Im Zuge ihrer Arbeit an «The Rider» verbrachte Chloé Zhao mehrere Monate im Pine-Ridge-Reservat in South Dakota. Diese Nähe zum Ort, seinen Menschen und ihren Geschichten merkt man ihrem einfühlsamen Drama an.
Der junge Brady Blackburn (Brady Jandreau) lebt mit seinem alkoholkranken Vater Wayne (Tim Jandreau) und seiner autistischen Schwester Lilly (Lilly Jandreau) in ärmlichen Verhältnissen. Ihr Leben dreht sich um die Arbeit mit Pferden: Wayne ist im An- und Verkauf tätig, Brady trainiert Pferde und nimmt an Rodeos teil. Nun aber steht er vor dem Nichts: Seit einem schweren Rodeo-Unfall leidet er an motorischen Störungen; die Ärzte raten ihm, mit dem Reiten für immer aufzuhören.
Chloé Zhao, die bereits ihr Regiedebüt «Songs My Brother Taught Me» (2015) in den Badlands von South Dakota ansiedelte, erzählt hier keine klassische Westerngeschichte. Brady ist kein Revolverheld auf den Spuren von John Wayne und Gary Cooper, der dank unbeugsamer Entschlossenheit und archetypischer Männlichkeit das Unmögliche schafft. Im Gegenteil: «The Rider» hinterfragt diese uramerikanische Vorstellung von Heldentum.
Brady verkehrt in Kreisen, in denen diese Vorstellung – das John-Wayne- und Gary-Cooper-Ideal – weiterhin Gültigkeit besitzt. Immer wieder wird er von seinen Freunden gefragt, wann er denn in den Rodeo-Ring zurückkehren wird; er muss ihnen versichern, dass er nicht «weich» geworden ist. Niemand wird so verehrt wie Lane Scott – ein aufstrebender Bullenreiter, der sich bei einem Sturz derart schwere Hirnschäden zuzog, dass er nun in einem Pflegeheim lebt. (Gespielt wird Lane vom echten Lane Scott – einem ehemaligen Bullenreiter, dessen Behinderung von einem Autounfall herrührt.)
Doch Brady scheint der Einzige zu sein, der sich mehr zum Menschen Lane als zur Idee Lane, der romantisch überhöhten Westernikone, hingezogen fühlt. Sein Freundeskreis verklärt Lane, betreibt Legendenbildung; derweil Brady selbst die emotionale Arbeit verrichtet: Er besucht seinen alten Freund, spricht und lacht mit ihm, erinnert sich an alte Zeiten, nimmt ihn in den Arm. Zhao zeichnet hier ein subversives Bild von Männlichkeit, gerade im Kontext des Genres, in dem sie arbeitet – ein hoffnungsvoller Gegenentwurf zum kompromisslosen Machismo, der für so viel Schrecken in der Welt verantwortlich ist.
«Zhao zeichnet hier ein subversives Bild von Männlichkeit, gerade im Kontext des Genres, in dem sie arbeitet – ein hoffnungsvoller Gegenentwurf zum kompromisslosen Machismo, der für so viel Schrecken in der Welt verantwortlich ist.»
Auf diesem Subtext wird aber nicht herumgeritten. «The Rider» bleibt stets ein tief bewegendes Charakter- und Milieudrama mit erzählerischen Ecken und Kanten, das ohne jegliche melodramatische Elemente auskommt. Hier machen sich auch die Vorzüge von Zhaos Arbeitsprozess bemerkbar: Ihr Kino ist leise und subtil, aber – dank ihren ausnahmslos beeindruckenden Darstellern, die alle eine fiktionalisierte Version ihrer selbst spielen – auch authentisch und emotional.
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Kinostart Deutschschweiz: 5.7.2018
Filmfakten: «The Rider» / Regie: Chloé Zhao / Mit: Brady Jandreau, Tim Jandreau, Lilly Jandreau, Lane Scott / USA / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Cineworx GmbH
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