Mit seinem neuen Film versucht Ralph Fiennes dem Ausnahmetalent Rudolf Nurejew eine Hommage zu widmen und gleichzeitig ein subtiles Portrait über den Ballettstar und seine Flucht aus der Sowjetunion zu schaffen. Leider bleibt dieser Balanceakt nicht ohne Fehltritt.
Die weisse Krähe – das wird zu Beginn per Einblender kommuniziert – ist in der russischen Sprache ein Ausdruck für einen Aussenseiter: jemand, der sich von der Masse abhebt und darüber schwebt. Gemeint ist Rudolf Nurejew (Oleg Ivenko), der schon mit jungen Jahren in der staatlich subventionierten Sowjet-Ballettschule für Furore sorgt. Erhobenen Hauptes – und erhobener Nase – verlangt dieser den besten Lehrer, den die Schule zu bieten hat, und sofort wird sein Wille in die Tat umgesetzt. Schon während des nächsten Eindehnens der athletischen Beine gleitet der neue Lehrer Alexander Puschkin (ein ungewohnt zahmer Ralph Fiennes) durch die Glastür des Tanzstudios. Puschkin ist – trotz Nurejews Beharren auf seinem eigenen Genie – aber nur mässig von dessen Talenten begeistert und sieht lediglich viel ungeschliffenes Talent im jungen Tänzer, der zu einem der ikonischsten Stars des Balletts heranwachsen soll.
«Viel kann die Stirn gerunzelt werden über die Hochmütigkeit des Protagonisten.»
Ähnlich wie Puschkin geht es dem Publikum, das in diesem Versuch, die Biographie von Rudolf Nurejew auf die Leinwand zu bringen, einiges an Potenzial sieht, aber immer wieder vorm schroffen Balletttänzer zurückschreckt. Viel kann die Stirn gerunzelt werden über die Hochmütigkeit des Protagonisten und seine Obsession mit Perfektion, wenn er eine Verkäuferin in einem Modelleisenbahngeschäft anschnauzt oder seine Begleitung, Clara Saint (eine unterforderte Adèle Exarchopoulos), in einem schicken Pariser Restaurant blossstellt. Wundern kann man sich, ob wohl etwas in der Erziehung – mit abwesendem Vater und in armen Verhältnissen, wie in klischiertem Schwarzweiss gezeigt wird – falsch gelaufen ist, oder ob dieses Ekel auch ohne Talent einen solchen Aufstand gemacht hätte.
Auch wenn die Gegenüberstellung vom Freigeist Nurejew, den es in den liberaleren Westen zieht, und einem konformistischen sowjetischen Staat einen besseren Film erahnen lässt, scheitert dieser schon beim Sujet. Selbst die ausserordentlich gut inszenierten und vertonten Ballettszenen, die an die Tanzeskapaden von «The Red Shoes» (1948) erinnern, lassen nicht über sein rüpelhaftes Verhalten hinwegsehen, das der Film wiederholt zu entschuldigen scheint. Doch sind es die öden Sequenzen zwischen den wenigen Tanzeinlagen, die den letzten Nagel in den Sarg dieses überaus durchschnittlichen Biopics hämmern. Selbst das spannungsgeladene Finale ist keine Rettung: An diesem Punkt ist das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Nurejew und den sowjetischen Agenten belanglos geworden, denn das Interesse und die Sympathie für den Protagonisten sind schon längst auf der Strecke geblieben.
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Kinostart Deutschschweiz: 29.8.2019
Filmfakten: «The White Crow» / Regie: Ralph Fiennes / Mit: Oleg Ivenko, Ralph Fiennes, Adèle Exarchopoulos, Sergei Polunin, Raphaël Personnaz / Grossbritannien, Frankreich, Serbien / 127 Minuten
Bild- und Trailerquelle: StudioCanal
«The White Crow» scheitert vor allem an einem rüpelhaften Protagonisten und einem fehlenden kritischen Blick des Films, der schlechte Manieren mit Genie entschuldigt.
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