Coralie Fargeat stellt sich in «The Substance» mit matschigen Gore-Effekten und aberwitzigem Creature-Design der sexistischen Hollywood-Maschinerie. Die Idee hat einiges an Potenzial – vieles davon wird aber verschenkt.
Wie hat sich wohl das Porträt in Oscar Wildes Roman «The Picture of Dorian Gray» (1890) gefühlt, weggeschlossen in einer dunklen Kammer, dazu verdammt, all die physischen und psychischen Konsequenzen der Exzesse zu tragen, die sein Modell und Besitzer Dorian Gray seinem eigenen Körper zumutet? Dies oder Ähnliches fragte sich wohl die französische Filmemacherin Coralie Fargeat («Revenge»), als ihr die Idee zu ihrem zweiten Langspielfilm «The Substance» kam. Denn so wie Wildes vielleicht bekanntestes Werk sich mit dem Hedonismus der spätviktorianischen Londoner Hautevolee auseinandersetzte, so nimmt «The Substance» den Jugend- und Schönheitskult von Los Angeles im Allgemeinen und Hollywood im Speziellen ins Visier – und hängt das Ganze ebenfalls an einer unheimlichen Body-Double-Fabel auf.
Ausgangspunkt dieser Geschichte ist Elisabeth Sparkle (Demi Moore), eine Frau um die 50, die in den Achtzigerjahren zum globalen Leinwandphänomen aufstieg, inzwischen aber in der Peripherie der Unterhaltungsindustrie angekommen ist. Soll heissen: Sie moderiert eine Fitnesssendung im Frühstücksfernsehen, das sich an ihre Altersklasse richtet. Doch sogar damit soll bald Schluss sein: Ihr schmieriger Produzent (Dennis Quaid) will das Format verjüngen und stellt sie kurzerhand vor die Tür.
Am Tiefpunkt ihrer Karriere angekommen, erhält Elisabeth ein verlockendes Angebot: Sie soll sich das mysteriöse experimentelle Serum «The Substance» zuführen, das ihr angeblich völlig neue Perspektiven eröffnen kann. Nach einigem Zögern wagt sie den Schritt – und macht sogleich Bekanntschaft mit den unappetitlichen Wirkungen der Wunderdroge: Aus ihrem Rücken kriecht eine 25-jährige Version ihrer selbst (gespielt von Margaret Qualley), während sie bewusstlos liegen bleibt. Nun hat ihr jüngeres Ich, die sich Sue nennt, sieben Tage Zeit, um sich auszutoben – danach wacht Elisabeth wieder auf, während Sue eine Woche verschläft.
In diesem Rhythmus könnte es theoretisch jahrelang weitergehen, doch Elisabeth hat die Rechnung ohne Sue gemacht. Obwohl diese ein Teil von ihr ist, hat sie herzlich wenig Respekt für die Frau, die sie «geboren» hat – und nachdem Sue beim Casting für Elisabeths Moderationsnachfolge brilliert, hat die junge Schönheit immer weniger Lust darauf, nur jede zweite Woche im Einsatz zu sein.
Ganz diesem zentralen Konflikt entsprechend, ringen in «The Substance» im Grunde zwei Filme miteinander. Auf der einen Seite steht ein genüsslich physischer Body-Horror-Film im Sinne von David Cronenberg («The Fly», «Crimes of the Future»), einem von Coralie Fargeats grossen Vorbildern, der dem Publikum in regelmässigen Abständen ungemütliche Nahaufnahmen von menschlichen Körpern und Körperfunktionen, wunderbar matschige Gore-Effekte und detailreich-groteske Make-up-Kreationen vorsetzt. Auf der anderen Seite wiederum legt Fargeat hier eine ebenso zornige wie verspielte Satire auf eine Entertainment-Branche vor, die Menschen – oder genauer gesagt: Frauen – jenseits der 50 seit jeher gerne wie furchterregende, abstossende, bestenfalls mitleiderregende Kreaturen behandelt.
«Demi Moores Karriere weist unübersehbare Ähnlichkeiten mit jener von Elisabeth auf.»
Die Relevanz des einen für das andere ist unbestritten. Dass Elisabeth das patriarchale Verlangen nach perfekter straffer Haut und makellosen Kurven dermassen verinnerlicht hat, dass sie ihren überdurchschnittlich normschönen nackten Körper nur noch mit Verachtung im Spiegel betrachten kann und sich deshalb willentlich zum Filmmonster macht, ist ein durchaus anregender Gedanke – gerade wenn man bedenkt, dass es der Körper der 61-jährigen Demi Moore ist, den Elisabeth hier beklagt. Denn Moores Karriere weist unübersehbare Ähnlichkeiten mit jener von Elisabeth auf: Auch sie eroberte das Achtziger- und Neunzigerjahrekino im Sturm – dank Rollen in Filmen wie «St. Elmo’s Fire» (1985), «About Last Night…» (1986) und «Indecent Proposal» (1993) –, bevor ihr Stern um die Jahrtausendwende zu sinken begann und sie in Nebenrollen, Flops und sexistische Spottberichte in Klatschblättern abrutschte.
Auch Sues Erfahrungen in der Szene, die Elisabeth einst hofierte, sind alles andere als ungeeignet für den Horror-Anstrich. Immerhin begibt sie sich in eine männlich dominierte Domäne, in denen abfällige Bemerkungen über Nasengrössen und Brustumfänge zum Casting-Alltag gehören, man als Frau im Rampenlicht tagein, tagaus den lechzenden Blicken von Set-Mitarbeitern, Büroangestellten und Verwaltungsräten ausgesetzt ist und Männer wie Dennis Quaids Produzent ohne Furcht vor Konsequenzen übergriffig werden können. Und selbst als universell begehrte 25-Jährige wird Sue schliesslich von der Angst zerfressen, nicht mehr attraktiv genug zu sein.
Warum also gelingt es Fargeat nicht, die feministische Thematik harmonisch mit ihrer soliden Horror-Ästhetik zu verknüpfen? Das liegt zum einen daran, dass die Horror-Ästhetik überwiegend vor allem das bleibt: Ästhetik. Ja, die detaillierten Einstellungen von Dennis Quaids Mund, der beim Sprechen Unmengen an saucengetränkten Crevetten verschlingt, von offenen Wunden, die zugenäht werden, von albtraumhaft verformten Körpern, von glitschigen Innereien, die zu Boden fallen, sind technisch gut gemacht und auf anregende Weise abstossend. Ja, die Creature-Effekte, die gegen Ende des Films ins Spiel gebracht werden und die beiden Hauptdarstellerinnen bis zur Unkenntlichkeit ummodellieren, sind liebevoll handgemacht und führen zu einem wunderbar cartoonhaften Finale.
«Die Satire, an der sich der Film versucht, ist leider von der allzu plumpen Sorte.»
Aber die Hochglanz-Inszenierung dieser Genre-Einschläge bleibt insgesamt Selbstzweck. Der «Horror» ist einzelnen Momenten sorgfältig kalkulierten Ekels vorbehalten – nicht zuletzt konsequenzenlosen Traumsequenzen –, die nur sehr wenig Bewandtnis für den Rest des Geschehens haben. Das mag schön anzusehen sein, hält «The Substance» aber auch davon ab, nachhaltig verstörend und somit wahrhaftug provokant zu wirken.
Zum anderen ist die Satire, an der sich der Film versucht, leider von der allzu plumpen Sorte, versinnbildlicht durch Dennis Quaids öligen, frauenverachtenden, von Fliegen umflogenen Senderboss, dem das Drehbuch offenbar nicht zutraut, von alleine Erinnerungen an den widerwärtigen Harvey–Weinstein-Archetyp wecken zu können, und den es deshalb kurzerhand einfach selbst «Harvey» tauft.
Der berufliche Höllenritt von Elisabeth und Sue bewegt sich in ähnlichen Sphären. Fargeat bedient wohlbekannte Gemeinplätze über die sexistische Doppelmoral, die in Hollywood vorherrscht, ohne jemals in die Tiefe zu gehen: Etwas Substanzielleres als die schon in diversen anderen Filmen luzider thematisierte Einsicht, dass Männer – und mit ihnen das Publikum – junge Frauen lüstern anstarren und Frauen über 45 ignorieren, hat «The Substance» in dieser Beziehung nicht zu bieten.
Der spannendste Diskurs, den Fargeat indes anreisst, ist ihre leider verkürzte Auseinandersetzung mit der Frage des Stardaseins im 21. Jahrhundert. Elisabeths Traum, den sich ihr fleischgewordenes Es – Sue – voller egoistischer Rücksichtslosigkeit erfüllt, ist eine Karriere, die im gegenwärtigen Medienökosystem aus Streaming-Plattformen und sozialen Netzwerken praktisch nicht mehr denkbar ist: eine aufreizende Aerobics-Sendung im Vormittagsfernsehen, die zum nationalen Erfolg avanciert, ihre Moderatorin innert kürzester Zeit in die Primetime katapultiert und ihr den Weg zum Inbegriff des Showbusiness-Erfolgs ebnet – die Rolle der Gastgeberin bei der alljährlichen Neujahrs-Livesendung.
«Zu beschäftigt ist der Film damit, seine Figuren in elegante Kompositionen zu zwängen und mit seinem effekthascherischen Schnitt zu kokettieren, um seine Protagonistinnen als Menschen statt als unscharf umrissene Konzepte darzustellen.»
Mit anderen Worten: Fargeat konstruiert hier ein himmelschreiend unrealistisches Szenario, mit dem sie illustriert, wie weit Stars wie Elisabeth Sparkle – oder eben Demi Moore – tatsächlich aus der Zeit gefallen sind. Die Tragödie von «The Substance» ist nicht nur, dass sich die Unterhaltungsmaschinerie Frauen einverleibt, gewaltsam nach den Vorstellungen ihrer Herren formt und nach einiger Zeit gedankenlos wieder ausspuckt, sondern auch, wie perfid kurzlebig die Erwartungen sind, die an weibliche Leinwand- und Fernsehikonen gestellt werden: Ein George Clooney oder ein Tom Hanks kann seinen Status als Star vier, fünf Jahrzehnte lang halten; bei Demi Moore, Meg Ryan, Geena Davis oder Lindsay Lohan ist das aus strukturellen Gründen um einiges schwieriger.
Doch auch hieraus schlägt der Film nicht allzu viel thematisches Kapital. Zu beschäftigt ist er damit, seine Figuren in elegante Kompositionen zu zwängen und mit seinem effekthascherischen Schnitt zu kokettieren, um seine Protagonistinnen als Menschen statt als unscharf umrissene Konzepte darzustellen.
Erschwerend hinzu kommt, dass sich der Film auch erzählerisch jeglicher Subtilität verweigert, ja seine Zuschauer*innen wiederholt so behandelt, als würde er ihnen nicht einmal zutrauen, die Handlung konzentriert verfolgen zu können. Obwohl «The Substance» mit einem relativ kleinen Cast und einer ziemlich geradlinigen Geschichte auskommt, werden Plot-Entwicklungen und wiederkehrende Figuren immer wieder von vorne eingeführt. Eine Nahaufnahme des auffälligen Muttermals des Krankenpflegers, der Elisabeth die «Substance»-Behandlung vermittelt, genügt 45 Minuten später nicht mehr als Wiedererkennungsmerkmal, sondern wird unterstützt durch eine unnötige Rückblende und zusätzliches «Substance»-Branding, das ihm umständlich aus dem Portemonnaie fallen muss. Als Elisabeth die Telefonnummer eines einstigen Klassenkameraden wiederentdeckt – ein Kleinod, das ihr in der Eröffnungsviertelstunde in einer ausgedehnten, anrührend unbeholfenen Interaktion in die Hand gedrückt wurde –, werden die Highlights ebenjener Szene noch einmal per Voiceover eingespielt. Elisabeths Entscheidung, endlich das Mitleidsgeschenk auszupacken, das ihr Harvey zum Abschied auf den Weg gab, wird begleitet von einer Art Denkblase, in der noch einmal Dennis Quaid bei der Übergabe zu sehen ist.
«Ein Film, der sich mit seiner selbstzufriedenen Oberflächlichkeit des eigenen Potenzials beraubt.»
«The Substance» mag nachdrücklich ein Kinofilm sein, doch in diesen Momenten verhält sich das Ganze wie «Second-Screen-Entertainment»-Berieselung, die nicht damit rechnet, dass ihr vom Publikum die volle Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das steht symptomatisch für einen Film, der sich mit seiner selbstzufriedenen Oberflächlichkeit des eigenen Potenzials beraubt.
Über «The Substance» wird auch in Folge 76 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 19.9.2024
Filmfakten: «The Substance» / Regie: Coralie Fargeat / Mit: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid / Grossbritannien, Frankreich / 140 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
Die Themen, die Coralie Fargeat in «The Substance» anspricht, sind enorm relevant. Doch der Film tut sich mit seiner Oberflächlichkeit und seinem Hang zum Übererklären keine Gefallen.
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