In der Miniserie «The Stand» wird die Menschheit von einer Pandemie heimgesucht und fast gänzlich ausgerottet. Während sich ein Teil der wenigen Überlebenden der gütigen «Mother Abagail» anschliessen, werden die anderen vom diabolischen Randall Flagg verführt, und es entbrennt ein Kampf um die Seele der Menschheit. Die Verfilmung von Stephen Kings Roman wird der Vorlage in vielen Punkten gerecht, durch die nonlineare Erzählweise bleibt jedoch Potenzial auf der Strecke.
Stephen Kings Romane sind seit Jahren äusserst beliebte Vorlagen für filmische Umsetzungen. Erstaunlich ist das nicht, denn seine Geschichten erzeugen von selbst ein ordentliches Kopfkino, und haben neben all dem Schrecken immer einen zutiefst menschlichen Kern. Der Horror lauert im Alltäglichen, das Unbekannte kriecht aus dem Vertrauten hervor. Das ist der Unterbau vieler seiner Geschichten, die dadurch eine einnehmende Wirkung entfalten. Viele Filmemacher*innen haben versucht diese Stimmung auf die Leinwand zu übersetzen, mal mehr («It: Chapter One», «The Shining»), mal weniger erfolgreich («It: Chapter Two», «Under the Dome»).
«Die Serie, auch wenn das sehr zynisch klingt, profitiert von der aktuell grassierenden Corona-Pandemie. Es braucht keine Killerclowns, um das Publikum zu erschrecken. Es reicht schon, wenn Menschen husten, während sie viel zu nahe neben ihren Lieben stehen.»
Nun ist auf Sky Show die zweite Verfilmung des monumentalen Wälzers «The Stand» (1978) zu sehen (der vierteilige Fernsehfilm aus den Neunzigern zieht mit etwas Nostalgie-Willen auch heute noch) – und das Timing ist erschreckenderweise äusserst passend. Die Serie, auch wenn das sehr zynisch klingt, profitiert von der aktuell grassierenden Corona-Pandemie. Es braucht keine Killerclowns, um das Publikum zu erschrecken. Es reicht schon, wenn Menschen husten, während sie viel zu nahe neben ihren Lieben stehen. Die beklemmenden Szenen, in denen gezeigt wird wie sich das Virus verbreitet, entwickeln im Kontext der aktuellen Lage einen stärkeren Punch, als sie es sonst tun würden. Als Zuschauer*in will man «Abstand!», «Hände waschen!» oder «Quarantäne!» in den Bildschirm schreien. Doch es nützt alles nichts. Die Supergrippe «Captain Trips» verbreitet sich schneller als man «desinfizieren» buchstabieren kann und reduziert die Menschheit gnadenlos auf ein Prozent.
Die wenigen Überlebenden träumen fortan von Abagail Freemantle (Whoopi Goldberg), einer alten Frau, die Weisheit und Güte ausstrahlt und alle rechtschaffenden Menschen ermuntert, nach Colorado zu pilgern, um einen friedlichen Neuanfang zu wagen. King-typisch bildet sich ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, in dem sich die Figuren erst selber finden müssen, bevor sie den Karren aus der Dystopie zu hieven versuchen. So versammeln sich unter anderen der All-American-Guy Stu Redman (angenehm hemdsärmelig: James Marsden), der leidlich erfolgreiche Rockstar mit Drogenproblemen Larry Underwood (Jovan Adepo, bekannt aus «Watchmen»), die Lehrerin Nadine Cross (langweilig: Amber Heard) und der gerissene, im Leben aber stets unterdrückte Harold Lauder, gespielt vom King-Alumnus Owen Teague («It»).
Unbestrittener Szenendieb aus dem umfangreichen Ensemble ist jedoch Greg Kinnear («Little Miss Sunshine») als eigenbrötlerischer Soziologe Glen Bateman. Während die meisten Figuren dem hinterhertrauern, was sie verloren haben, hat sich Glen schon vor der Pandemie aus der Gesellschaft ausgeklinkt. Für ihn ist das Ende der Welt nur halb so wild, und alles, was kommt, ein sozialphilosophisches Experiment, das er geniesst so gut es geht. Kinnear nutzt die Sonderstellung der Figur und stellt sich der tristen und bedrückenden Endzeitstimmung mit viel menschlicher Wärme und klugem, bissigen Humor, ohne dass er zum reinen Comic-Relief verkommt.
Viel zu lachen gibt es ohnehin nicht, denn auch der mysteriöse und mächtige Randall Flagg schart Menschen um sich. Allerdings hat er es auf die abgesehen, deren moralischer Kompass in die entgegengesetzte Richtung zeigt. Alexander Skarsgård («Big Little Lies») spielt den grossen Verführer mit dämonischem Understatement. Dieser fühlt sich in der Apokalypse pudelwohl, und sein einziges Ziel scheint es zu sein, auch die letzte gute Seele zu korrumpieren und das Chaos regieren zu lassen.
«Zwar erhalten die Hauptfiguren genügend Profil, sodass man über die gesamte Laufzeit hinweg mitfiebert. Die fehlende Tiefe bei den Nebencharakteren gehört jedoch zu den Schwächen der ansonsten aufwendig produzierten Serie.»
So schliessen sich ihm einige schäbige Charaktere an, wobei es Ezra Miller («Fantastic Beasts», «Justice League») als «Trashcan Man» mit seiner Performance masslos übertreibt. Klar, die Apokalypse würde wohl bei einigen Menschen alle Stricke reissen lassen, aber er gibt dem Affen dermassen viel Zucker, dass man unangenehm berührt wegschauen will. Erschwerend kommt hinzu, dass man nichts über seine Figur erfährt, ausser, dass er ein wahnsinniger Pyromane ist. Seine Vorgeschichte wurde komplett ausgespart, doch wäre sie essenziell wichtig gewesen, um dem Wahnsinn des «Trashcan Man» Kontext zu geben und so ein wenig abzufedern.
Zwar erhalten die Hauptfiguren genügend Profil, sodass man über die gesamte Laufzeit hinweg mitfiebert. Die fehlende Tiefe bei den Nebencharakteren gehört jedoch zu den Schwächen der ansonsten aufwendig produzierten Serie. Der grösste Streitpunkt ist aber die fragwürdige Entscheidung der Serienmacher Josh Boone («The Fault in Our Stars») und Benjamin Cavell («Homeland»), die Vorgeschichte der Protagonist*innen durch Rückblenden zu erzählen. Die Serie springt besonders in der ersten Hälfte häufig vom Neuaufbau der Gesellschaft im Mittelteil zum Ausbruch der Pandemie am Anfang und dann wieder zurück zum beschwerlichen Weg unserer Helden, um Mutter Abagail zu finden. Das mag vielleicht den modernen Sehgewohnheiten entsprechen, und die einzelnen Segmente sind dabei durchaus spannend in Szene gesetzt – jedoch kommt bei dem ganzen Hin und Her die Geschichte erst spät so richtig in die Gänge. Auch wenn dadurch viel von der epischen Kraft der Vorlage verloren geht, weiss die Serie dennoch zu gefallen und ein unterhaltsames biblisches Tauziehen zwischen Gut und Böse zu inszenieren.
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Jetzt auf Sky Show
Serienfakten: «The Stand» / Creators: Josh Boone, Benjamin Cavell / Mit: James Marsden, Whoopi Goldberg, Alexander Skarsgård, Odessa Young, Greg Kinnear, Amber Heard, Ezra Miller, Owen Teague / USA / 9 Episoden à 49–65 Minuten
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Bild- und Trailerquelle: Lionsgate Entertainment / Sky Schweiz / ©2020 CBS Interactive, Inc. All Rights Reserved.
Die zweite Verfilmung von «The Stand» fängt an vielen Stellen – aber nicht überall – den Geist der Vorlage ein und transportiert eines von Stephen Kings besten Werken gekonnt auf den Bildschirm.
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