Das Damengambit ist eine häufig gespielte Eröffnung im Schach. «The Queen’s Gambit» ist eine in dieser Form und Qualität weniger häufig produzierte Netflix-Originalserie. Starke Figuren, herausragendes Schauspiel und perfekt eingefangenes Fünfziger- und Sechzigerjahre-Flair – das alles ist in den sieben Folgen der Serie von Scott Frank und Allan Scott enthalten. Anya Taylor-Joy («The Witch», «Emma») gibt darin die hinreissende, kluge, aber auch dem Rausch nicht abgeneigte Elisabeth Harmon.
Nachdem ihre Mutter bei einem Unfall stirbt, kommt Beth Harmon (Anya Taylor-Joy) in ein Waisenhaus. Dort findet sie Gefallen an Beruhigungstabletten, welche in den 1960er Jahren anscheinend wie Bonbons an Kinder verteilt wurden, und lernt durch den Hausmeister Mr. Shaibel (Bill Camp) das Schachspiel kennen. Er stellt ihr die Figuren und Spielzüge vor und eröffnet ihr eine vollkommen neue Welt. Ihr Potenzial ist unverkennbar, und schon bald spielt sie ihre erste Simultanschachpartie gegen zwölf Schüler einer nahegelegenen High School – mit neun Jahren.
Als Beth, quasi als Zeitvertrieb und Haustierersatz, von Mr. und Mrs. Wheatley adoptiert wird, ändert sich ihr Leben radikal. Plötzlich findet sie sich in einem sterilen Vorort in Kentucky wieder und hat ein eigenes Zimmer. Der Herr des Hauses verlässt die Familie kurz nach der Adoption, und Beth und ihre neue «Mutter» Alma (grossartig verkörpert von Marielle Heller) bilden fortan eine Art Zweckgemeinschaft, die sich ganz langsam in gegenseitige Zuneigung verwandelt.
Schach und nichts als Schach (und vielleicht einen Rausch)
Alles, was Beth will, ist Schach spielen. Alles, was Alma will, ist ihre Langeweile vergessen – und ab und an ein paar Cocktails trinken. Bald wird Alma zu Beths Managerin und Vertrauter. Zusammen touren sie durch die Staaten, zu den verschiedensten Wettbewerben, in denen Beth immer brilliert.
Das entgeht natürlich niemandem in der von Männern dominierten Szene aus schrulligen, aber stets liebenswürdigen Möchtegern-Genies und anderen Nerds – darunter Thomas Brodie-Sangster (der kleine Junge aus «Love Actually») und Harry Melling (Dudley Dursley aus den «Harry Potter»-Verfilmungen). Beth wird zur nationalen Ikone, ziert Titelblätter und besticht nicht nur ihre Kontrahenten mit ihren geheimnisvollen Charakterzügen. Sie schafft es in die oberste Riege der Schachspieler, auch wenn ihr auf dem Weg dahin der Rausch (durch Alkohol, Gras und die guten alten Beruhigungstabletten) ein paar Mal als eine ernst zu nehmende Abzweigung des Lebens erscheint.
«‹The Queen’s Gambit›» ist keine actiongeladene Serie, und doch sind vor allem die Schachsequenzen so spannend inszeniert, dass auch Schachlai*innen sich dabei ertappen, wie sie gebannt den Ausgang des Spiels erwarten.»
«The Queen’s Gambit» ist keine actiongeladene Serie, und doch sind vor allem die Schachsequenzen so spannend inszeniert, dass auch Schachlai*innen sich dabei ertappen, wie sie gebannt den Ausgang des Spiels erwarten. Man schaut begeistert zu, wie Spielzug um Spielzug gespielt wird, wie Beth sich entwickelt, sich emanzipiert, wie Freundschaften entstehen, die echt sind und nicht zum eigenen Vorteil benutzt werden. Es ist beruhigend, dass von Netflix ab und an auch gut gemachte, detailverliebte und spannende Serien erscheinen, welche Schandtaten wie «Emily in Paris» zwar nicht ganz vergessen machen, aber zumindest verblassen lassen.
–––
Jetzt auf Netflix Schweiz
Serienfakten: «The Queen’s Gambit» / Creators: Scott Frank, Allan Scott / Mit: Anya Taylor-Joy, Marielle Heller, Bill Camp, Moses Ingram, Thomas Brodie-Sangster, Harry Melling / USA / 7 Episoden à 46–67 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix / Titelbild: Cr. CHARLIE GRAY/NETFLIX © 2020
No Comments