Die neue Serie von «Euphoria»-Macher Sam Levinson ist spätestens seit ihrer Premiere in Cannes in aller Munde. In «The Idol» gibt Lily-Rose Depp als verruchtes Popsternchen neben Abel Tesfaye – besser bekannt unter seinem Musikernamen The Weeknd – ihr Seriendebüt. Dass das viel zu reden gibt, lässt sich wohl nur mit der bereits etablierten medialen Präsenz der beiden Aushängeschilder der Serie erklären. Denn die ersten zwei Episoden von «The Idol» sind so eindimensional, dass man regelrecht sprachlos wird.
Popsuperstar Jocelyn (Lily-Rose Depp) steht kurz vor dem Release ihrer neuen Single. Auf dem Tagesplan stehen das Shooting für das neue Albumcover, das Einstudieren neuer Choreografien, das Durchstehen von PR-Meetings, Musikvideo-Aufnahmen, bis die Füsse bluten, und der ewige Kampf gegen die Selbstzweifel. Das Popstarleben ist also so schon hart genug – doch als dann auch noch ein verhängnisvolles intimes Selfie der Sängerin im Netz auftaucht, sorgt sich die Entourage von Jocelyn um ihren Nervenzustand (oder tut wenigstens so). Aber diese scheint nur mit Partys und Nachtclubbetreiber Tedros (Abel «The Weeknd» Tesfaye) beschäftigt zu sein – der hat ihr nämlich ordentlich den Kopf verdreht. Aber was sind seine wahren Absichten? Und wird Jocelyn die innere Stärke finden, ihren eigenen musikalischen Weg zu gehen?
Die allererste Einstellung der Serie zeigt die Protagonistin in einem ausgedehnten Close-up. Die ersten Sekunden mögen eine Tiefe der Hauptfigur suggerieren, doch jeglicher Hoffnungsschimmer einer solchen Dimension der Figur Jocelyn wird in den ersten paar Minuten der ersten Episode, «Pop Tarts & Rat Tales» rasant zerschmettert.
Die Kamera zoomt heraus; man befindet sich auf dem Set des Fotoshootings für das neue EP-Cover. In langen Plansequenzen lernt man flüchtig die grosse Entourage rund um «Joss» kennen und lauscht ihren Konversationen. Von der Hauptfigur selbst wird kaum etwas preisgegeben – abgesehen von viel Haut und suggestiven Dance-Moves. Nur in einem Nebensatz erfährt man, dass Jocelyn ihre Mutter an Krebs verloren hat und seither mental instabil ist. Dann ist man nach einem Schnitt wieder beim Shooting, bei dem Joss jetzt provokativ ihre Brüste entblösst, was beim Intimitätskoordinator gleich die Alarmglocken klingeln lässt. Schnitt zurück zur Entourage, die Managerin posaunt lauthals: «Mental illness is sexy!». Es sind erst rund zwei Minuten der ersten Episode verstrichen, und man begreift schon einmal nicht, ob das alles ironisch gemeint sein soll oder nicht – und irgendwie ist man auch schon gelangweilt.
«‹Mental illness is sexy!›» Es sind erst rund zwei Minuten der ersten Episode verstrichen, und man begreift schon einmal nicht, ob das alles ironisch gemeint sein soll oder nicht – und irgendwie ist man auch schon gelangweilt.»
Es wird weiter tüchtig über die Persona «Jocelyn» diskutiert. Ist die neue Choreo eine Hommage an Britney Spears? Ähnelt sie mehr Brigitte Bardot oder Sharon Tate? Tatsächlich spielt Lily-Rose Depp ihre Rolle in einer allzu bekannten Lolita-Sexsymbol-Manier, was ihr durchaus gelingt. Aber auch hier halten sich Langeweile und die Frage, ob das nun ironisch gelesen werden sollte, stets die Waage. Darüber hinaus scheint ebendiese Persona nur in Referenz zu echten Popstars und Sexsymbolen aus der Filmgeschichte zu existieren.
Das Pendant zur eindimensionalen Joss bildet Tedros. Dieser Figur verweigert Co-Creator, Regisseur und Chefautor Sam Levinson («Euphoria», «Malcolm & Marie») nicht nur jegliche Tiefe; sie ist eine so offensichtliche wandelnde «Red Flag», dass man glatt in Gänsehaut verfällt. (Immerhin ist Tedros somit die einzige Figur, die überhaupt irgendeine Empfindung auslöst.) Mit verstohlenen Blicken, hohlen Sätzen und schleimigem Grinsen wickelt Tedros das Popsternchen ruckzuck um den Finger, wobei seine «rapey» Attitüde genau das, was Jocelyn anmacht, wie sie selber ihrer besten Freundin (Rachel Sennott) gesteht. Wobei «beste Freundin» auch ambivalent zu verstehen ist, denn Joss lässt keine Gelegenheit aus, sich öffentlich über ihre engste Vertraute lustig zu machen. Die meist sinnfreien Sätze, mit denen die Figuren um sich werfen, wechseln sich ab mit überstilisierten Einstellungen, die mit experimentellem Sound unterlegt sind – zurück bleiben vor allem viele Fragezeichen.
Allenfalls merkten Levinson und seine Co-Creators Tesfaye und Reza Fahim irgendwann, dass ihre Dialoge und Figurenkonstruktionen nicht viel taugen und beschlossen daraufhin, sich ausgiebig im Popkultur-Gewürzschrank zu bedienen, um die ansonsten ziemlich faden Szene wenigestens mit etwas Inhalt und vertrauten Referenzen zu würzen. Angefangen bei den Lyrics des fiktiven Songs «Freak», der ein textlicher Remix aus Aquas «Barbie Girl» und Rihannas «S & M» sein könnte: «You can brush my hair, undress me everywhere» wird zu «Pull my hair, touch me everywhere». Rihannas «chains and whips» werden zu «ball and chain»; «I might be bad, but I’m perfectly good at it» wird zu «I’m a good girl gone bad».
«Letztendlich funktioniert ja jede Kunstform ein Stück weit mit dem Referenzieren vorheriger Werke. Doch wenn, wie in diesem Fall, das ganze Rundherum schon so substanzlos ist, wirkt jegliche noch so ausgeklügelte Popkultur-Anspielung wie ein verzweifelter Hilfeschrei.»
Auch Filme bleiben nicht verschont. Joss guckt sich abends nichts Geringeres als den Erotikthriller «Basic Instinct» (1992) an; und mehr als einmal meint man plötzlich bei «Fifty Shades of Grey» (2015) gelandet zu sein. Letztendlich funktioniert ja jede Kunstform ein Stück weit mit dem Referenzieren vorheriger Werke. Doch wenn, wie in diesem Fall, das ganze Rundherum schon so substanzlos ist, wirkt jegliche noch so ausgeklügelte Popkultur-Anspielung wie ein verzweifelter Hilfeschrei.
Nach «Pop Tarts & Rat Tales» und Episode zwei, «Double Fantasy», bleibt nur noch die leise Hoffnung, dass «The Idol» in den letzten drei Episoden, doch noch die Kurve kriegt. Und falls nicht, gibt es zum Glück ja noch genug Banger von Popsternchen, die sich lustig umschreiben lassen.
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Jetzt auf Sky Show
Serienfakten: «The Idol» / Creators: Sam Levinson, Abel Tesfaye, Reza Fahim / Regie: Sam Levinson / Mit: Lily-Rose Depp, Abel Tesfaye, Suzanna Son, Troye Sivan, Jennie Ruby Jane, Rachel Sennott, Hari Nef, Moses Sumney, Da’Vine Joy Randolph, Dan Levy, Eli Roth, Hank Azaria / USA / 2 Episoden à 52–55 Minuten / Am 18. und 25 Juni sowie am 2. Juli erscheint je eine weitere Episode
Bild- und Trailerquelle: Sky Show Schweiz / © Home Box Office, Inc. All rights reserved HBO® and related channels and service marks are the property of Home Box Office, Inc.
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Interessensbindung der Autorin: Aline Schlunegger ist Mitarbeiterin bei der Neugass Kino AG im Bereich Marketing und Kommunikation. Bei Maximum Cinema schreibt sie aber unabhängig von ihrer Position beim Kino über Filme und Serien.
«The Idol» ist eine Brühe aus Popkultur-Referenzen und Figuren, denen durch Übersexualisierung und inkohärente Dialogen jegliche Tiefe genommen wird. Ob das noch schlechter werden kann?
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