«The Haunting of Bly Manor» ist nach dem von Kritik und Publikum gleichermassen hochgelobten «The Haunting of Hill House» die zweite Horror-Miniserie von Mike Flanagan. «Bly Manor» mag weniger stringent und prägnant sein als sein Vorgänger; dennoch beweist die Serie einmal mehr, dass Flanagan es versteht, die Konventionen des Horrorgenres gezielt zu nutzen, um mitreissende und berührende Geschichten über Erinnerung, Trauma und Trauer zu erzählen.
Die junge Amerikanerin Dani (Victoria Pedretti) hofft in England auf einen Neuanfang. Gelingen soll ihr dieser im herrschaftlichen Anwesen der Familie Wingrave, wo sie als Nanny für zwei Waisenkinder eingestellt wird. Die Stelle scheint geradezu ideal für die junge Frau, der, so merkt das Publikum bald, in der Vergangenheit etwas Tragisches widerfahren sein muss. Doch auch in diesem Haus geht es nicht mit rechten Dingen zu – denn Dani sieht Menschen, die eigentlich gar nicht da sind, findet mysteriöse Fussspuren in den Gängen, und wird von ihren sinisteren Schützlingen gewarnt, des Nachts bloss nicht das Bett zu verlassen.
«Bereits in ‹The Haunting of Hill House› erzählte Mike Flanagan die Geschichte eines Spukhauses, das nicht nur Geister, sondern auch eine ganze Menge traurige Erinnerungen und gebrochene Herzen beherbergt.»

Cr. EIKE SCHROTER/NETFLIX © 2020
Bereits in «The Haunting of Hill House» (2018) erzählte Mike Flanagan («Doctor Sleep») die Geschichte eines Spukhauses, das nicht nur Geister, sondern auch eine ganze Menge traurige Erinnerungen und gebrochene Herzen beherbergt. Und obwohl die beiden Serien inhaltlich nicht miteinander verwoben sind, hören die Parallelen dort nicht auf: Jede Figur trägt ein melancholisches Geheimnis mit sich herum und hadert mit ihrer Vergangenheit; jeder Raum in diesem beklemmenden Anwesen wurde Zeuge eines tragischen Ereignisses.
Dennoch ist «The Haunting of Bly Manor» – welches auf der Novelle «The Turn of the Screw» (1898) von Henry James basiert – nicht einfach nur eine Wiederholung derselben bewährten Gruseltricks. Zwar sind auch hier die nächtlichen Ungeheuer des Öfteren wandelnde Metaphern für die Gemütszustände und Traumata seiner Protagonist*innen. Doch Flanagan verzichtet dieses Mal fast gänzlich auf konfrontativen Horror und Jump-Scares und setzt stattdessen ganz auf ruhigere, schleichendere Ängste, die den Tonfall der Serie um einiges nachdenklicher daherkommen lassen.
Diese fast schon behäbige Erzählweise sorgt teilweise auch dafür, dass «Bly Manor» nie so recht Fahrt aufnehmen will und streckenweise fast schon explizit nach einer Kürzung verlangt. Selten erreicht die Serie die prägnanten Höhepunkte ihres Vorgängers, an denen alle Fäden zusammenlaufen und Horror und Drama sich zu gleichen Teilen zu etwas verquicken, das man in dieser Form noch nie so gesehen hat.
«Trotzdem vermag die Serie es, aus ihrem ruhigen Tonfall auch einige Stärken zu ziehen und ganz eigene Momente und Bilder zu kreieren.»

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Trotzdem vermag die Serie es, aus ihrem ruhigen Tonfall auch einige Stärken zu ziehen und ganz eigene Momente und Bilder zu kreieren. So hat sie etwa viel darüber zu sagen, wie vergangene (Liebes-)Beziehungen eine Person ein Leben lang heimsuchen können, wie Erinnerungen zum einen Trost spenden, zum anderen aber auch zu heimtückischen Geistern werden können, und wie Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft oftmals nicht so einfach voneinander entwirrt werden können.
Einmal mehr berühren in «Bly Manor» also vor allem die Figuren und ihre Beziehungen zueinander, die in ihrer Konzipierung zeigen, dass der wahre Horror weniger in schaurigen Monstern, sondern viel eher in Verlust, Einsamkeit und Reue liegt. Stark spielt vor allem T’Nia Miller (bekannt aus «Years and Years» und «Sex Education») als undurchsichtige Haushälterin, die in der ihr gewidmeten Episode 5 («Altar of the Dead») – der wohl konzeptuell dichtesten und narrativ fesselndsten Folge – besonders glänzen kann. Ebenfalls tauchen erfreulicherweise, ganz nach dem «American Horror Story»-Prinzip, mehrere der aus «Hill House» bekannten Darsteller*innen in neuen Rollen wieder auf (unter anderem Victoria Pedretti und Oliver Jackson-Cohen), was zusätzlich dazu einlädt, nach thematischen Parallelen zu suchen.
«In ihren atmosphärisch stärksten Momenten berührt die Serie aber mit ihren tragischen Charakteren und geschickt dosiertem (Melo-)Drama, derweil der thematische Kern auch nach dem Ende der letzten Episode eindringlich nachhallt: Erinnerungen sind wie Geister, die einen ein ganzes Leben lang verfolgen können – und wer nicht vorsichtig ist, kann ganz in ihnen versinken.»

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«Bly Manor» mag ein etwas ungelenkes Konstrukt sein, das niemals so richtig die gruseligen und thematischen Tiefen seines Vorgängers erreicht. In ihren atmosphärisch stärksten Momenten berührt die Serie aber mit ihren tragischen Charakteren und geschickt dosiertem (Melo-)Drama, derweil der thematische Kern auch nach dem Ende der letzten Episode eindringlich nachhallt: Erinnerungen sind wie Geister, die einen ein ganzes Leben lang verfolgen können – und wer nicht vorsichtig ist, kann ganz in ihnen versinken.
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Serienfakten: «The Haunting of Bly Manor» / Creator: Mike Flanagan / Mit: Victoria Pedretti, Oliver Jackson-Cohen, Amelia Eve, T’Nia Miller, Rahul Kohli, Tahirah Sharif, Amelie Bea Smith, Benjamin Evan Ainsworth, Henry Thomas / USA / 9 Episoden à 46–66 Minuten
Bild- und Trailerquelle: NETFLIX © 2020
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