Einer der weltweit erfolgreichsten Filme des ersten Halbjahres 2019 ist nun auf Netflix zu sehen. Das chinesische Science-Fiction-Epos «The Wandering Earth», das im internationalen Kinokassen-Vergleich derzeit nur von «Captain Marvel» und «Avengers: Endgame» übertrumpft wird, zeigt: Nicht nur Hollywood kann Genre-Massenware.
In einer nicht näher definierten Zukunft bedroht die sich stetig aufblähende Sonne die Erde, weshalb die neu formierte Weltregierung das «Wandering Earth»-Projekt lanciert: Tausende von gigantischen Motoren werden errichtet, mit denen die Erde innert 2’500 Jahren in ein anderes Sonnensystem geflogen werden soll. Da auf dem Weg dahin die Oberfläche aber unbewohnbar kalt wird, muss die Hälfte der Menschheit – mehr Platz gibt es nicht – im Erdinnern Schutz suchen.
Das ist die Prämisse, welche dem Publikum von den nicht weniger als sieben Drehbuchautoren in halsbrecherischem Tempo vorgelegt wird, bevor dieses die Protagonisten kennenlernt. Während der Taikonaut Liu Peiqiang (Wu Jing) auf einem Satelliten mit einem widerborstigen Schiffscomputer zu kämpfen hat, begeben sich auf der Erde sein Sohn Liu Qi (Qu Chuxiao), sein Schwiegervater Han Zi’ang (wunderbar: Ng Man-tat) und dessen Adoptivenkelin Duoduo (Zhao Jinmai) heimlich an die Oberfläche und werden dort in eine spektakuläre Rettungsmission verwickelt. Denn: Der «wandernden Erde» droht die Zerstörung durch die Schwerkraft des nahenden Jupiters.
Viel – zu viel – passiert in Frant Gwos Verfilmung einer Novelle des Hugo-Award-prämierten chinesischen Autors Liu Cixin («Die drei Sonnen»). Ein bisschen «2001: A Space Odyssey» (1968) hier, ein wenig «The Core» (2003) dort, dazwischen die eine oder andere Prise «Armageddon» (1998), «The Day After Tomorrow» (2004), «Sunshine» (2007) und «Gravity» (2013) – das Resultat ist ein hektisches, unübersichtliches, aber streckenweise durchaus unterhaltsames, da lustvoll überzeichnetes Science-Fiction-Derivat, das kaum schlechter ist als das, was ein Roland Emmerich seit 25 Jahren produziert.
Entsprechend besteht «The Wandering Earth» primär aus grob ausgearbeiteten Figurenschablonen – vom humorlosen Berufssoldaten bis zum designierten Witzbold (gespielt vom sympathischen Mike Sui) –, die zunehmend panisch vage definierte Ziele verfolgen. Derweil fliegen ihnen mit CGI-Eis bedeckte chinesische Metropolen um die Ohren; alle paar Minuten verursacht eine Gravitationsstörung ein Erdbeben; irgendwann ist Jupiter am Himmel gross genug, dass man ihm voller Wut eine Ladung Maschinengewehrkugeln verpassen kann.
«Letztlich ist Gwos Film wohl weniger von künstlerischer als von wirtschaftlicher Bedeutung.»
Letztlich ist Gwos Film wohl weniger von künstlerischer als von wirtschaftlicher Bedeutung: Er ist der Vorbote einer Zukunft, in der Hollywood trotz voranschreitender Monopolisierung nicht mehr die einzige Quelle derartiger Grossproduktionen ist, sondern gerade im internationalen Markt den Druck aus China zu spüren bekommt. Dieser Vorbote mag qualitativ nicht sonderlich hochstehend sein, bietet dafür aber genug aberwitziges Spektakel, um sich für einen Trash-Filmabend zu empfehlen.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Filmfakten: «The Wandering Earth» («流浪地球», «Liúlàng dìqiú») / Regie: Frant Gwo / Mit: Qu Chuxiao, Zhao Jinmai, Ng Man-tat, Wu Jing, Li Guangjie, Mike Sui, Arkady Sharogradsky / China / 125 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix
«The Wandering Earth» ist eine Science-Fiction-Materialschlacht in der Tradition von «Armageddon» und «The Core». Kann man schauen, muss man aber nicht.
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