. Doch dann schockiert der weltgewandte Colm (Brendan Gleeson) seinen etwas einfacher gestrickten Freund Pádraic (Colin Farrell) mit einer schicksalhaften Neuigkeit: Er hat keine Lust mehr, sich jeden Nachmittag um 14 Uhr mit ihm zum Guinness zu treffen und seinen langweiligen Geschichten zuzuhören. Kurzum: Er will nicht mehr mit ihm befreundet sein.
Colms Ansage könnte deutlicher nicht sein, doch Pádraic reicht die Erklärung nicht. Also setzt er – angestachelt vom Dorfsonderling Dominic (Barry Keoghan) und entgegen der Proteste seiner Schwester Siobhán (Kerry Condon) – alles daran, herauszufinden, was in seinen Freund gefahren ist. Auf dieses unnachgiebige Nachhaken reagiert Colm jedoch alles andere als gelassen.
Es ist nicht schwer, Colm als Martin McDonaghs Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk zu verstehen: Der vom herausragenden Brendan Gleeson bedrohlich grimmig dargestellte Fiedler, dessen Häuschen vollgestopft ist mit Weltreiseandenken – vom Landschaftsgemälde bis zur Kabuki-Maske –, ist in seine Heimat zurückgekehrt, um dort in aller Ruhe seinen Lebensabend zu verbringen, und muss feststellen, dass diese ihm keine Freude mehr bereitet. Ersonnen wurde er von einem irischstämmigen Londoner, der sich thematisch auf den Ausgangspunkt seiner Karriere besinnt und sich dabei mit der Frage konfrontiert sieht, wie nahe er und die Inspiration von einst sich nach seinen Jahren der Wanderschaft überhaupt noch stehen.
Die Antworten, die «The Banshees of Inisherin» findet, sind zwiespältig. McDonagh hat nach wie vor ein bewundernswertes Gespür für die Feinheiten – und das komödiantische Potenzial – des ländlichen irischen Idioms: Wie schon in «In Bruges» kosten seine überspitzten, im Bühnenstil polierten Dialekt-Dialoge die irische Eigenheit, das Wesentliche auf umständlichen Umwegen auszudrücken, genüsslich aus.
«Wie schon in ‹In Bruges› kosten seine überspitzten, im Bühnenstil polierten Dialekt-Dialoge die irische Eigenheit, das Wesentliche auf umständlichen Umwegen auszudrücken, genüsslich aus.»
Überhaupt unterstreicht McDonagh hier einmal mehr, dass er ein besserer Drehbuchautor als ein visuell denkender Regisseur ist: Wo das gesprochene Wort, das trotz des windigen Inselschauplatzes praktisch nie mit den Naturgeräuschen von Inisherin konkurrieren muss, immer wieder wunderbare Kapriolen schlägt und thematische Tiefen erkundet – etwa die Möglichkeit, dass Colm und Pádraic die zwei Seiten des Irischen Bürgerkriegs symbolisieren –, bleibt die Bildsprache von «The Banshees of Inisherin» nüchtern und funktional. Die Landschaft am Drehort Inishmore ist wunderschön, wird von McDonagh und Kameramann Ben Davis aber nicht weiter bemerkenswert inszeniert: Die Bilder, wie auch das Tondesign, rücken die menschlichen Akteur*innen ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Gleichzeitig trägt dies aber auch zu McDonaghs bittersüssem Irland-(Selbst-)Porträt bei: Der Film erzählt nicht zuletzt von Figuren, die in einer zukünftigen Touristenfalle gefangen sind – kein Wunder, wirken die Panoramaaufnahmen ausgewaschen, abgedroschen, uninspirierend. Mehrfach scheint sich McDonagh in seiner Inszenierung der Landschaft von Inisherin bewusst auf popkulturelle Irlandbilder wie etwa die Neunzigerjahre-Sitcom «Father Ted» (1995–1998) zu berufen und zu fragen, was er dem umfangreichen nationalen Legendarium denn noch hinzufügen könnte.
«Die Landschaft am Drehort Inishmore ist wunderschön, wird von McDonagh und Kameramann Ben Davis aber nicht weiter bemerkenswert inszeniert: Die Bilder, wie auch das Tondesign, rücken die menschlichen Akteur*innen ins Zentrum der Aufmerksamkeit.»
Es ist also nicht nur die Geschichte über aufgekündigte Freundschaft, ignorierte und verteufelte Frauen und misshandelte Söhne, die «The Banshees of Inisherin» – trotz aller urkomischer Dialoge – zu einer bemerkenswert tristen Angelegenheit macht. Hier rechnet auch ein Künstler mit einem Land – oder vielmehr der kulturellen Idee eines Landes – ab, das ihn ein Leben lang begleitet hat, und mit dem er sich nun an einem Scheideweg wiederfindet. Damit bleibt McDonagh der Meister des Lachens, das einem im Halse stecken bleibt.
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Kinostart Deutschschweiz: 5.1.2023
Filmfakten: «The Banshees of Inisherin» / Regie: Martin McDonagh / Mit: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan, Gary Lydon, Pat Shortt, Sheila Flitton, Bríd Ní Neachtain, Jon Kenny, David Pearse / Irland, Grossbritannien, USA / 114 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 20th Century Studios. All Rights Reserved. / Disney Schweiz
Lachen? Weinen? Am besten beides gleichzeitig. In «The Banshees of Inisherin» macht sich Martin McDonagh auf faszinierende Weise Gedanken über das Land, das ihn seit Jahrzehnten inspiriert.
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