88 Jahre alt und kein bisschen müde: Clint Eastwood – Western-Legende, Regie-Haudegen, Hollywoods grantiger alter Mann – legt mit der Tragikomödie «The Mule» seinen vielleicht besten Film seit einem Jahrzehnt vor.
Viel ist passiert, seit Clint Eastwood – Sergio Leones «Mann ohne Namen» («The Good, the Bad and the Ugly») – für «Million Dollar Baby» (2004) seine bisher letzten Oscars gewann. Er drehte zwei grossartige Filme über die Weltkriegsschlacht um die japanische Insel Iwo Jima («Flags of Our Fathers», «Letters from Iwo Jima»), verärgerte seine zahllosen konservativen Fans mit einer Chrysler-Werbung, welche als implizite Danksagung an die Politik Barack Obamas interpretiert werden konnte, und präsentierte sich beim republikanischen Parteitag 2012 mit einer peinlichen Brandrede gegen einen imaginären Obama wieder als libertär-konservativer Outlaw. Auf diesen vieldiskutierten Auftritt liess Eastwood den selbsterklärten Antikriegsfilm «American Sniper» (2014) folgen, der jedoch von Demokraten wie Republikanern als hurrapatriotische Kriegspropaganda aufgefasst wurde – und entsprechend unter Ersteren verhasst und unter Letzteren hochgradig beliebt ist. Und dann wären da noch seine Äusserungen rund um die US-Präsidentschaftswahl 2016: gegen «Political Correctness», gegen die Establishment-Politik, für und gegen Donald Trump.
Eastwoods politische Überzeugungen waren schon immer kompliziert und breit gefächert: Mal wettert er gegen die «Pussy generation», mal unterstützt er Ehe für alle und die Reglementierung von Schusswaffen. Es ist nicht zuletzt diese diffuse Ideologie, die ihn zu einem der am stärksten polarisierenden Regisseure der letzten 20 Jahre gemacht hat.
«The Mule», nach «Gran Torino» (2008) Eastwoods zweite Kollaboration mit dem Drehbuchautor Nick Schenk, ist ein gutes Beispiel für dieses Phänomen. Basierend auf einem «New York Times»-Artikel, fiktionalisiert der Film die Geschichte des Kriegsveteranen Leo Sharp (1924–2016), der im Alter von 87 Jahren dabei erwischt wurde, wie er in Diensten eines Drogenkartells über 100 Kilo Kokain nach Detroit transportierte. Sharp wird hier zu Earl Stone (Eastwood), einem renommierten Blumenzüchter, der aufgrund massiver Geldprobleme bei einem mexikanischen Kartell als Drogenschmuggler anheuert. Doch schon bald heften sich die Drogenfahnder Bates (Bradley Cooper) und Trevino (Michael Peña) an seine Fersen.
Ob man mit dem Film etwas anzufangen weiss, wird wohl hauptsächlich davon abhängen, wie man seine blinden Flecke bewertet. Denn immer wieder verirren sich Eastwood und Schenk auf hoffnungslos veraltetes Terrain – Witze, Wegwerfkommentare und Inszenierungsentscheidungen an der Grenze zum Sexistischen und Rassistischen, die den sonst so wohl bedachten Erzählfluss unnötig stören.
Diese Momente sind der Störenfried in einer überraschend leichtfüssigen Roadmovie-Tragikomödie, die sich unter ihrer Oberfläche mit diversen seriösen Themen beschäftigt – eine Wohltat nach fahrigeren Eastwood-Produktionen wie «Hereafter» (2010) oder «J. Edgar» (2011). Getragen von einem hervorragend aufspielenden Eastwood, erzählt «The Mule» vom Dahinscheiden der amerikanischen Kleinstadt – nicht umsonst wohnt Earl in der sprichwörtlichen Durchschnittsstadt Peoria, Illinois –, von Altersarmut und -einsamkeit und von der Frage, was von einem Leben übrig bleibt, in dem die Arbeit stets wichtiger war als die Familie. Es ist schwer, bei letzterem Motiv nicht an den Regisseur selbst zu denken, dessen Biografie gezeichnet ist von beruflichem Tatendrang und zerrütteten Beziehungen.
«Eine überraschend leichtfüssige Roadmovie-Tragikomödie, die sich unter ihrer Oberfläche mit diversen seriösen Themen beschäftigt.»
Nicht alles von dem, was Eastwood hier versucht, mag einwandfrei funktionieren. Trotzdem ist «The Mule» sein thematisch differenziertester Film seit «Gran Torino» – und eine schmerzliche Erinnerung daran, was das Kino verliert, wenn «der Mann ohne Namen» eines Tages nicht mehr da ist.
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Kinostart Deutschschweiz: 31.1.2019
Filmfakten: «The Mule» / Regie: Clint Eastwood / Mit: Clint Eastwood, Bradley Cooper, Michael Peña, Dianne Wiest, Alison Eastwood, Taissa Farmiga, Laurence Fishburne, Andy García / USA / 116 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Warner Bros. Ent.
Trotz einiger Schwachstellen erinnert Clint Eastwood mit dem bewegenden und überaus unterhaltsamen «The Mule» daran, warum er ein international geachteter Regisseur ist.
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