Wann ist der richtige Zeitpunkt, um seinem besten Freund zu gestehen, dass man mit dessen Verlobten geschlafen hat? Wie es der Titel von «The Climb» bereits verrät: am besten, wenn man sich mit den Fahrrädern mühsam die Berge im Hinterland der Côte d’Azur hinaufquält, und weiss, dass der unsportliche BFF nicht hinterherkommt, auch wenn er immer wieder «I’ll kill you!» ruft. Ist das das Ende einer Männerfreundschaft?
Die Radtour endet nach einer Schlägerei mit einem wildgewordenen 2CV-Fahrer im Spital, und als auch noch die Verlobte von Kyle (Kyle Marvin) auftaucht, scheint das Ende einer langen Freundschaft besiegelt. Das ist der Auftakt zu Michael Angelo Corvinos Langspielfilmdebüt, in dem man in eine innige, vielseitige, tragische und komische Freundschaft in sieben Kapiteln eintaucht.
Diese besondere Beziehung zwischen Mike (Corvino) und Kyle offenbart schon zu Beginn die Charaktere der beiden Männer. Kyle ist liebenswürdig, gutmütig, eingebettet in seiner Grossfamilie und möchte einfach nur geliebt werden. Mike ist ein Draufgänger, egoistisch, labil und weiss seinen Freund auszunützen. Vor allem wenn ihm das Schicksal übel mitspielt. Kyle wird immer wieder auf eine Geduldsprobe gestellt, wenn Mike ihn vor der nächsten Frau «retten» möchte, da sie ihrer Freundschaft im Weg steht.
«Wie oft muss man einem Arschloch vergeben, der im Grunde nur ein guter Mensch sein will?»
Mit der hartnäckigen, ebenso egoistischen und selbstbewussten Marissa (hervorragend: Gayle Rankin), die selbst bei Kyles Familie nicht wirklich gut ankommt, hat Mike allerdings nicht gerechnet. Sie will Kyle heiraten und Mike loswerden. Und trotzdem schafft es Mike, aus Mitleid, zu Kyles Familienfesten eingeladen zu werden, das romantische Skiwochenende von Kyle und Marissa mit seiner Anwesenheit zu stören oder sogar deren Hochzeit zu crashen, damit Kyle keine «Dummheit» begeht. Diese toxische Freundschaft scheint nach fast jedem Kapitel unwiderruflich zerstört, und trotzdem können sie voneinander nicht lassen. Sie lebt unausgesprochen von der Frage: «Wie oft muss man einem Arschloch vergeben, der im Grunde nur ein guter Mensch sein will?»
Die nicht klar voneinander getrennten Kapitel enden meist unvorhergesehen, und die Dramaturgie der stets überquellenden Gefühle werden durch urkomische, teils ironische Szenen kompensiert. Wie in Kapitel zwei etwa, wo eine Beerdigung in eine Schlägerei ausartet; oder zu Weihnachten, als Mike depressiv und sturzbetrunken bei Kyles Familie auftaucht und den Weihnachtsbaum umstösst, stellen die Familienmitglieder nur erstaunt fest, wie fett er geworden ist.
Man merkt, dass dies die grösste Herausforderung von Marvin und Corvino war: die Balance zwischen Beziehungsdrama und Klamauk zu finden. Man verzeiht ihnen auch die surrealen Übergänge ins jeweils nächste Kapitel – musikalische Absurditäten wie ein ukrainischer Chor im Schnee oder gospelsingende Totengräber –, da der Film sonst von den Charakteren und deren Dialogen lebt. Da die beiden auch in der Realität beste Freunde sind und zusammen das Drehbuch geschrieben haben, wirkt die Geschichte sehr authentisch und punktet mit der Tatsache, dass alle Darstellenden durchschnittliche Menschen sind, die ein alltägliches Setting wiedergeben.
«Bei aller Tragik, die dieser toxischen Freundschaft zugrunde liegt, ist ‹The Climb› eine erfrischende Bereicherung im Subgenre der Buddy-Komödie, weil er sich genau davon abhebt und sich mehr am Independentkino und dem europäischen Film orientiert.»
«The Climb» entstand aus einem achtminütigen Kurzfilm, der 2018 in Sundance uraufgeführt wurde und die Lust der beiden Filmemacher weckte, mehr daraus zu machen. Vor allem aber wollten sie traditionelle Erzählstrukturen auseinanderbrechen, indem sie die Geschichte in Kapiteln und Zwischensequenzen aufteilten, wo man nie genau weiss, wie viel Zeit dazwischen liegt.
Trotzdem fügt sich das Ganze am Ende zusammen, und man lernt – speziell in der Szene zu Thanksgiving – die Interaktionen der weiteren Figuren und ihre Zugehörigkeit kennen, ohne Mike und Kyle aus dem Mittelpunkt zu verbannen. Die Zusehenden können die Lücken in dieser Geschichte selbst ausfüllen und sich somit tiefer auf die Figuren einlassen. Bei aller Tragik, die dieser toxischen Freundschaft zugrunde liegt, ist «The Climb» eine erfrischende Bereicherung im Subgenre der Buddy-Komödie, weil er sich genau davon abhebt und sich mehr am Independentkino und dem europäischen Film orientiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 20.8.2020
Filmfakten: «The Climb» / Regie: Michael Angelo Corvino / Mit: Michael Angelo Corvino, Kyle Marvin, Gayle Rankin / USA / 94 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Xenix Filmdistribution GmbH
«The Climb» von Michael Angelo Corvino ist eine gelungene Tragikomödie über eine «Bromance», wie sie menschlicher nicht sein könnte.
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