2017: Odyssee im Kunstraum
Meisterwerke wie «The Square» von Ruben Östlund sind selten. Filme, in denen alles passt, stilistisch wie inhaltlich. Jede Szene ausbalanciert, jede Einstellung perfekt, jedes Wort und jede Handlung sitzt und macht Sinn. Die bitterzarte Gesellschaftssatire rund um einen Museumskurator und seine Odyssee im Kunstraum, hält unserer Spezies den Spiegel vor, bis es weh tut – einer der intelligentesten Filme unserer Zeit.
Christian, das Quadrat und die Welt.
Wir lernen Chrsitian (Claes Bang) in einem Interview über seinen Job als Museumsdirektor kennen. Bereits zu Beginn des Films muss er sich unangenehmen Fragen zu seinem Job von einer eher speziellen Anne (Elisabeth Moss, grandios!) ergehen lassen. Wie man später erfährt ist er eine halböffentliche Person, angesehener Kurator eines Museums für Gegenwartskunst in Stockholm. Unsere Hauptfigur ist ein gutaussehender, geschiedener Vater zweier Kinder, fährt einen Tesla und unterstützt humanitäre Organisationen. «The Square» – so der Titel seiner nächsten Ausstellung – ist ein Platz, der als moralische Schutzzone fungieren und das schwindende Vertrauen in die Gemeinschaft hinterfragen soll. Und so stellt er dieses neue Projekt, in einer der vielen witzigen Szenen des Filmes, dem Museumspublikum vor. Als der Koch das anschliessende Essen vorstellen möchte, begibt sich die achso elitäre Gesellschaft schnurstracks wie eine Horde Gnus dem Buffet zu, ohne dem Kurator den nötigen Respekt zu zollen. Tierische Triebe im geistigen Zentrum. Ein schöner Kontrast.
Im Verlaufe des Films erkennen wir, dass es auch für Christian schwer ist, ein guter Bürger zu sein, da ihm sein Ego dazwischenfunkt. Und so folgen Szenen mit unüberlegten, eigennützigen Reaktionen auf manchmal mehr und manchmal weniger durchdachte Situationen, Handlungen, Akte oder Kampagnen von anderen Mitmenschen. Ein soziologisches und psychologisches Spiel, in welchem die Konsequenzen von Handlungen in der Gesellschaft teilweise minutiös aufgezeigt werden, teilweise aber völlig unaufgelöst bleiben. Eine Art konstruktive Ambivalenz.
Klick für Klick in den Untergang.
«The Square» ist sehr unterhaltsam und witzig. Es macht Spass, weil es einfach menschlich ist. Und wir müssen lachen, weinen, innehalten und erkennen, welches abartige Spiel wir treiben und welchem Wahnsinn wir uns hingeben, Tag für Tag, Klick für Klick in einer absurden Welt, in welcher jeder Mensch sich selbst am nächsten ist. Wir verstehen diesen Christian und hassen ihn, diesen Gutbürger, der ja nur versucht zu helfen, Kunst zu vermitteln, Frauen zu begatten oder seinen Töchtern ein guter Vater zu sein. Aber wie das Leben so spielt, macht die Welt ihm einen Strich durch die Rechnung. Mit ca. 300’000 Youtube-Views. Bäm!
People Looking at Art.
Über die grossen Themen der Gesellschaft, die auf aktuelle Ambiguitäten des Seins eingehen, eröffnet der Film einen weiteren, spannenden Aspekt: die Kunst, deren Kreation und Betrachtung. So ganz nebenbei führt er einen philosophischen Diskurs darüber, was Kunst darf und verortet den Film als Gedankenspiel, als Ideenschiff oder Affenzirkus, in welchem gewisse Dinge erst durch die Macht des Autor und seinen Ausschnitt von der Welt oder durch den Geist des Zuschauers, erst sinnhaftig werden. Das Leben ad absurdum, versteckt hinter hinterlistigen Surcadragen.
Ein grosse und moderne Allegorie
Modernistisch selbstreflexiv, ohne gross intertextuellen Spuk. Das ist Hohe Kunst im Quadrat. Einen vergleichbar eindrücklichen Film findet man vielleicht erst wieder bei den Werken von Kubrick, Fellini, Tarkowski oder Bergman. Visuell hätte Östlund durch seinen Kunstanspruch zwar noch drauflegen können, aber die gekonnten Musik- und Bildkompositionen schaffen auch so die nötige und gehaltvolle Abstraktion. Und wenn bereits zu Beginn die Statue fällt, wissen wir, dass wir nicht alles zu ernst nehmen sollten. Denn Quadrate sind auch nur Spiegel, Leinwände oder Fenster, wodurch wir Welten anders wahrnehmen. Egal, für was «The Square» steht, Östlund hat etwas ganz rundes und Vollkommenes geschaffen. Vier Ecken und fünf Sterne am cineastischen Himmelszelt. (Und eine durchaus verdiente Palme d’or Auszeichnung am Cannes Film Festival 2017.)
★★★★★
Kinostart: 26. Oktober 2017 / Regie: Ruben Östlund / Mit: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, Terry Notary
Trailer- und Bildquelle: Xenix Film.
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