David Fincher hat schon einige Filme über Killer in seiner Vita stehen – braucht es da mit «The Killer» wirklich noch einen? Die Antwort lautet ganz klar «Ja», vor allem wenn der Meister der düsteren Killer-Thriller seinem Erfolgsrezept eine überraschende Zutat hinzufügt: Humor.
Man könnte meinen, wenn man einen David–Fincher-Thriller gesehen hat, weiss man genau, was der nächste bringen wird. Irgendwie stimmt das auch, ist seine Handschrift doch unverkennbar: Mit präzisen Schnitten und einer kühlen Inszenierung durchleuchtet er die dunkelsten Ecken der Seele und entlässt sein Publikum nur selten mit einem Happy End. Zu lachen gibt es kaum etwas, und wenn Fincher seine zappendusteren Geschichten doch ausnahmsweise einmal auflockert, dann mit einem bösen, galligen Humor, bei dem sich das Publikum schämt, kurz aufgelacht zu haben.
In seinem neuesten, für Netflix produzierten und deshalb nur wenige Wochen im Kino gelaufenen, Thriller «The Killer», ändert Fincher die Humor-Tönung aber von tief- zu leichtschwarz. Ansonsten reiht sich die Verfilmung des gleichnamigen französischen Comics von Matz und Luc Jacamon, passgenau in seine Thriller-Filmografie ein, die mit «Seven» (1995), «Zodiac» (2007) und «Gone Girl» (2014) einige der stärksten jüngeren Vertreter des Genres beheimatet. Ob «The Killer» genauso nachhaltig im Gedächtnis bleibt, wird sich zeigen. Er wird wohl eher der «besondere Tipp» bleiben, da die Story an Komplexität und Raffinesse auch einem B-Movie gut stehen würde.
Der Film beginnt mit einer längeren Sequenz in Paris, die deutlich an Alfred Hitchcocks «Rear Window» (1954) erinnert – wenn man das Fernglas mit einem Zielfernrohr austauscht: Der namenlose Killer (Michael Fassbender) wartet auf ein Ziel. Er macht Yoga. Er isst bei McDonald’s. Er beobachtet ein Luxushotel auf der anderen Strassenseite vom Fenster eines leerstehenden WeWork-Büros aus. Er erklärt, dass er sich wie ein deutscher Tourist kleidet, denn wer redet schon gerne mit deutschen Touristen?
Und er denkt nach: über seinen Kodex (keine Fragen stellen, keine Gefühle entwickeln), über seine amoralische Philosophie, über die Natur des Daseins, über die Kluft zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen und über die Langeweile an sich. Manchmal mündet das in zynische Bonmots wie «One man’s cruelty is another man’s pragmatism…», manchmal in nichts weiter Bemerkenswertes.
«Die Kamera klebt über die ganze Spieldauer an Fassbenders Killer, wodurch eine extreme Immersion entsteht.»
All das wird durch Michael Fassbenders flache, affektlose Off-Stimme transportiert, und über weite Strecken ist das auch alles, was im Film zu hören ist. In den ersten 25 Minuten gibt es fast keinen echten Dialog, nur ein Porträt des Killers, der wartet, beobachtet und nachdenkt. Das Publikum ist mit ihm in seinem Kopf gefangen. Das könnte zur echten Geduldsprobe werden, wäre die Sequenz nicht so faszinierend eingefangen – streng getaktet wie das Innenleben des Killers und untermalt mit einer anregenden Geräuschkulisse: Ist die Kamera beim Killer, hört das Publikum die Musik, die aus einen Kopfhörern kommt (ausschliesslich The Smiths); schwenkt die Kamera weg, sind die Klänge nur noch stark gedämpft zu hören. Die Übergänge kommen dabei oft und irritierend abrupt, sodass die Aufmerksamkeit immer beim Geschehen ist. Die Kamera klebt über die ganze Spieldauer an Fassbenders Killer, wodurch eine extreme Immersion entsteht, die man in dieser Form etwa aus Darren Aronofskys «The Wrestler» (2008) kennt und diesbezüglich wohl nur von Franck Khalfouns «Maniac» (2012) übertroffen wird.
Doch diese Einführung nimmt für den Killer eine überraschende Wendung. Er sieht sich selbst als präzis, methodisch, unerschrocken, gefühllos, ohne konventionelle Moral – ein perfekt geöltes Zahnrad, das nur einem Zweck dient und im Dienst nie versagt. Und dann hat er endlich sein Ziel im Visier, drückt ab und schiesst – offenbar zum ersten Mal in seinem Leben – daneben und tötet die falsche Person. «That’s new», ist sein einziger lakonischer Kommentar – und der Startschuss zu einer Flucht, die sich zu einem mörderischen Rachefeldzug entwickelt, auf dem er regelmässig fast schon religiös seinen strikten Arbeitskodex, den er noch nie gebrochen hat, herunterbetet.
Aber besondere Zeiten erfordern besondere Massnahmen: Aufgrund seines Patzers wird er von diversen dubiosen Gestalten als loses Ende betrachtet, das es zu eliminieren gilt. Eine davon wird von Tilda Swinton («Memoria», «Three Thousand Years of Longing») verkörpert, die in einem aufregend unterkühlten Auftritt all ihre Spielfreude und Präsenz an den Tag legt.
«Dass solche kleinen Absurditäten in elegant gefilmte Bilder gepackt werden, bringt ungewohnten, fast schon unbeholfenen Humor in Finchers Film.»
Michael Fassbender wiederum mimt den kühlen, abgeklärten Auftragskiller zur Perfektion. Besonders schön sind die Momente, in denen er glaubt, Herr der Lage zu sein, da er sich stoisch an seine Mantras hält, dann aber jäh von den Umständen überrascht wird und – als wäre das eine Selbstverständlichkeit – auf einem schnuckeligen Miet-E-Roller vor der Polizei flieht. Dass solche kleinen Absurditäten in elegant gefilmte Bilder gepackt werden, bringt ungewohnten, fast schon unbeholfenen Humor in Finchers Film.
Finchers Inszenierung ist indes, wie gewohnt, messerscharf und maximal auf den Punkt gebracht; und auch am Drehbuch von «Seven»-Autor Andrew Kevin Walker hängt fast kein Gramm Fett. Etwas viel Laufzeit wird allerdings darauf verwendet, die Vorbereitungen des Killers auf sein nächstes Attentat zu zeigen, die er geradezu meditativ abarbeitet und sich gleichzeitig sinnsuchend fragen muss, ob seine Motivation diesmal nicht doch persönlich gefärbt ist – haben seine Gegenspieler doch eine ihm nahestehende Person ausfindig gemacht, um an ihn heranzukommen.
«‹The Killer› wartet mit nur einer einzigen Actionszene aus. Diese ist dafür unglaublich brachial und wartet mit wuchtiger Choreografie auf.»
Und während die «John Wick»–Reihe mit der gleichen Ausgangslage in jedem Teil ein noch fulminanteres und noch spektakulärer inszeniertes Massaker abfeuert, kommt «The Killer» mit nur einer einzigen Actionszene aus. Diese ist dafür unglaublich brachial und wartet mit wuchtiger Choreografie auf. So tut es beim Zusehen wieder richtig weh – wie man es von David Fincher auch erwartet.
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Jetzt auf Netflix
Filmfakten: «The Killer» / Regie: David Fincher / Mit: Michael Fassbender, Tilda Swinton, Charles Parnell, Arliss Howard, Kerry O’Malley, Sophie Charlotte / USA / 118 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix ©2023
Ein sinnsuchender und schlecht angezogener Profikiller sorgt für minime Auflockerung im düsteren David-Fincher-Thriller-Kosmos von «The Killer».
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