Singender „Slumdog Millionaire“ zwischen Gaza-Streifen und Scheinwerferlicht
Gaza-Streifen, im Jahr 2003: „Leute sterben und ihr singt!“, schreit die Tante entrüstet und bringt die auf der Strasse mit selbstgebastelten Instrumenten musizierenden Kinder vom Balkon mit einem feuchten Guss aus der Teekanne zum Schweigen. Doch Mohammed (Qais Atallah) mit der Engelsstimme, seine Schwester Nour (Hiba Atallah) und Freunde (Ahmad Qassim, Abd-Elkarim Abu-Barakeh) geben nicht auf, kaufen Instrumente und spielen nach erstem Misstrauen erfolgreich an ausschweifenden Hochzeiten. Bis seine Schwester, die sich lieber wie ein Junge anzieht und benimmt, zusammenklappt: Eine ihrer Nieren versagt. Auf die Frage, ob sie heiraten möchte, damit sie genug Geld für eine neue Niere bekommt, schlägt sie schlagfertig in den Wind: „Lieber reinige ich ein Leben lang meine Niere als ein ganzes Haus!“
Singen, obwohl das Gesetz es nicht erlaubt – Das Feel Good-Biopic erinnert ein wenig an die diesjährige Doku „Sonita“ von Rokhsareh Ghaem Maghami, in welcher von der gleichnamigen jungen Iranierin erzählt wird, die mit allen Mitteln und starkem Willen versucht, öffentlich gegen Zwangsheirat zu rappen. Ihr Mut und Durchhaltevermögen erinnern stark an den von Mohammed Assaf (Tawfeek Barhom), der als junger Erwachsener im Jahr 2013 trotz politischer (und technischer) Probleme nicht aufgibt und mithilfe eines Freundes illegal nach Ägypten einreist, um bei „Arab Idol“ vorzusingen. Mit Erfolg, denn nicht nur die Jury, sondern auch die ganze arabische Welt feiert den Palästiner mit der Gänsehautfaktor-Stimme.
Filmemacher Hany Abu-Assad teilt sein Biopic in zwei Teile: Teil eins spielt in den frühen 2000ern, in dem die Kinderdarsteller fröhlich durch die heruntergekommenen Strassen radeln und für ihren Traum kämpfen. Teil zwei spielt im Jahr 2013, die politische Situation hat sich verschärft, aus den blauäugigen Kindern sind ernste Erwachsene geworden, die am liebsten sofort aus dem Gaza fliehen würden. Einer ähnlichen Aufteilung hat sich auch Danny Boyle mit seinem Mega-Hit „Slumdog Millionaire“ bedient, in welchem er die Geschichte von drei indischen Kindern aus dem Slum in drei zeitlich verschiedenen Etappen erzählt. In Witz und Storytelling steht „The Idol“ dem Oscar-Abräumer in nichts her. Hany Abu-Assad erzählt eine wundervoll lebensbejahende und inspirierende, beinahe unglaubliche Geschichte der Heranwachsenden, wobei er manchmal für westliche Zuschauer etwas zu sehr in kitschige Nostalgie verfällt. Nichtsdestotrotz ist „The Idol“ ein Film, den sich jeder Nahost-Fan und angehender Superstar ansehen sollte.
Kinostart: 11.08.2016 / Regie: Hany Abu-Assad / Darsteller: Qais Atallah, Hiba Atallah, Ahmed Qassim, Abdelkarim Abu Baraka, Tawfeek Barhom, Ashraf Barhoum, Ali Suliman, Nadine Labaki
Bild- und Trailerquelle: http://www.praesens.com/
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