Ridley Scott ist ein Experte für blutige Historienfilme. Diese Qualität spielt er auch in «The Last Duel» aus – doch das mittelalterliche Drama hat auch einiges über sein eigenes Genre zu sagen.
Ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt das Projekt auf den ersten Blick ja: Männer zu Pferde, die sich mit Schwertern, Lanzen und Hellebarden gegenseitig die Köpfe einschlagen; ein faktenbasiertes Historiendrama aus dem spätmittelalterlichen Frankreich, in dem US-Schauspieler*innen in mehr schlecht als recht kaschiertem amerikanischem Englisch sich «mittelalterlich» unterhalten.
Doch nach zweieinhalb Stunden Säbelrasseln und höfischem Drama, das sich kritisch mit mittelalterlicher Geschlechterpolitik auseinandersetzt, stellt sich unweigerlich die Frage: Gibt es überhaupt einen Grund, warum ein Film wie «The Last Duel» aus der Zeit gefallen wirkt – davon abgesehen, dass die Blütezeit des modernen Historienepos bald 20 Jahre zurückliegt? Und wenn das der Fall ist, wäre es nicht langsam Zeit für ein Comeback?
Natürlich hat sich die Filmlandschaft seit «Gladiator» (2000), «Master and Commander» (2003) und «Kingdom of Heaven» (2005) ebenso verändert wie der Publikumsgeschmack. Wie die hitzigen Diskussionen um «The Irishman» (209 Minuten) und zuletzt «No Time to Die» (163 Minuten) gezeigt haben, erfreuen sich längere Kinobesuche und Streaming-Erlebnisse ausserhalb des Serienformats nicht eben grosser Beliebtheit. Die ernüchternden Box-Office-Zahlen am US-Startwochende von «The Last Duel» (153 Minuten) sprechen scheinbar Bände.
Trotzdem: In seinem neuesten Film, einer thematischen Rückbesinnung auf sein Langspielfilmdebüt «The Duellists» (1977), liefert «Gladiator»- und «Kingdom of Heaven»-Regisseur Ridley Scott schon in der ersten Viertelstunde gute Gründe, den grossformatigen, breit zugänglich erzählten historischen Film noch nicht für tot zu erklären.
«In seinem neuesten Film, einer thematischen Rückbesinnung auf sein Langspielfilmdebüt ‹The Duellists›, liefert ‹Gladiator›- und ‹Kingdom of Heaven›-Regisseur Ridley Scott schon in der ersten Viertelstunde gute Gründe, den grossformatigen, breit zugänglich erzählten historischen Film noch nicht für tot zu erklären.»
«The Last Duel» beginnt mit einer CGI-Panoramaeinstellung aus der Vogelperspektive: gigantische Menschenmassen, die sich um einen Duellplatz am Stadtrand von Paris scharen. Im Hintergrund ballen sich Häuser um eine noch junge Notre-Dame; eine Texttafel informiert über das Datum: 29. Dezember 1386. Unter den Augen des kindlich kichernden Königs Karl VI. (Alex Lawther) treten der Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon) und der edle Knappe Jacques Le Gris (Adam Driver) zum Tjost auf den Tod an.
Kaum sind Holz und Stahl aufeinandergeknallt, ist die Vorblende zu Ende, und der Film beginnt damit, aufzurollen, wie es zu diesem schicksalhaften Duell kommen konnte, angefangen mit der Belagerung von Limoges im September 1370: De Carrouges und Le Gris kämpfen Seite an Seite im Dienste der französischen Armee und müssen mit ansehen, wie die feindlichen Engländer als Provokation unbescholtenen Bürger*innen die Kehle durchschneiden. De Carrouges stürzt sich ins blutige, hektisch-unmittelbar gefilmte Getümmel, wird vom Pferd geworfen; Le Gris eilt ihm hinterher und spiesst den Soldaten auf, der seinem Kameraden den Todesstoss verpassen wollte. Früh wird klar: Ridley Scott hat sein Händchen für berittene Schwert- und Schild-Action nicht verloren.
Doch «The Last Duel» ist mehr Drama als Kriegsfilm. Die von Nicole Holofcener («Enough Said») sowie dem einstigen Wunderkind-Duo Matt Damon und Ben Affleck («Good Will Hunting») verfasste Adaption von Eric Jagers gleichnamigem Sachbuch erzählt, im Stil von Akira Kurosawas «Rashomon» (1950), in drei Kapiteln drei Versionen derselben Geschichte: Sie handelt von de Carrouges‘ Heirat mit Marguerite (Jodie Comer), der Tochter eines entehrten Adligen (Nathaniel Parker), Le Gris‘ Freundschaft mit dem dekadenten Grafen d’Alençon (blond und urkomisch: Ben Affleck), de Carrouges‘ verletztem Berufsstolz und der Vergewaltigung von Marguerite.
So wie «Kingdom of Heaven» bereits versuchte, das klassische Bild der Kreuzzüge etwas zu differenzieren, dekonstruieren Holofcener, Damon und Affleck hier Stück für Stück die traditionelle romantische Darstellung von Rittertum und mittelalterlichem Abenteuergeist. Die heroischen Recken in glänzenden Rüstungen, die man aus dem Märchen und der Popkultur kennt, werden hier zu willenlosen Schachfiguren und staatlich finanzierten Mördern, die sich den Launen eines wohl nicht ganz zurechnungsfähigen Monarchen zu fügen haben. Die Hofdamen, die den Duellanten von der Tribüne aus zuwinken, sind erst das Eigentum ihrer Väter, dann jenes ihrer Ehemänner. Marguerite kann nicht selber vor Gericht ziehen, da sie in den Augen des Gesetzes keine eigenständige Person ist. Ihre Vergewaltigung gilt als Verletzung von Jean de Carrouges‘ Besitz.
«Obwohl die Dialoge, mit denen der Film diese Dynamiken behandelt, nicht sonderlich subtil sind, gelingt es ‹The Last Duel›, dank guter Schauspielleistungen und Scotts präziser Inszenierung, letztlich bravourös, sein eigenes Genre überzeugend zu hinterfragen.»
Obwohl die Dialoge, mit denen der Film diese Dynamiken behandelt, nicht sonderlich subtil sind, gelingt es «The Last Duel», dank guter Schauspielleistungen und Scotts präziser Inszenierung, letztlich bravourös, sein eigenes Genre überzeugend zu hinterfragen. Es ist faszinierend, wie sich der Perspektivenwechsel über die drei Kapitel hinweg – von de Carrouges‘ zu Le Gris‘ zu Marguerites Version – äussert. Ist de Carrouges in seiner eigenen Erzählung ein ungeselliger, aber ehrenhafter Mann, neigt er bei Le Gris zur unreifen Impulsivität, derweil Marguerite ihn vor allem als einen emotional unnahbaren Klotz wahrnimmt. Was für Le Gris eine grosse unausgesprochene Anziehung zwischen ihm und Marguerite ist, ist für sie kaum der Rede wert.
Damon, Driver und Comer spielen diese verschiedenen Schattierungen ihrer Figuren mit angenehm wenig Nachdruck, sodass «The Last Duel» nie den Anschein macht, als traue er dem Publikum nicht zu, seine eigenen Schlüsse aus dem Gesehenen zu ziehen. Tatkräftig unterstützt wird das Trio in der Figurenzeichnung zudem von Dariusz Wolskis Kameraarbeit und Claire Simpsons Schnitt: Wird eine Szene doppelt oder sogar dreifach behandelt, ist es oft weniger das Schauspiel oder das Drehbuch als die Länge oder die Beleuchtung einer Einstellung, die zeigt, welche Bedeutung sie für die jeweilige Hauptfigur hat.
Wenn Scott also schliesslich zur Pariser Duellarena zurückkehrt, um eine der atemberaubendsten Kampfsequenzen der jüngeren Vergangenheit vom Stapel zu lassen, hat der Zweikampf einiges an thematischem und emotionalem Unterbau gewonnen. Das scheinbar simple Vergnügen, zwei Männern zu Pferde dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig bekriegen, ist nun ein banges Hoffen und Mitleiden und ein frustrierendes Zeugnis patriarchaler, frauenfeindlicher Strukturen. Was sich indes gleich geblieben ist: Das Filmhandwerk ist nach wie vor grandios.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.10.2021
Filmfakten: «The Last Duel» / Regie: Ridley Scott / Mit: Matt Damon, Jodie Comer, Adam Driver, Ben Affleck, Nathaniel Parker, Alex Lawther / USA, Grossbritannien / 153 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Disney / © 2021 Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved.
«The Last Duel» ist ein grossartig gemachtes Historiendrama mit doppeltem Boden: Mittelalter-Klischees werden hier nicht bedient, sondern kritisch beleuchtet und dekonstruiert.
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