In seinem Regiedebüt «The Driven Ones» folgt Piet Baumgartner fünf Studierenden der Universität St. Gallen vom Studium über den Abschluss bis zu ihren ersten Karriereschritten in der erbarmungslosen Welt der Wirtschaft. Was auf den ersten Blick wie eine Skizze der renommierten Wirtschaftsuni und derer Abgänger*innen wirken mag, entpuppt sich nach und nach als Frage nach der Rolle – und vor allem der Verantwortung – zukünftiger CEOs und Consultants in einem System, das für viele globale Probleme unserer Zeit mitverantwortlich ist.
Der Studiengang «Strategy and International Management» kurz «SIM» an der Universität St. Gallen ist laut «Financial Times» das weltweit beste Masterprogramm. Wer hier studiert, so heisst es, gehört zu den CEOs der Zukunft – den Menschen, die innerhalb von mächtigen Konzernen und zukunftweisenden Start-ups das Sagen haben werden. Da scheint es naheliegend, dass das Bewusstsein für diese grosse Verantwortung entsprechend vermittelt wird – oder? Doch spätestens als Protagonist Tobias nach einer Übung in einem Seminar zugibt, «Das ist das, was wir bullshitten nennen», wird klar, dass das wohl eher nicht der Fall ist.
Während fünf Jahren begleitet Regisseur Piet Baumgartner seine Protagonist*innen Feifei, Sara, Tobias, Frederic und David durch die Studienzeit und ihre ersten Karriereschritte. Dabei gewährt «The Driven Ones» Einblick in die knallharte Wirtschaftswelt und wirft gekonnt Fragen auf, die sich nicht mit dem konventionellen «Wer überlebt im Shark-Tank?» zufriedengeben.
Wer in der elitären Businesswelt reüssieren will, muss einige Opfer bringen. Das Publikum verfolgt die Protagonist*innen dabei, wie ihre Beziehungen in die Brüche gehen, wichtige Momente im Bekanntenkreis verpasst werden und 70- bis 80-Stunden-Wochen bewältigt werden müssen, während Vorgesetzte selbst dann noch monieren: «Am Dienstagmorgen darf man noch nicht müde sein.» Je tiefer man mit dem Film in die Wirtschaftswelt eintaucht, desto öfter fällt einem unweigerlich die Kinnlade hinunter.
Während man zusammen mit den frisch gebackenen Uni-Abgänger*innen von Meeting zu Meeting gehetzt wird, bleibt jedoch der visuelle Aspekt etwas auf der Strecke und vermag keine stringente Linie zu formen. Obwohl vor allem in der ersten Hälfte immer wieder ästhetische Einstellungen eingebaut werden, scheint sich der visuelle Anspruch besonders in der Mitte des Films etwas zu verlieren.
«Mit viel Feingefühl porträtiert Baumgartner die Wünsche, Gedanken und Sorgen seiner Protagonist*innen – und spricht dabei Theman an, die weit über die Wirtschaftsbranche hinausgehen.»
Darüber lässt sich allerdings problemlos hinwegsehen, denn «The Driven Ones» lebt von seinen Porträts der fünf jungen Erwachsenen. Mit viel Feingefühl porträtiert Baumgartner die Wünsche, Gedanken und Sorgen seiner Protagonist*innen – und spricht dabei Theman an, die weit über die Wirtschaftsbranche hinausgehen. Die dokumentierten Strukturen der Wirtschaftswelt sind durchaus relevant für die heutige Gesellschaft, da sie einiges über Privilegien in Bereichen wie Geschlecht, Herkunft und Vermögen aussagen.
«So lässt der Film sein Publikum durchgehend zwischen Fassungslosigkeit, Nachdenklichkeit, Wut und auch etwas Hoffnung schwanken.»
Das kristallisiert sich gerade in den Selbstreflexionen der einzelnen Protagonist*innen heraus – etwa wenn Feifei über ihren Migrationshintergrund und ihre damit zusammenhängenden Karrierechancen nachdenkt, während die gut situierte Sara nach dem Scheitern ihres Start-ups im riesigen Vorgarten des Familienhauses mit dem Hund auf der Wiese spielt während daneben ein Roboter den Rasen mäht. Baumgartner gelingt es so eindrücklich, zentrale gesellschaftliche Fragen auf die Leinwand zu bringen, ohne dem Film eine allzu wertende Haltung aufzuzwingen. So lässt der Film sein Publikum durchgehend zwischen Fassungslosigkeit, Nachdenklichkeit, Wut und auch etwas Hoffnung schwanken. Mit «The Driven Ones» ist Baumgartner ein Dokumentarfilm mit viel Feingefühl und – wortwörtlich – «Drive» gelungen.
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Kinostart Deutschschweiz: 2.11.2023
Filmfakten: «The Driven Ones» / Regie: Piet Baumgartner / Schweiz / 92 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
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Interessensbindung der Autorin: Aline Schlunegger ist Mitarbeiterin bei der Neugass Kino AG im Bereich Marketing und Kommunikation. Bei Maximum Cinema schreibt sie aber unabhängig von ihrer Position beim Kino über Filme und Serien.
«The Driven Ones» ist eine fesselnde Dokumentation über die CEOs von morgen, die mit ihren Personen-Porträts gekonnt soziale Fragen aufwirft, die weit über die Wirtschaftswelt hinausgehen.
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