Sieben linken Aktivisten wird nach dem von Unruhen überschatteten Demokraten-Parteitag 1968 der Schauprozess gemacht. Die wahre Geschichte hinter «The Trial of the Chicago 7» könnte zeitgemässer nicht sein. Regisseur und Star-Drehbuchautor Aaron Sorkin holt daraus zwar ein unterhaltsames Ensemblestück heraus, ist dem Aktualitätsbezug aber nicht gewachsen.
Sie sehen aus wie die personifizierte Feindesliste des neu gewählten US-Präsidenten Richard Nixon: das Hippie-Gespann Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) und Jerry Rubin (Jeremy Strong), die progressiven Studenten-Politiker Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Rennie Davis (Alex Sharp), der Pazifist David Dellinger (John Carroll Lynch), die jungen Demonstranten John Froines (Daniel Flaherty) und Lee Weiner (Noah Robbins) sowie der Black-Panther-Mitbegründer Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II). Ihnen wird von den Staatsanwälten Foran (J. C. MacKenzie) und Schultz (Joseph Gordon-Levitt) zur Last gelegt, dass sie in gemeinsamer Absprache die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Protestzügen und Polizeiaufgeboten rund um den Parteitag der Demokratischen Partei, der im August 1968 in Chicago stattfand, angefacht hätten.
Dass sich viele der Angeklagten erst im Gerichtssaal zum ersten Mal begegneten, und dass Bobby Seale sich am Tag der Unruhen nur wenige Stunden in Chicago aufhielt, sind Details, die weder Foran noch Schultz noch den konservativen Richter Julius Hoffman (Frank Langella) zu interessieren scheinen. Sie sind froh, einen «scary black man» auf der Anklagebank zu wissen und die Klienten des renommierten linken Chefverteidigers William Kunstler (Mark Rylance) als skrupellose und bestens vernetzte Volksverhetzer darstellen zu können. Die zwölf Geschworenen würden schon im Sinne der rechten Nixon-Administration entscheiden, die den Prozess in Gang gebracht hat.
«Wer Aaron Sorkin kennt – sei es dank seiner Fernsehserien ‹The West Wing› und ‹The Newsroom› oder seiner gefeierten Drehbücher für Filme wie ‹Charlie Wilson’s War›, ‹The Social Network› und ‹Moneyball› –, weiss, was von so einer Affiche zu erwarten ist: eine Redeflut sondergleichen.»
Wer Aaron Sorkin kennt – sei es dank seiner Fernsehserien «The West Wing» (1999–2006) und «The Newsroom» (2012–2014) oder seiner gefeierten Drehbücher für Filme wie «Charlie Wilson’s War» (2007), «The Social Network» (2010) und «Moneyball» (2011) –, weiss, was von so einer Affiche zu erwarten ist: eine Redeflut sondergleichen. «The Trial of the Chicago 7» besteht fast ausschliesslich aus rasanten Wortgefechten, in denen voller Inbrunst und mit strategisch platzierten komödiantischen Momenten erörtert wird, wie undemokratisch sich Richter und Staatsanwälte von Nixons Gnaden verhalten, wie zutiefst amerikanisch der Standpunkt der Angeklagten ist, und wie erpicht die etablierten Kräfte im Land darauf sind, jeglichen Widerstand gegen Vietnamkrieg, Rassismus und Sexismus als terroristische Subversion zu brandmarken.
Dass Sorkins Inszenierung dieser hochgradig relevanten Themen hier so nebensächlich ist, dass der Film wahrscheinlich auch als Hörspiel funktionieren würde, fällt erstaunlich wenig ins Gewicht. Dafür sorgt neben Sorkins geschliffenem Drehbuch ein solider Cast, aus dem vor allem Mark Rylance und Sacha Baron Cohen herausstechen: Ersterer als stacheliger Anwaltshaudegen, der lakonisch die Balance zwischen Ideologie und Pragmatismus hält; Letzterer, obwohl sichtlich zu alt für die Rolle des Abbie Hoffman, als einnehmender Aufwiegler, der seine beträchtliche politische Intelligenz wirkungsvoll hinter der Fassade des witzelnden, dauerbekifften Bilderbuch-Hippies zu verstecken weiss.
Weniger überzeugend kommt «The Trial of the Chicago 7» in seinem Anspruch daher, seriöses politisches Kino zu sein. Zu karikiert sind dafür die Figuren, zu blauäugig der oft kritisierte Sorkin’sche Glaube an die unumstössliche Herzensgüte des amerikanischen Jedermanns (Maskulinum gewollt) und daran, dass die institutionelle Integrität letztendlich obsiegen wird. Der Grund, warum der Film sich an inspirierendem Pathos versucht und mit Diskussionen über das heilige Demonstrationsrecht implizit auf die Gegenwart – auf Black Lives Matter und die staatlichen Repressalien dagegen – verweist, ist wohl, einem gebeutelten liberalen Publikum Hoffnung zu machen. Doch in Sorkins Amerika ist kein Platz für Möchtegern-Autokraten wie Donald Trump – und so wirkt sein hehrer Feldzug gegen den bösen Richter Hoffman vorab wie utopische Realitätsferne.
«Entsprechend funktioniert ‹The Trial of the Chicago 7› mit seinem geschniegelten Patriotismus und seinen gewissenhaften Darstellern in Sechzigerjahre-Kostümen und -Frisuren als unterhaltsame Schmierenkomödie am besten – als leicht verdauliches historisches Kino aus einem Fantasie-Universum.»
Entsprechend funktioniert «The Trial of the Chicago 7» mit seinem geschniegelten Patriotismus und seinen gewissenhaften Darstellern in Sechzigerjahre-Kostümen und -Frisuren als unterhaltsame Schmierenkomödie am besten – als leicht verdauliches historisches Kino aus einem Fantasie-Universum, in dem die sagenumwobenen «Checks and Balances» der amerikanischen Republik tatsächlich greifen.
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Kinostart Deutschschweiz: 1.10.2020 / Netflix-Start: 16.10.2020
Filmfakten: «The Trial of the Chicago 7» / Regie: Aaron Sorkin / Mit: Sacha Baron Cohen, Mark Rylance, Eddie Redmayne, Frank Langella, Joseph Gordon-Levitt, Jeremy Strong, Yahya Abdul-Mateen II, John Carroll Lynch, Alex Sharp, Michael Keaton, Noah Robbins, Daniel Flaherty, Ben Shenkman, Caitlin FitzGerald / USA / 129 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix / Ascot Elite / Cr. NIKO TAVERNISE/NETFLIX © 2020
Gewichtiges Politkino sieht anders aus. Doch wer dick aufgetragenes Debattierkino mit utopischen Zwischentönen sehen will, ist bei «The Trial of the Chicago 7» an der richtigen Adresse.
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