Funkelnde Pailletten, opulente Kostüme, verführerische Darbietungen – und dann fällt plötzlich der Vorhang: «The Last Showgirl» von Gia Coppola beleuchtet ein legendäres Las-Vegas-Varieté, das nach 30 Jahren die Türen schliessen muss. Im Zentrum steht die 57-jährige Tänzerin Shelly, die nach einem Leben im Rampenlicht vor der Herausforderung steht, sich komplett neu zu erfinden. Während alles um sie herum zusammenzufallen scheint, ist es für Pamela Anderson die Performance ihres Lebens – und gleichzeitig eine lang ersehnte und längst überfällige Anerkennung von Hollywood.
Ein Showgirl im Spätsommer ihrer Karriere, reduziert auf ihr Äusseres und abseits der Bühne nie richtig ernst genommen: Zwar diente das Theaterstück «Body of Work» von Kate Gersten als Vorlage für «The Last Showgirl», doch es hätte genauso gut die Geschichte von Schauspielerin Pamela Anderson («Barb Wire», «Borat») sein können. Bekannt geworden als Rettungsschwimmerin C.J. in «Baywatch» (1991–2001), wird sie in den Neunzigerjahren über Nacht zur Ikone. Die ganze Welt feiert sie für ihre künstliche Schönheit, doch genau diese bleibt ihr einziges Markenzeichen – weshalb ernsthafte Rollen ausbleiben und sie seither ein Leben im goldenen Käfig der Klischees führt. Erst ungeschminkte Auftritte und ein kompletter Rückzug vom roten Teppich verankerten in den letzten Jahren ein neues, natürlicheres Bild im kollektiven Bewusstsein. Engagements für grosse Filmprojekte blieben trotzdem aus – bis jetzt.
Anderson ist die Rolle der Shelly wie auf den Leib geschneidert. Sie liebt ihr Dasein als strahlender Mittelpunkt der «Razzle Dazzle»-Varieté-Revue am Las–Vegas-Strip und kann sich ein Leben ohne Tanz nicht vorstellen. Wahre Anerkennung bleibt ihr aber verwehrt. Ihre eigene Tochter Hannah (Billie Lourd) ist wütend und verurteilt sie, weil ihre Mutter die Bühne stets über sie gestellt hat. Ihre jungen Show-Kolleginnen Jodie (Kiernan Shipka) und Mary-Anne (Brenda Song) sehen in ihr eher eine Ersatzmutter und verstehen die Nostalgie rund um das bevorstehende Ende des Etablissements nicht. Und dann sind da noch da noch ihr Ex-Partner Eddie (Dave Bautista) und ihre beste – und notorisch betrunkene – Freundin Annette (Jamie Lee Curtis), die längst aus dem Ensemble geflogen ist und seither Cocktails im Casino serviert. Für beide ist klar: Shelly soll endlich loslassen und sich einen «echten» Job suchen, bevor es zu spät ist.

Pamela Anderson in «The Last Showgirl» / © Filmcoopi
Somit ist die zentrale Botschaft des Films unübersehbar: Frauen im fortgeschrittenen Alter scheinen im Showgeschäft nicht mehr erwünscht – zumindest, wenn es nach Agenten und Produzenten geht. Jung und knackig schlägt erfahren und reif. Provokation und Erotik ziehen mehr als Grazie und Eleganz. Das muss auch Shelly am eigenen Leib erfahren, als sie bei einem Casting vortanzt. Schon nach wenigen Takten wird sie unterbrochen – obwohl (oder gerade weil) sie mehr Erfahrung mitbringt als all die jüngeren Versionen ihrer selbst. Denn die Zeiten haben sich geändert, und eine klassische französische Revue ist längst nicht mehr gefragt. Ähnlich einer funkelnden Puderdose, die nicht mehr ins moderne Badezimmer passt, fühlt sich Shelly wert- und nutzlos und schlägt auf den harten Boden der Realität auf – immer mit der gleichen Frage im Hinterkopf: Wer bin ich ohne Scheinwerferlicht überhaupt?
Nicht nur mit seinem gesellschaftlich aktuellen Inhalt, sondern auch visuell ist der dritte Spielfilm von Gia Coppola («Palo Alto», «Mainstream») eine Wohltat. Das stetige Wechselspiel von glitzernden Outfits, nächtlichem Stadtleben und blinkenden Lichtern bringt die Kinoleinwand zum Leuchten. Besonders schön zeigt sich das bei Autumn Durald Arkapaws Aufnahmen aus dem Varieté und von Shellys abendlichen Spaziergängen durch Las Vegas. Gleichzeitig kristallisiert sich hier auch am deutlichsten heraus, wo sich Coppola Inspiration geholt hat: «The Last Showgirl» erinnert stark an die stimmungsvolle Handschrift eines Sean Baker («Anora»), während die farbenprächtige Bildsprache mit dem Hang zu nachtfiebrigen Szenen auch ins Werk ihrer Tante Sofia Coppola («Lost in Translation», «Marie Antoinette») passen würde.
«Gerade dieser Mut zur Lücke macht ‹The Last Showgirl› aus: die bewusste Entscheidung, Raum für Menschlichkeit und Authentizität zu lassen.»
Diese Parallelen sind auch in der Erzählweise des Films sichtbar. Anstelle einer klar definierten und rasant voranschreitenden Handlung gleicht der Film vielmehr einer Momentaufnahme, ähnlich wie bei Bakers Indie-Erfolg «The Florida Project» (2017). Das Publikum begleitet Shelly hautnah während zwei Wochen, von der Verkündung der Schliessung des «Razzle Dazzle» bis zur letzten grossen Show. Dabei ist es nicht nur in «wichtigen» Situationen wie der Jobsuche oder der versuchten Annäherung an ihre Tochter an ihrer Seite, sondern auch in scheinbar belanglosen Momenten des Alltags. Gerade dieser Mut zur Lücke macht «The Last Showgirl» aus: die bewusste Entscheidung, Raum für Menschlichkeit und Authentizität zu lassen. Auch die Dialoge gehen selten in die Tiefe und wirken an manchen Stellen beinahe substanzlos. Das hat schon zu manch negativer Kritik geführt – doch spiegelt diese Oberflächlichkeit nicht genau Shellys Lebensrealität wider? Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann höchstens, dass der Film etwas mehr Eigenständigkeit hätte wagen können und nach der glanzvollen Schlussszene etwas gar abrupt endet.

Dave Bautista in «The Last Showgirl» / © Filmcoopi
Ansonsten beweist Coppola ein grosses Gespür für Inszenierung. Das beginnt beim grandiosen Casting – neben Anderson stechen besonders Jamie Lee Curtis («Knives Out», «Everything Everywhere All at Once») und ein unerwartet haariger Dave Bautista («Knock at the Cabin», «Dune: Part Two») heraus – und reicht bis zum wunderschönen Titeltrack von Miley Cyrus. Kate Gerstens Drehbuch wiederum besticht mit seiner Liebe fürs Detail und seinem subtilen feministischen Blickwinkel. In der knackigen Länge von 89 Minuten sagt der Film alles, was gesagt werden muss – und schafft es dennoch, ein wichtiges und treffendes Statement für die Frauen Hollywoods (und auch alle anderen) zu formulieren.
«In der knackigen Länge von 89 Minuten sagt der Film alles, was gesagt werden muss – und schafft es dennoch, ein wichtiges und treffendes Statement für die Frauen Hollywoods (und auch alle anderen) zu formulieren.»
Umso erfreulicher ist es, dass Anderson ausgerechnet jetzt eine Rolle wie Shelly spielt. Denn wie die letzten Jahre gezeigt haben, ist sie längst nicht die Einzige, welche die Kontrolle über ihr eigenes Narrativ zurückgewinnen will. Ein überraschend ähnlicher und gleichermassen frustrierender Wandel hat sich bei ihrer Kollegin Demi Moore («Ghost», «Striptease») abgespielt. Erst nach 45 Jahren gelang ihr mit «The Substance» (2024) der Sprung ins «seriöse» Kino – ironischerweise mit einem Film, der auch Alter, Schönheitsideale und Identität behandelt. Moore befreite sich damit von ihrem lästigen Image der «zweitklassigen» Schauspielerin und gewann schliesslich sogar ihren ersten grossen Preis bei den Golden Globes 2025, wo auch Anderson für ihre Darbietung in «The Last Showgirl» nominiert war.

Jamie Lee Curtis in «The Last Showgirl» / © Filmcoopi
«Frauen sind weder Wegwerfware noch blosse Objekte. Sie verdienen ihren Platz auf der grossen Leinwand genau wie ihre männlichen Kollegen.»
Diese Entwicklung macht nicht nur Mut, sondern unterstreicht, wie überfällig ein Umdenken in Hollywood ist. Frauen sind weder Wegwerfware noch blosse Objekte. Sie verdienen ihren Platz auf der grossen Leinwand genau wie ihre männlichen Kollegen – auch im reifen Alter und mit ein paar Falten im Gesicht. Und wir möchten sie unbedingt sehen.
Mehr zum Zurich Film Festival 2024
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Kinostart Deutschschweiz: 20.03.2025
Filmfakten: «The Last Showgirl» / Regie: Gia Coppola / Mit: Pamela Anderson, Jamie Lee Curtis, Billie Lourd, Dave Bautista, Brenda Song, Kiernan Shipka, Jason Schwartzman / USA / 89 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
Gia Coppolas «The Last Showgirl» erzählt die ergreifende Geschichte eines verglühenden Stars am Showhimmel und ist das perfekte Indie-Kino-Comeback für Pamela Anderson.
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