Auf den Spuren von Mark Twain erzählen Tyler Nilson und Michael Schwartz in «The Peanut Butter Falcon» eine anrührende Geschichte über Freundschaft und Behinderung, die sowohl positive als auch negative Überraschungen bereithält.
Zak (Zack Gottsagen) hat genug. Der 22-jährige Wrestling-Fan mit Down-Syndrom versauert seit Jahren in einem Altersheim, weil sich der Staat nicht darum bemüht, eine passendere Unterkunft für ihn zu finden. Trotz der Bemühungen der ihm nahestehenden Pflegerin Eleanor (Dakota Johnson) bricht er mithilfe seines greisen Mitbewohners (Bruce Dern) aus, in der Hoffnung, es bis zum Ausbildungszentrum einer Wrestling-Legende am anderen Ende von North Carolina zu schaffen. Dabei erhält der Ausreisser unerwartete Schützenhilfe vom wildernden Fischer Tyler (Shia LaBeouf), der seinerseits auf der Flucht vor einem gewaltbereiten Rivalen (John Hawkes) ist.
Es ist eine ambitionierte Mischung, an der sich das debütierende Regie- und Drehbuch-Duo Tyler Nilson und Michael Schwartz in «The Peanut Butter Falcon» versucht. Im überhöht tragikomischen Tonfall eines amerikanischen Indie-Publikumslieblings aus den 2000er Jahren – Stichwort «Little Miss Sunshine» (2006) – beschwören sie Jaco Van Dormaels «Le huitième jour» (1996), den wohl bekanntesten Film mit einer Hauptfigur mit Down-Syndrom, und reichern die Handlung mit der Südstaaten-Rumtreiber-Romantik eines Mark–Twain-Romans an.
Das klingt wie ein hoffnungslos zerkochtes Konzept, gerade auch angesichts einer Unterhaltungsbranche, die immer noch lernen muss, die Geschichten von Menschen mit Behinderung angemessen zu erzählen. Doch «The Peanut Butter Falcon» ist diesbezüglich eine positive Überraschung, denn es gelingt den Regisseuren, die Freundschaft zwischen Zak und Tyler ebenso sensibel wie humor- und respektvoll zu inszenieren. Die Tatsache, dass Zak Hilfe braucht, um sich in seiner ungewöhnlichen Situation zurechtzufinden, wird nicht zum Anlass genommen, ihn als Protagonisten zweiter Klasse darzustellen. Er befindet sich auf Augenhöhe mit Tyler, der seinen Eigenwillen und seine Selbstständigkeit konsequent ermutigt – wenn auch zunächst aus eigennützigen Gründen.
«Es gelingt den Regisseuren, die Freundschaft zwischen Zak und Tyler ebenso sensibel wie humor- und respektvoll zu inszenieren.»
Es sind diese Szenen, in denen Zak und Tyler mit dem Floss die Outer Banks von North Carolina hinuntergondeln und einander zunehmend schätzen lernen, die dem Film zu seinem einnehmenden Charme verhelfen. Hier schaffen es die hervorragend harmonierenden Hauptdarsteller Zack Gottsagen und Shia LaBeouf regelmässig, mit ihren zurückhaltenden, dafür umso lebendigeren Darbietungen den grundlegenden Indie-Kitsch der Erzählung auszuhebeln. Dazu trägt auch Nigel Blucks starke Arbeit an der Kamera bei, die immer wieder die Nähe zu den Figuren sucht und damit an den Lo-Fi-Naturalismus des weniger polierten US-Independentkinos erinnert.
Insofern wirkt es etwas befremdlich, dass «The Peanut Butter Falcon» abseits von Zak und Tyler genau die Fehler macht, die er in seinem Umgang mit Behinderung so elegant zu vermeiden weiss. Dakota Johnsons Figur ist ein frustrierend antiquiertes Konstrukt – die weibliche Spassbremse zum unbekümmerten Lausbuben-Heldengespann, die zum Schluss die Kehrtwende zur romantischen Eroberung vollzieht. Anderswo bedienen sich Nilson und Schwartz auch jener Mark-Twain-Motive, die nicht zu den Glanztaten des grossen Autors gehören. So ist etwa Wayne Deharts Performance als blinder Täufer zwar witzig, entspricht aber – wie der geflüchtete Sklave Jim in Twains «Huckleberry Finn» – ein wenig zu sehr dem rassistischen Typus des «Magical Negro». So wie es Gottsagen und LaBeouf geschuldet ist, dass «The Peanut Butter Falcon» berührt, sind diese absolut vermeidbaren Fehlgriffe der Grund, dass der Film dennoch nicht restlos begeistert.
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Kinostart Deutschschweiz: 20.2.2020 / Streambar auf myfilm.ch
Filmfakten: «The Peanut Butter Falcon» / Regie: Tyler Nilson, Michael Schwartz / Mit: Zack Gottsagen, Shia LaBeouf, Dakota Johnson, John Hawkes, Bruce Dern, Jon Bernthal, Thomas Haden Church / USA / 98 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Impuls Pictures AG
Trotz diverser unausgegorener Elemente besticht «The Peanut Butter Falcon» mit Witz, zwei herausragenden Hauptdarstellern und einer respektvollen Inszenierung von Behinderung.
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