George Clooney versucht, sich als Regisseur neu zu erfinden: Spielten die meisten seiner bisherigen Projekte in der Vergangenheit, blickt er in der Science-Fiction-Romanadaption «The Midnight Sky» in eine triste Zukunft – schafft es dabei aber nicht über die üblichen Genrekonventionen hinaus.
Mitte des 21. Jahrhunderts geht es der Erde nicht besser als heute – im Gegenteil: Eine menschengemachte Katastrophe hat den Planeten praktisch unbewohnbar gemacht. Einzig am Nordpol, wo der krebskranke Wissenschaftler Augustine (George Clooney) alleine in einem Observatorium ausharrt, ist die Luft noch einigermassen unverseucht. Das ist denn auch Augustines Aufgabe: Er soll eine Raumschiffmission, die sich auf dem Rückweg von einem bewohnbaren Jupitermond befindet, davon abbringen, auf die Erde zurückzukehren. Bald stellt sich jedoch heraus, dass auch noch eine irdische Herausforderung auf ihn wartet: Die kleine Iris (Caoilinn Springall) scheint die Evakuierung des Observatoriums verpasst zu haben und braucht nun, im Angesicht der Apokalypse, ein Ersatzelternteil.
George Clooney war noch nie ein Regisseur, der in irgendeiner Form grosse Stricke zerriss. In Hochform, wie etwa im mehrfach oscarnominierten «Good Night, and Good Luck» (2005), vermag er ein hochkarätiges Schauspiel-Ensemble zu mitreissenden Rededuellen zu dirigieren, die sprechende Kapitel aus der jüngeren amerikanischen Geschichte zum Leben erwecken. Die Mehrheit seiner Werke, darunter das Politdrama «The Ides of March» (2011) und die Vorstadtsatire «Suburbicon» (2017), zeichnen sich aber primär durch blasse Kompetenz aus: Die Filme wissen zu unterhalten, verflüchtigen sich aber schneller aus dem Gedächtnis als man «Clooney hätte seinen Oscar für ‹Intolerable Cruelty› gewinnen müssen» sagen kann.
«‹The Midnight Sky› glänzt nicht eben mit Originalität.»
Seine Verfilmung von Lily Brooks-Daltons Roman «Good Morning, Midnight» (2016), nach einem Drehbuch von Mark L. Smith («The Revenant»), setzt diese Tradition fort, unbeeindruckt vom Genre-Neuland, das Clooney betritt. Das rührt wohl auch daher, dass er ein begnadeter Imitator ist. Während seine politisch angehauchten Filme eindeutig in der Schuld von Alan J. Pakula («All the President’s Men»), Sidney Lumet («12 Angry Men») und Sydney Pollack («The Firm») stehen, sind im Komödienfach die Coen-Brüder seine grossen Vorbilder. Und auch «The Midnight Sky» glänzt nicht eben mit Originalität. Vielmehr verschaffen sich hier Filmemacher wie Christopher Nolan, Ridley Scott, Denis Villeneuve und James Gray Zutritt zum Clooney’schen Inspirationspantheon.
«Das Drama wirkt wie ein Querschnitt des introspektiven Hollywood-Science-Fiction-Kinos der letzten Jahre.»
Das Drama wirkt wie ein Querschnitt des introspektiven Hollywood-Science-Fiction-Kinos der letzten Jahre: hier der Protagonist in Endzeitstimmung aus «Ad Astra» (2019) und die extremen Überlebenskunststücke aus «The Martian» (2015), dort die hemdsärmelig-amerikanischen Tugenden und die Liebe zum hölzernen Plot-Twist, wie man es aus «Interstellar» (2014) und «Arrival» (2016) kennt.
Die Mischung weiss durchaus zu gefallen: Clooney, mit Rauschebart und blutunterlaufenen Augen, ist eine einnehmende Hauptfigur und ein spannender Kontrast zur properen Raumschiffcrew, der ein zweiter Handlungsstrang gewidmet ist – und zu der unter anderen Felicity Jones, David Oyelowo und Kyle Chandler gehören. Kameramann Martin Ruhe («American Pastoral») glänzt mit seiner stimmungsvollen Gegenüberstellung des verlassenen Observatoriums und der eisigen Leere der Arktis. Die Ausstattung ist ein anregendes Amalgam aus dem brutalistischen Funktionalismus von «Ad Astra» und den futuristischen Schnörkeln von «Her» (2013). Die Mysteryelemente der Erzählung – obschon unbefriedigend aufgelöst und immer wieder gestört von uneleganten Rückblenden – sorgen für ein angenehm bekömmliches Seherlebnis. Da stört es auch kaum, dass am Ende kaum etwas hängen bleibt.
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Kinostart Deutschschweiz: 10.12.2020 / Netflix-Start: 23.12.2020
Filmfakten: «The Midnight Sky» / Regie: George Clooney / Mit: George Clooney, Felicity Jones, Caoilinn Springall, David Oyelowo, Tiffany Boone, Kyle Chandler, Demián Bichir / USA / 122 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix, Ascot Elite
«The Midnight Sky» ist eine typische George-Clooney-Regiearbeit: unterhaltsam, kompetent gemacht, aber letztlich kaum einprägsam. Einen Kinobesuch ist das atmosphärische Drama aber wert.
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